The Kinks - THE KINKS ARE THE VILLAGE GREENPRESERVATION SOCIETY (1968)

Verkanntes Konzeptalbum: 1968 wurde THE KINKS ARE THE VILLAGE GREEN PRESERVATION SOCIETY nicht angemessen gewürdigt, inzwischen gilt es als Meisterwerk. 

1968 war ein unruhiges Jahr: Der Vietnam-Krieg tobte, der Prager Frühling führte zur Eskalation des Ost-West-Konfliktes, das afrikanische Biafra durchlitt eine Hungerkatastrophe, die Morde an Martin Luther King und Robert Kennedy erschütterten die Weltöffentlichkeit und in Deutschland führten Studentenproteste zu heftigen Kontroversen. Das Jahr hat aber auch einige wegweisende Musik-Veröffentlichungen hervorgebracht, die jetzt mit Sonder-Editionen zum 50jährigen Bestehen gefeiert werden. So wie unter anderem das zweite Album von The Band, das „White Album“ der Beatles, „Beggars Banquet“ von den Rolling Stones und „Electric Ladyland“ von Jimi Hendrix. Bei den Aufzählungen der Highlights des Jahres darf aber auch „The Kinks Are The Village Preservation Society“ nicht vergessen werden. Das Album entstand allerdings ausgerechnet zu einer Zeit, in der die Zeichen für ein Weiterbestehen der Band grade sehr schlecht standen.
Die britischen The Kinks waren Mitte der 1960er Jahre mit ein paar ruppigen Rhythm & Blues-Hits wie „You Really Got Me“ und „All Day And All Of The Night“ in ihre Karriere gestartet und somit direkt im Fahrwasser solcher Bands wie ThemThe Rolling Stones und The Who gelandet. Chef-Songwriter Ray Davies entwickelte sich schnell zu einem sensiblen Pop-Künstler mit ausgeklügelten Songs weiter, die auch Ideen aus dem Umfeld des Unterhaltungstheaters aufsaugten. Die dabei entstandenen sympathisch-spleenigen Lieder beschäftigten sich auch mit dem konservativen Leben der einfachen Bürger und brachten Davies dazu, auf Albumlänge in Konzepten zu denken. Das stand im Konflikt zur Forderung der Plattenfirma, die eingespielte Hit-Maschine nicht versiegen zu lassen. Tatsächlich schien sich der Stern der Band 1968 im Sinkflug zu befinden: Erstmals seit vier Jahren erreichte mit „Wonderboy“ eine Single nicht die Top 20. Die Tourneen (teilweise in Begleitung der Soft-Beat-Band The Herd) waren nur mäßig besucht und die Konflikte innerhalb der Gruppe eskalierten immer wieder, teils sogar auf offener Bühne.
Dennoch arbeitete Ray Davies weiter an einem Konzeptalbum. Bei all dem Frust und Ärger hatte er die Idee von einem idyllischen Zufluchtsort im Kopf, der auf dem bereits 1966 geschriebenen Barock-Pop „Village Green“ basierte. Davies hatte auch schon eine Reihe von Songs zusammengestellt, wie die Persönlichkeits-Skizzen „Do You Remember Walter“, „Monica“ und „Johnny Thunder“ und wollte seine Arbeit schnell zu einem vorzeigbaren Ergebnis führen, da die empfindliche Gruppendynamik zu bersten drohte. Zeitgleich verlangte das amerikanische Plattenlabel nach neuem Material für den dortigen Markt. Das „Village Green“-Konzept war nämlich zunächst für die britischen Hörer vorgesehen. Hastig wurden also fünfzehn Songs zusammengestellt, darunter „Village Green“-Sachen, Singles wie „Days“ sowie einige Outtakes. Das so entstandene Werk sollte unter dem Namen „Four More Respected Gentlemen“ in den USA erscheinen, wurde aber aufgrund von Reibereien zwischen der Band und dem Management wieder zurückgezogen und das machte den Weg frei für „The Kinks Are The Village Preservation Society“.


