John Grant - Love Is Magic (2018)

Kontrastprogramm: Schrille Elektronik und demütige Melancholie werden von John Grant für "Love Is Magic" kombiniert.
John Grant hält sich nicht zurück, wenn es darum geht, seine Lebenserfahrungen preiszugeben. Für ihn, der schon einiges durchmachen musste, scheint dieses Vorgehen eine Art von Therapie zu sein. Aufgrund seiner Homosexualität wurde er diskriminiert, was ihn irgendwann aus der Bahn warf. Drogenkonsum und psychische Störungen waren die Folgen. Selbst seine HIV-Infizierung machte John bei einem Konzert öffentlich und riskierte dadurch weitere Ablehnung. Aber heute scheint der etablierte Musiker gefestigt zu sein, lebt nach einer schmerzlichen Trennung in einer neuen Beziehung in Reykjavik auf Island und bringt jetzt mit „Love Is Magic“ sein viertes Studio-Album raus.
Grant wurde 1968 in Michigan geboren und wuchs in Colorado auf. Als Kind lernte John Klavier spielen und sang im Kirchenchor. Nebenbei verfolgte er viele Arten von Musik und hörte unter anderem ABBASupertrampNina Hagen und The Carpenters. Nachdem sein Deutsch- und Russisch-Studium, das in Deutschland absolviert wurde, abgeschlossen war, ging der Hüne 1994 zurück in die USA und gründete die Alternative-Folk-Band The Czars, die sich 2004 wieder auflöste. Außerdem arbeitete er als Dolmetscher in einem Krankenhaus und als Kellner in einem Nobel-Restaurant. 2010 brachte der Musiker sein erstes eigenes, emotional aufwühlendes Werk auf den Markt („Queen Of Denmark“), welches zusammen mit Midlake als Backing-Band entstand. „Love Is Magic“ stellt Grants Liebe zu den Synthesizer-Klängen der 1980er Jahre heraus, die für sein neues Werk exzessiv eingesetzt wurden. Bei der Umsetzung unterstützte ihn der Elektronik-Künstler Benge. Das ist Ben Edwards, der mit Stephen Mallinder von Cabaret Voltaire in der Band Wrangler spielt. Die Platte hält aber auch Momente von inniger Einkehr und introvertierter Ruhe bereit.

Für den Track „Metamorphosis“ geben zunächst harte, angeschrägte, elektronisch erzeugte Töne, die an Devo oder die Sparks erinnern, die Richtung vor. Zusätzlich erfährt der Song noch eine Anreicherung mit albernem Gesang. Nachdem sich die Verwunderung gelegt hat, schaltet der Fünfzigjährige in einen traurig schwebenden Modus um. Der Irrsinn holt ihn aber kurz darauf wieder ein. Der Refrain des Songs „Love Is Magic“ hat die Anmut eines Chorals von Johann Sebastian Bach und das Lied erreicht in etwa die Ergriffenheit von „Drug“, einem der Vorzeigestücke der Czars von „The Ugly People Vs. The Beautiful People“ aus 2001. Völlig tiefenentspannt verbreitet John hier eine heimelige Gefühlslage. 

Bei „Tempest“ geben die Maschinen einen unruhigen Rhythmus vor und simulieren nebenbei Computerspiel-Geräusche. Für das aufgestachelte „Preppy Boy“ wird dann der tanzwütige Disco-Sound der 1970er Jahre klischeehaft übersteigert.
„Smug Cunt“ ist ein dramatisch-entrücktes Lied, welches alleine aufgrund des lieblichen Gesangs, der zuckerfrei dargeboten wird, betört. Die Interpretation drückt gesanglich Leid und Hoffnung gleichermaßen aus. John lebt seine Vorliebe für die quietschend bunten Klänge des New Wave der 1980er Jahre bei „He' s Got His Mothers Hips“ voll aus. Das mit Spoken-Words durchzogene „Diet Gum“ zeigt sich danach als Versuch, den Maschinen-Sound von Devo wiederzubeleben. Grant verliert hier seine Linie, was erst einmal kein Nachteil sein muss. Es ist jedoch bedenklich, dass kein gleichwertiger Ersatz dafür gefunden wird. Die verwendeten stupiden Klänge sind aus der Disco-, Kraut-Rock- und New Wave-Zeit hinlänglich bekannt und fügen der Sensibilität des Künstlers keine neuen Aspekte oder berauschende Effekte hinzu.
Das langsame Stück „Is He Strange?“ trägt Züge von Verzweiflung sowie Hoffnung, denn John ist in der Lage, beide Gefühle über dieselben Noten auszudrücken. Seine Leidenschaft sind neben der Musik auch Sprachen. Er beherrscht unter anderem deutsch, russisch, isländisch und spanisch fließend und setzt sich beim Lernen gerne intensiv mit der Grammatik und den Eigenarten der Linguistik auseinander. Für „The Common Snipe“ gibt John eine Kostprobe seiner isländischen Sprachkenntnisse. Die elektronische Begleitung erinnert dabei teilweise an die Exotik des japanischen Yellow Magic Orchestra. „Touch And Go“ orientiert sich danach am Soft-Rock der 1970er Jahre und baut ein sentimentales Stimmungsbild auf. Das barock anmutende Lied sorgt für Behaglichkeit und bringt durch das vergnügte Synthesizer-Solo noch etwas Frohsinn ein.
Das letzte Stück des Albums macht noch einmal deutlich, dass Johns große Stärke in der Verarbeitung und Darstellung von herzzerreißenden Gefühlen liegt. Wird dieser Ausdruck dann noch durch eine adäquate Instrumentierung unterstützt, brechen alle Dämme und man ist dem Troubadour rettungslos verfallen. Grants seriöse Stimme zeugt von großer Aufrichtigkeit und Güte. Sie ist oft beherrscht, entwaffnend friedvoll und grade dadurch mächtig. Selbst die kitschigsten, billigsten und krampfhaft lustigen Elektronik-Spielereien verlieren ihre künstliche Aufdringlichkeit, wenn der Gesang gefühlvoll eingesetzt wird. Die Schwingungen treffen mitten ins Herz und lassen jede noch so missliche Situation sofort erträglicher erscheinen. Aber John geht nun mal nicht immer den sicheren, einfachen Weg und das zeichnet ihn doppelt aus. Die Elektronik bietet manchmal einen schrillen Gegensatz zum introvertierten Gesang, sobald die schmeichelnde Stimme nicht mit mitfühlenden Tönen gestreichelt wird. Die synthetisch erzeugten Klänge stehen dann im harschen Kontrast zu den tiefgreifenden, natürlichen Schwingungen.
Laut John fängt sein neues Werk die Absurdität und Schönheit des Lebens ein. Diese Brüche werden genutzt, um teilweise eine paradox wirkende Stimmung zu erzeugen. Das gelingt nicht immer überzeugend, weil manchmal die Songsubstanz diesen hohen Anforderungen nicht stand hält. Es ist aber auch eine Herausforderung, diese emotionale Achterbahnfahrt als Hörer nachzuvollziehen. Eine Belohnung in Form von sich langsam entwickelnden Ohrwürmern erfolgt dann erst nach einigen Durchläufen. „Love Is Magic“ ist also auf interessante Weise zwiespältig und kann deshalb wahrscheinlich nicht jeden Hörer gänzlich zufrieden stellen. Aber mit der intensiven Auseinandersetzung steigt auch die Quote der als gelungen empfundenen Songs, denn Komplexität braucht eben Zeit, um sich zu entfalten.

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