RIOPY - Riopy (2018)

Der Pianist Riopy denkt sich Klangfolgen aus, die das Gemüt bewegen und den Geist erwecken. Und das, ohne verkrampft intellektuell oder esoterisch verschwommen zu sein.

Piano-Solo-Musik hat einen elitären Anspruch. Meistens. Oder sie wird für esoterisches Gesäusel missbraucht. Aber das muss nicht sein. Der Franzose RIOPY hat sich Akkordfolgen ausgedacht, die beide Vorurteile umschiffen. Neugierig geworden? 

Es ist ein schmaler Grat zwischen esoterisch verschleiertem Geklimper und kammermusikalisch entrückter Klaviermusik. Aber dieser Unterschied ist entscheidend dafür, ob Töne als manipulativer Kaugummi fürs Gehirn oder als Seelenbalsam wahrgenommen werden können. Der französische Pianist Jean-Philippe Rio-Py, der sich Riopy nennt, gehört zu der Fraktion der Schöngeister, die sich wahrscheinlich um diese Unterscheidung gar keine Gedanken macht, sondern ihren Gefühlen beim Spielen einfach freien Lauf lässt. Da stört es eher, dass den Titeln verfängliche Namen wie „I Love You“ gegeben werden. Das behindert die freie Assoziation und sollte beim Hören nicht so ernst genommen werden.
Wem die Piano-Solo-Sachen von Keith Jarrett zu akademisch sind oder wem klassische Klavierkonzerte zu steif vorkommen, wer aber trotzdem einen Hang zu melodischer Klaviermusik hat, für den kann Riopy die richtige Wahl sein. Der Künstler spricht davon, dass für ihn ein einziger Akkord eine Symphonie von Emotionen wecken kann. Seine Inspirationen zieht er aus dem geduldigen Vorgehen der Minimalisten Philip Glass und Michael Nyman sowie aus den romantischen Bezügen der Ideen von Frédéric Chopin und Franz Schubert. Daraus formt er bei der Entwicklung seiner Kompositionen eine eigene Ablauf-Logik, die wie eine mathematische Formel funktioniert und bringt seine persönlichen Wertvorstellungen in dieses Konstrukt ein.
Der Autodidakt vermittelt eine erfrischende Leichtigkeit bei gleichzeitiger Konzentration auf klar strukturierte Abläufe. Romantische und spritzige Passagen geben sich die Klinke in die Hand und werden souverän und detailreich interpretiert. Man kann sich der Musik einfach bedingungslos hingeben, ohne das Gefühl zu haben, absichtlich eingelullt zu werden. Entweder können die Töne zweckgebunden als Unterstützung für konzentrierte Selbstentspannung genutzt oder aber als anregendes Hörerlebnis wahrgenommen werden. Beides funktioniert erstaunlicherweise gleich gut.
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„I Love You“ perlt zunächst schnell und klar wie ein Gebirgsbach, der sich seinen Weg kraftvoll durch das junge Flussbett bahnen muss. Nach einem kurzen ruhigen Verlauf nimmt das kühle Nass dann wieder an Fahrt auf. Wie schon erwähnt, kann die Deutung von Tonfolgen bei instrumentaler Musik ganz andere Vorstellungen erwecken, als es der gewählte Kompositions-Name eigentlich hervorrufen möchte. „On A Cloud“ vermittelt heitere Romantik und löst diesen angeblichen Widerspruch auch nicht auf. „Golden Gate“ hat eine differenzierte Melodie, zu der Gesang erwartet wird. Diese Einfälle könnten sich als Vorlage für einen Song von Elvis Costello oder Ron Sexsmith eignen. Auch „La Vie“ zeigt Qualitäten, die diesen Einfall mit einer einfühlsamen, passenden Stimme zu einer berührenden Ballade machen könnte.
Forsch vorwärts strebend entführt „And So Forth“ in klassische Gefilde, ohne dabei kräftige, bodenständige Jazz-Akkorde in der Tradition von McCoy Tyner zu verleugnen. Das kurze „Interlude In A Minor“ beweist Fingerfertigkeit, verkommt aber nicht zur reinen Technikdemonstration, sondern bewahrt sich den erschreckten Reiz eines alarmierenden Ausdrucks. Tieftraurig tropfen die Noten anfangs bei „Old Soul“ in den Raum. Die Stimmung kommt im Verlauf über eine Grundmelancholie nicht hinaus, weist aber neben dunkle auch hellgraue Schattierungen auf. „Attraction“ transportiert Eleganz, Ehrgeiz, Willensstärke und Kraft. Die Töne erwecken den Eindruck, als könnten sie aufgrund ihrer Dynamik Mauern zum einstürzen bringen. „New York“ scheint ohne Worte eine Geschichte erzählen zu wollen. Eine Geschichte vom Lieben und Leiden oder von erfüllten und enttäuschten Hoffnungen.
„Minimal Game“ macht seinem Namen alle Ehre. Sich wiederholende und beinahe unmerklich verändernde Verläufe bestimmen das Stück und lassen die Zeit anscheinend gedehnt ablaufen. Die Nachdenklichkeit von „From You“ wird nur selten von spritzigen Tonfolgen unterbrochen und „Wyden Down“ klingt stellenweise so vollmundig, als würden zwei Klaviere zu hören sein. Dann gibt es noch trotzig hämmernde Solo-Passagen, die sich stur gegen die Isolation durchsetzen. Die Notenfolgen von „Forgive Me“ hören sich wie leise Anklagen an. Oder wie das reumütige Flehen nach einem großen Fehler. Hier kann also relativ eindeutig eine Verbindung zum Titel hergestellt werden. „Sunrise“ verbreitet gedämpften Optimismus und nutzt dafür Motive, die an der klassischen Klaviermusik angelehnt sind. Verspielt und ohne festes Ziel tanzt „Lost Soul“ wie ein Schmetterling im lauen Frühlingswind dahin. „Drive“ ist zum Schluss mit fünf Minuten das längste Stück der Platte und zeigt sich dynamisch, wuchtig und robust.
Für ein fast einstündiges Piano-Solo-Werk ist „Riopy“ erstaunlich abwechslungsreich und vielseitig geworden. Der Pianist versteht es, seine Hörer in einem überstrapazierten Musik-Zweig durch Klänge bei Laune zu halten, die nicht zwanghaft Genre-Erwartungen erfüllen müssen. Er weiß, dass die Erzeugung von Emotionen genauso wichtig ist, wie die Verwendung von einprägsamen Melodien und das Berücksichtigen von überraschenden Wendungen. Dadurch kommt keine Gewöhnung auf und der Hörer lässt sich nicht so schnell ablenken. Die Kompositionen des liberalen Musikers fanden Anwendung als Filmmusik, als Untermalung von Dokumentationen und wurden für Werbespots eingesetzt. Jean-Philippe Rio-Py bietet eine intelligente Lösung in einem Bereich der Musik, der bisher hauptsächlich für das Bildungsbürgertum reserviert gewesen ist. Er holt das Solo-Piano aus der elitären Nische heraus und schenkt es jedem aufgeschlossen Hörer, der Freude an transparenter Instrumentalmusik hat.

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