DJ ERNESTO CHAHOUD Presents TAITU: SOUL-FUELLED STOMPERS FROM 1960s-1970s ETHIOPIA.

Aus seinen mühevoll gesammelten Vinyl-Singles hat DJ ERNESTO CHAHOUD einen Überblick zusammengebastelt, der sowohl Ethno-Fans wie auch alternativen Club-Gängern gefallen könnte. TAITU: SOUL-FUELLED STOMPERS FROM 1960s-1970s ETHIOPIA heißt das Werk, dessen Rezension hier nachgelesen werden kann:
Die Bergung des Ethio-Sounds aus den 1960er und 1970er Jahren ist sowohl kulturhistorisch wertvoll wie auch für die alternative Club-Szene eine Bereicherung.
Afrikanische Popmusik hat Konjunktur. In den letzten Jahren wurden zum Beispiel einige wichtige und interessante Bands aus Mali, die dem sogenannten Desert-Blues zugeordnet werden, auch bei uns bekannt gemacht. Dazu gehören unter anderem Tamikrest und Tinariwen. Aber Äthiopien, das im Nordosten am Horn von Afrika liegt, ist eher selten in den Fokus von Musikliebhabern gerückt. Der libanesische DJ und Plattensammler Ernesto Chahoud hat als Spezialist für die Tanz- und Populärmusik der 1960er und frühen 1970er Jahre aus diesem Land nun zweiundzwanzig Tracks von seltenen Singles zusammengestellt, die zeigen, dass es vor dem Sturz des Kaisers Haile Selassie im Jahr 1974 eine muntere, nach allen Seiten offene Musikszene gab. Jazz, Soul, Funk, Rhythm & Blues, Latino-Takte und traditionelle Töne wurden damals munter und kenntnisreich zusammen gebracht. Die Zusammenstellung „Taitu: Soul-Fuelled Stompers From 1960s-1970s Ethiopia“ zeigt die ganze Bandbreite der damaligen lebendigen Musikszene:
Einen instrumentalen, gemächlichen R&B-Schleicher für Langsam-Tänzer hat sich Mulatu Astatke 1970 mit „Emnete“ ausgedacht. Das kubanisch anmutende Jazz-Piano, dröhnende Trommeln und knurrende Bläser sorgen für einen beweglichen Ablauf. Kurze monotone Funk-Bläser-Riffs sind ein bestechendes Merkmal des scharfen Rhythm & Blues-Krachers „Hasabe“ von Teshome Meteku, das eine 1969er-Gesangs-Version von „Emnete“ ist. Birkineh Wurga stützt sich bei „Alkedashim“ durch die spitzen kurzen Gitarren Licks auf den Funk, durch das überblasene Saxophon auf den Jazz und durch die fetten Bläsersätze auf den R&B. Der Schwung des vollblütigen Funk leidet bei „Endiet Zenegashiw“ von Selomon Shibeshi leider unter dem leiernden Gesang. Alemayehu Eshete wird oft als James Brown Äthiopiens bezeichnet. „Chiro Adarie Negne“ zeigt exakt auf, warum das so ist. „Ewnetegna Feker“ von Hirut Bekele war die erste Single, die Ernesto Chahoud nach dem Bürgerkrieg im Libanon auf den Flohmärkten der Stadt an äthiopischer Musik entdeckte. Selbst bis nach Äthiopien führten also die Spuren des Reggaes. Bei seiner Spurensuche in Addis Abeba traf Ernesto sogar eine Person, die die Sängerin Hirut Bekele persönlich kannte und berichtete, dass sie unter sehr ärmlichen Verhältnissen lebe.
Swing und Blues wurden von Bezunesh Bekele mit The Bodyguard Band für „Felagote“ im Jahr 1974 auf eigentümliche Weise tanzbodentauglich verarbeitet und aus solchem Stoff wie „Mekeyershene Salawke“ von Alemayehu Eshete leitet Nick Waterhouse noch heute seine knackigen R&B-Kracher ab. Die Bläser schlagen Alarm, der Gesang ist aufgebracht und der Rhythmus stolpert atemlos beim Jazz-Funk „Aykedashim Libe“ von Tilahun Gessesse, des bekanntesten Sängers Äthiopiens der damaligen Zeit. „Teleyeshign“ von Merawi Yohannis sowie „Temelese“ von Hirut Bekele & Alemayehu Eshete würden prächtig auf eine Groove-Jazz Zusammenstellung wie Mojo-Club oder Mod-Jazz passen. Polyrhythmen, die an die Karibik denken lassen, umkränzen die repetitiven Schmäh-Gesänge auf „Ebo Lala“ von Seifu Yohannes.
