THE WAR ON DRUGS - A DEEPER UNDERSTANDING (2017)

Hohe Erwartungen gab es an A DEEPER UNDERSTANDING von THE WAR ON DRUGS.

A DEEPER UNDERSTANDING ist keine Enttäuschung geworden, aber der erhoffte weitere kreative Schritt nach vorn blieb weitestgehend aus. Trotzdem lohnt sich das Anhören. Wer vorher nachlesen möchte, was ihn erwartet, kann das hier tun:
Nicht der erhoffte ganz große Wurf, sondern gefühlter kreativer Stillstand auf einem gehobenen Niveau.
The War On Drugs gelten als Hoffnungsträger, wenn es darum geht, alternative und konventionelle Hörmuster an der Schnittstelle zwischen Folk und Rock miteinander zu versöhnen. Das hat mit „Lost In A Dream“ aus 2014 schon geklappt und nährte die Erwartung, dass der Nachfolger weiteres Fusionspotential hebt. Die Songs laufen grundsätzlich noch immer nach folgenden Spielregeln ab: Ein einfühlsamer Mann singt oft mit ausgeglichener, teils hauchzarter Stimme über einen monoton klopfenden Rhythmus und Begleitinstrumente füllen den Raum mit stimmungsvollen Akkorden. Wenn aus diesen Stilmitteln beeindruckende Songs werden, ist die Welt in Ordnung. Wenn sie konturlos nebeneinander herlaufen, kann sich dieses Konzept sehr schnell erschöpfen.
A Deeper Understanding - War on Drugs, the: Amazon.de: Musik
Bei „Lost In A Dream“ ließen sich Anleihen an Bob Dylan (Gesang), Neil Young (die Gitarren) und an das erste Album der Waterboys (der Rhythmus) erkennen. Das ist auch bei „A Deeper Understanding“ so, die Songs sind aber hinsichtlich ihrer Rhythmusführung tendenziell positiver gestimmt: Psychedelisch aufgekratzter Soft-Folk-Rock trifft dabei auf einen stoischen New Wave-Rhythmus. Der zugrundeliegende Drum-Sound klingt oft nach Computer, wurde aber handgemacht. Auch wenn Adam Granduciel weiterhin das Herz und Hirn des Projektes ist, so hat sich in der Herangehensweise und Ausführung zwischen den letzten beiden Werken einiges geändert: Chefdenker Granduciel zog während der Hauptentstehungsphase des Albums von Philadelphia nach Los Angeles und musste deshalb neue Wege der Kommunikation nutzen. In diesem Zusammenhang war er gezwungen, seinen Drang nach Perfektion zurückzuschrauben und den Ideen seiner Instrumentalisten mehr Raum zu gewähren.
„Up All Night“ funktioniert ähnlich wie die frühen Talk Talk-Scheiben vor „Spirit Of Eden“ (1988). Lebhafte, aufmunternde Rhythmen versuchen sich gegen den melancholisch gestimmten Gesang durchzusetzen, scheitern aber letztlich an der dominanten Persönlichkeit des Sängers. Schleifend sägende Gitarren sorgen dann nebenbei für aufwühlende Störfelder. „Pain“ lässt zugleich an New Order und Bruce Springsteen denken: Moderate Dance-Beats treffen auf Folk-Rock-Sensibilität. Auch bei „Holding On“ scheint der Springsteen der 1980er Jahre als Ideengeber hergehalten zu haben. So kommt der flotte Pop-Song nicht ohne das helle Glockenspiel aus, das auch einige E-Street-Band-Interpretationen säumt.
Die Ballade „Strangest Thing“ bekam süßliche Keyboard-Wolken und ätherische Hintergrundstimmen verpasst. Der Gitarrenpart klingt mehr nach Mike Oldfield als nach Neil Young. Das Ergebnis ist eher bieder als tiefgründig ausgefallen. „Knocked Down“ kann bei ähnlicher Vorgehensweise überzeugen, da auf zuckrige Verklebungen verzichtet wurde. Der Mix zwischen aufgestachelter Rhythmik und Singer-Songwriter-Brauchtum bringt bei „Nothing To Find“ erstaunlich unverkrampft Bob Dylan und Dance-Pop zueinander. „Thinking Of A Place“ lässt es gemächlich bis gelangweilt angehen. Das teils verzerrte, teils singende Gitarren-Solo reißt Löcher in die Gemütlichkeit und vermittelt den Eindruck, als würde sich die Behäbigkeit auflösen. Aber das Gegenteil ist der Fall. Das Stück versinkt in einem verträumten Zustand, aus dem es auch vom Gesang zunächst nicht erweckt werden möchte. Dann setzt der schläfrige Beat vom Beginn wieder ein und Gitarren-, Piano- und Mundharmonika-Einschübe verzieren den Weg. Das über elf Minuten lange Stück läuft sich jedoch fest. Für die Überlänge fehlt es trotz aller Bemühungen, die Komposition lebendig zu halten, an spannenden Ideen.
Die fließende Komponente von „In Chains“ suggeriert Fortbewegung, endlose Highways und Fernweh. Der Gesang steigert sich dazu allmählich beinahe ins Euphorische und der Takt treibt unnachgiebig an. Aber es herrscht nicht eitel Sonnenschein, Zweifel machen sich breit, denn Liebe wird mit Qual gleichgesetzt.
Flehende Töne werden dann bei „Clean Living“ vermittelt und „You Don't Have To Go“ entwickelt aus der Gelassenheit heraus langsam eine hypnotische Sogwirkung. Vielleicht haben der Ortswechsel und die veränderte Arbeitsweise damit zu tun, dass die neuen Songs bei aller Nachdenklichkeit nicht mehr so depressiv daherkommen wie noch beim Vorgänger: Trotz des häufigen Einsatzes eines stoischen Hypno-Beats vermitteln die Tracks oft einen meditativen Charakter. „Lost In A Dream“ entstand unter bedrückenden Verhältnissen, die negativen Stress hervorriefen. Dieses Mal gab es aufhellende Faktoren. The War On Drugs bewegen sich aktuell auf dem Weg vom ernsthaften Sound für Individualisten zum gehobenem Mainstream für Jedermann.
Adam Granduciel versucht eine Reduktion auf das Wesentliche bei gleichzeitiger Verbindung von eigenständigen und etablierten Rock-Klängen durchzusetzen. Diese Methode ist dann schlüssig, wenn sie nicht Gefahr läuft, ins esoterische Gesäusel abzugleiten. Der Sound nähert sich zwar ab und zu weichgezeichneten oder verträumten Gefilden, es wird aber in der Regel versucht, ihn durch sperrig-eckige Einwürfe wieder in eine belebende Reize aussendende Spur zu bringen. Die neue Platte ist zwar nicht das erhoffte Überwerk geworden, bietet aber trotzdem verlässliche Qualität auf einem gehobenen Niveau. Es wächst jedoch mit jedem Hören der Eindruck, dass manchen neuen Epen etwas mehr Biss, Druck und Straffung besser gestanden hätte, als die vermehrt auftretenden verträumten Schönklänge. Ob die neue Vorgehensweise dazu führt, dass sich die Songs nachhaltig durchsetzen und sich das Album im Alltagstest bewährt, wird erst die Zeit zeigen.

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