BELLE AND SEBASTIAN - How To Solve Our Human Problems (2018)

Die neue CD setzt sich aus 3 EPs zusammen, bietet also 15 neue Songs und heißt HOW TO SOLVE OUR HUMAN PROBLEMS.

Die Metamorphose vom tiefgründigen Folk- zum allumfassenden Pop-Ereignis haben Belle And Sebastian längst vollzogen. Ihre Identität haben sie inzwischen in der Vielfalt gefunden.


„How To Solve Our Human Problems“ von Belle And Sebastian ist ein Projekt, das ursprünglich aus drei EPs mit jeweils fünf Stücken bestand, welche zwischen Dezember 2017 und Februar 2018 erschienen. Jetzt gibt es alle fünfzehn Aufnahmen gebündelt auf einer CD.
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Der ab 1996 auf Tonträger veröffentliche kammermusikalische Folk-Pop der Schotten war zunächst überwiegend intim-depressiv gehalten und ist im Laufe der Jahre einer offenen Pop-Haltung gewichen. Das heißt, Stuart Murdoch & Co. ließen alle Strömungen und Einflüsse zu, die dazu beitrugen, dass ihre Songs die nötige Bodenhaftung und den aufbauenden Elan bekamen, um den gewünschten Ausdruck exakt darstellen zu können. Soul, Funk, Gospel, Rock & Roll, Jazz, Folk, Country, Blues, lateinamerikanische Rhythmen, Chanson und Cabaret - alles ist erlaubt, was Spaß macht und die Sinne anregt. Auf der Bühne funktioniert dieses Spiel mit Melancholie und Euphorie übrigens ganz hervorragend und wie selbstverständlich. Auf dem beeindruckenden „Girls In Peacetime Want To Dance“ von 2015 ist der Kontrast zwischen Nachdenklichkeit und Partystimmung auch schon entsprechend deutlich ausgefallen.
„How To Solve Our Human Problems“ bringt Stuart Murdoch wieder einen Schritt näher an den Gipfel des Pop-Olymps. Es fehlt nur noch eine besondere Situation, damit sich selbst multiplizierende Kräfte in Gang setzen, die die Formation zu einem medialen Großereignis werden lassen. Zumindest bietet die Platte genügend musikalischen Zündstoff, die diese Kettenreaktion in Gang bringen könnte: Das sechseinhalb minütige Psychedelic-Pop-Chanson „Sweet Dew Lee“ zeigt die genussvolle, berauschende und vollmundige Seite von Belle And Sebastian in opulenter Ausprägung. Die dominanten, treibenden Dance-Beats von „We Were Beautiful“ werden von schwelgerischen Singer-Songwriter-Strukturen überlagert, so dass sich der Track wie ein verirrter, barocker Country-Folk anhört. Der intime Charakter von „Fickle Season“ erinnert an die sensiblen Songs der Band zu Zeiten von „Fold Your Hands Child, You Walk Like A Peasant“ aus dem Jahr 2000 und „The Girl Doesn't Get It“ präsentiert ausgelassenen, verspielten Pop, wie er in den 1980er Jahren z.B. von Squeeze ausgedacht wurde.
„Everything Is Now“ gibt es in zwei Ausprägungen: Die erste Version wird durch eine gemütliche Hammond-Orgel, eine verklärte Querflöte und eine im Zaum gehaltene E-Gitarre mit malerischen Soli bestückt. In der Fassung mit Lead-Gesang wird aus „Everything Is Now (Part Two)“ ein gefühlvoller Pop-Song mit dramatisch-romantischem Kern entwickelt. Mit albernem Singsang beginnt „Show Me The Sun“. Donnernde Trommeln, ein grummelnder Bass und quengelnde Gitarren übernehmen dann das Ruder bei diesem selbstbewusst auftrumpfenden Pop-Song. Der belebende Motown-Soul der Supremes findet eine erfrischende Neuauflage in „The Same Star“, während „I'll Be Your Pilot“ unwiderstehlich schön barocke Eleganz ausstrahlt. Und das nicht nur durch die überirdisch erhabene Oboe, sondern auch aufgrund der raffiniert verschachtelten Melodie, dem sympathisch einnehmenden Gesang und der transparenten, aber dennoch raumfüllenden Instrumentierung. Aufgrund seiner gediegenen Souveränität ist das Lied schon jetzt ein heißer Kandidat für den Song des Jahres 2018. Stuart Murdoch schrieb „I'll Be Your Pilot“ als er Vater wurde. Er fühlte sich dabei ein wenig wie der Pilot aus der Geschichte „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry. Deshalb gibt es auch die Anspielungen auf die Wüste Sahara.

„Cornflakes“ klingt, als hätte sich aus Versehen eine aufgedrehte Electro-Pop-Nummer der Pet Shop Boys zwischen die Auswahl geschummelt. Bei „A Plague On All Other Boys“ trägt nicht nur die Oboe zu einer feierlichen Stimmung bei. Das Lied vermittelt insgesamt einen spirituellen Eindruck. „Poor Boys“ lebt von einem strammen Disco-Beat, kann aber wegen der spröden Melodieführung nicht ganz überzeugen. „Too Many Tears“ ist so leicht und unbekümmert, dass es sogar in Milch schwimmen oder in Musicals zum Einsatz kommen könnte. Melodischen Folk-Pop mit eingebauter Lagerfeuerromantik bietet „There Is An Everlasting Song“ und der mädchenhafte Gesang bei „Best Friend“ erinnert an den Sound von ausgelassenen Girl-Groups der 1960er Jahre wie The Shirelles, The Paris Sisters, The Blossoms oder The Exciters.
Stuart Murdoch arbeitet an der Kultivierung eines universellen Pop-Sounds, der sowohl wehmütige, nachdenkliche Stimmungen abdeckt, aber auch Spaß und Lebensfreude nicht zu kurz kommen lässt. Durch wechselnden Lead-Gesang wird das Ausdrucksspektrum dabei enorm ausgeweitet. Das geht zwar eventuell zu Lasten eines eindeutigen Wiedererkennungswertes, bringt aber zusätzliche Pluspunkte bei der Bewertung des Abwechslungsreichtums. Das zehnte Werk von Belle And Sebastian ist oft hochmelodisch und wurde klug sowie phantasievoll arrangiert. Es schmiegt sich nahtlos in den Back-Katalog des Musiker-Kollektivs ein und vermittelt mit seiner bedeutsamen Würde und ungezwungenen Ausgelassenheit den Eindruck, als sei ein guter Freund zu Besuch gekommen.

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