Mantraartige Gesänge alleine reichen nicht für einen packenden Song. Auch die freien Saxophon-Passagen können bei Bezunesh Bekele`s „Aha Gedawo“ nicht vor sich breit machender Langeweile schützen. „Yeshebelewa“ von Alemayehu Borobor ist traditionell-folkloristisch geprägt. Die musikalischen Wurzeln verschwimmen zwischen Afrika und Asien. Einflüsse aus Soul und Blues treten hier in den Hintergrund. Hypnotisch beschwörenden Voodoo-R&B gibt es bei „Mela Mela“, dem zweiten Stück von Seifu Yohannes, zu hören. „Sigibgib Joroye“ von Tilahun Gessesse ist ein cooler Jazz-Schleicher und Alemayehu Eshete zündet mit „Gizew Honeshyna“ spannungsgeladenen Jump-Blues. Getatchew Kassa`s „Fikrishin Eshaleyu“ verbreitet hitzigen R&B und versieht ihn mit Funk-Abstechern. Blues und Psychedelic-Rock bilden das Gerüst für „Almokerkum Nebere“ von Hirut Bekele, während Muluken Melesse mit „Alagegnhwatem“ im Niemandsland des Psychedelic-Jazz umher dümpelt. Schwüler Late-Night-Jazz wird von Menelik Wossenachew mit „Tezeta“ zelebriert. „Ene Yewodedquat“ ist ein strammer Funk mit Progressive-Rock-Touch, stammt von Tamrat Molla und geht als außergewöhnlicher Schlusspunkt durch.
Das ist eine große musikalische Bandbreite, die von den äthiopischen Musikern mit Begeisterung und Energie dargeboten wird. Die Soundqualität ist ausgesprochen gut. Jedenfalls gemessen an der Tatsache, dass die Musik ausschließlich aus Vinyl-Singles stammt, die von Flohmärkten im Nachkriegs-Beirut stammen. Da gibt es natürlich auch historische bedingte Einschränkungen. Der in religiösen und ethnischen Kulturen verwurzelte Gesang macht es unseren Ohren allerdings oft schwer, sofort Zugang zur Musik zu erhalten. Auch wenn die afrikanische Vertonung melodisch vorgetragen wird, wirkt sie für westeuropäische Ohren immer noch fremd, denn hier prallen Kulturen aufeinander, die für unsere Ohren nicht füreinander gemacht zu sein scheinen. Die Worte wirken ungewohnt und sperrig und scheinen die Energie der Instrumente teilweise auszubremsen.
Die instrumentale Basis ist jedoch stets leidenschaftlich und kompetent. Deshalb sind die instrumentalen Stücke und Passagen anfangs wesentlich leichter nachzuvollziehen. Sind diese anfänglichen Hürden erst einmal genommen, macht sich die mitreißende Wirkung der Klänge breit und die Sprach- und Kulturbarriere spielt keine große Rolle mehr. Musik verbindet eben weltweit aufgrund seiner Ausstrahlung. Wie ansteckend das ist, kann im Internet bei einem Auftritt von Ernesto Chahoud im Boiler Room in Beirut nachvollzogen werden.
Als Ernesto auf Spurensuche nach der äthiopischen Tanzmusik in Addis Abeba war, hatte er sich im Taitu-Hotel eingemietet. Zu seinem Erstaunen war das Gebäude völlig ausgebrannt. Trotzdem wies man ihm ein noch nach Rauch stinkendes Zimmer mit defekter Toilette, winzigem Fenster und miserablem Bett zu. Seine späteren Erlebnisse bei dieser Entdeckungsreise waren nicht weniger abenteuerlich, hielten ihn aber nicht von dem Vorhaben ab, diese Zusammenstellung fertig zu stellen. Und das ist gut so, denn so wird ein wichtiges Kulturgut bewahrt, welches auch ein Symbol für freie Kunst und Musik in der Region darstellt. Außerdem kann das Ganze unter den richtigen Rahmenbedingungen durchaus zu einem vergnüglichen Tanzabend beitragen, was die Wichtigkeit dieser Ausgrabungen noch mehr bestätigt.
Und hier kann ERNESTO CHAHOUD bei der Arbeit beobachtet werden:


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