THE HANDSOME FAMILY - Unseen (2016)

Auf The Handsome Family kann gezählt werden. Ihr oft dunkel eingefärbter, sonderbarer Americana-Sound ist von konstant hoher Qualität und hat einen hohen Wiedererkennungswert.
Auf den frühen Alben wie „Odessa“ (1984) oder „Milk & Scissors“ (1985) offenbarte The Handsome Family zwei Gesichter: Eine gefühlvolle, traditionsbewusste Darstellung ihrer Soundvorstellungen und eine punkig-ruppige Sicht. Aktuell wird exklusiv ein knorrig-behaglicher Stil gepflegt, den das Ehepaar Brett und Rennie Sparks aus Chicago im Laufe der Jahre zu ihrem Markenzeichen kultiviert und stilistisch ausgebaut hat. Die Einordnungen Western-Gothic, Country-Noir oder Chamber-Country geben zwar einen Hinweis auf die musikalische Richtung, greifen aber inhaltlich zu kurz, um das Phänomen dieser Musik umfassend zu erklären.
Unter anderem hat die Aufbereitung der amerikanischen Volksmusik, wie sie The Band praktizierte, deutliche Spuren hinterlassen. Diese vielfältige, zeitlos originelle Mischung aus Ragtime, Hillbilly, Folk, Blues und Rock & Roll stellt auch bei „Unseen“ die Grundlage vieler Tracks dar. So wie bei „The Red Door“, das Referenzen zu Bob Dylans „I Shall Be Released“ aufweisen kann. Das Lied wurde nämlich auch von Robbie Robertson, Levon Helm, Rick Danko und Garth Hudson als The Band aufgenommen.
Review: The Handsome Family - UNSEEN - Classic Rock Magazin
Die Kompositionen der Handsome Family klingen eigentümlich traditionell, als würden sie Ideen aus dem Roots-Music-Archiv von John und Alan Lomax schöpfen. Aber das Ehepaar geht bei der Umsetzung so variabel und undogmatisch mit den Einflüssen um, dass die Klänge zwar vertraut sind, aber gleichzeitig so originell umgebaut werden, dass die Resultate sowohl subversiv wie auch anrührend wirken. Die Arrangements klingen stets unverbraucht, definitiv in ihrer Darstellung und unverwechselbar in ihrer Ausführung. Dazu wird schon mal ein Takt so weit verlangsamt, dass sich der Track wie eine Beerdigungsbegleitung anhört. Dazu gibt es Gesänge wie aus einem billigen Cabaret („King Of Dust“). Oder ein verschleppter Walzer-Rhythmus wird mit allerlei Flötentönen verziert („Tiny Tina“).
Beim Ehepaar Sparks herrscht Arbeitsteilung. Sie ist als literarisch gebildete Person für die Texte zuständig, die beim Kompositionsprozess zuerst da sind. Er überlegt sich dann die passende Vertonung dazu und begleitet diese oft mit seiner einnehmenden, beeindruckenden sonoren Stimme. Die Songs versprühen eine erhabene Souveränität, so dass anzunehmen ist, dass selbst Adaptionen aus der Mundorgel, wie „Im Frühtau zu Berge“, von The Handsome Family intensiv und spannend ertönen würden.
Unbeeindruckt vom Hype um ihren Song „Far From Any Road“ vom 2003er Werk „Singing Bones“, der als Erkennungsmelodie für die erste Staffel der Serie „True Detective“ verwendet wurde, hat das Ehepaar das neue Album eingespielt und ist seinem eingeschlagenen Weg treu geblieben. Die Aufnahmen fanden im eigenen Heimstudio jeweils in der Nacht statt. Als Gäste nahmen David Gutierrez (Mandoline, Dobro), Alex McMahon (unterschiedliche Gitarren) und Jason Toth (Schlagzeug) teil. Alle Lieder besitzen trotz ihrer volkstümlichen Basis eine ungeschliffene Note. Ecken und Kanten wurden beibehalten, auch wenn so schöne, bittersüße Balladen wie „Gold“ zelebriert werden. The Handsome Family haben mit ihrer elften Studio-Veröffentlichung ihren Status als schöpferische Alternative-Country-Künstler eindrucksvoll weiter ausgebaut.
Und hier das Video zu GOLD, einem der schönsten neuen Songs:

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