Dieses Konzeptalbum war eigentlich als Doppel-LP zum Preis von einer Platte vorgesehen, was aber von den Verantwortlichen abgelehnt wurde. Das Werk erschien zunächst fälschlicherweise mit nur zwölf Songs, bevor am 22. November 1968 die bekannte Version mit fünfzehn Liedern herauskam. Aus dem Blickwinkel der endenden Jugend dachte Ray Davies über die Veränderungen im Leben, die Übernahme von Verantwortung und die Konsequenz von wichtigen Entscheidungen nach. Das Album vermag das Alltagsgeschehen der einfachen Bevölkerung in entsprechend ehrlicher, nachvollziehbarer Form zu würdigen, darzustellen und textlich zu begleiten. Es richtet sich aber auch gegen Obrigkeitsdenken und setzt sich für den Schutz von regionalen Kulturen und Traditionen ein. Die abwechslungsreiche, mit klugen, manchmal wenig aufdringlichen, manchmal kraftvollen Kompositionen gefüllte Song-Sammlung kam aber weder beim Publikum (es fehlte eine Hit-Single), noch bei der Kritik (es passte nicht zum Zeitgeist) an. Es gab keine übertrieben lauten, schrägen Experimente und keine langen Gitarren-Soli, so dass die Gruppe nicht zu den grade angesagten Rock-Bands zu zählen war. Fehlanzeige auch bei leicht eingängigen Pop-Songs. Die im Vorfeld veröffentlichte und sehr aparte Single „Days“ befand sich nicht auf dem endgültigen 15-Track-Album. Dafür aber jede Menge andere, raffinierte, reife Lieder.
So wie „Last Of The Steam-Powered Trains“, das als Blues auf Basis des Themas von „Smokestack Lightning“ von Howlin` Wolf abläuft, sich zum attraktiven Pop entwickelt und mit dem Riff von der Kinks-Nummer „Till The End Of The Day“ endet. Die Songs vermitteln eine Vielzahl von Tugenden, Stimmungen und Erwartungen. So drückt das Stück „The Village Green Preservation Society“ Erfahrung, Abgeklärtheit, Vertrauen und Geborgenheit aus. Es sorgt mit seiner einnehmenden Melodie für einen charmanten Beginn, der die Musik unabhängig von der Stilfrage allgemeingültig darstellt.
„Do You Remember Walter?“ wirkt zielstrebig und lebensfroh. Der Track verbindet druckvollen R&B mit Feingefühl. Das hört sich an, als hätten die Small Faces zusammen mit den Beatles einen Song aufgenommen. „Wicked Annabella“ bleibt dagegen undurchsichtig, verhält sich geheimnisvoll, hin und wieder auch aggressiv grollend. Das märchenhaft-verspielte „Phenomenal Cat“ weist sogar surreale Züge auf und das beschauliche „Sitting By The Riverside“ gerät in einen unberechenbaren Strudel, der das Stück aus der Bahn zu werfen droht. Von den Bonus-Tracks ragt der R&B-Rohdiamant „She's Got Everything“ hervor. Er wurde seinerzeit als Single-B-Seite von „Days“ verheizt und besitzt einen unwiderstehlichen Groove, der ihn auf eine Stufe mit dem The Kinks-Hit „Til The End Of The Night“ stellt. Der einzige bisher unveröffentlichte „Time Song“ liegt für Raritätensammler als überarbeitete, schunkelnde Piano-Ballade vor.
Die Musik ist reich an Ideen, ohne sich zu verzetteln. Die Songs sind bodenständig, besitzen Witz und Biss, Raffinesse und Eingängigkeit. Die Kinks zitieren sich selbst und andere Bands, mit denen sie groß geworden sind. Sie offenbaren nicht nur ihre Leidenschaft für Blues, Rock & Roll, Jazz und Folk, sondern schöpfen auch aus historischen Musik-Traditionen. Sie huldigen keinem Trend, sondern entwickeln selber einen. Die Entwicklung des Pop-Albums als Gesamtkunstwerk hat mit „The Kinks Are The Village Preservation Society“ einen weiteren Meilenstein erhalten.
Die Jubiläumsausgabe gibt es als Einfach-CD mit dem Stereo-Mix, als LP oder Download. Die 2 CD-Version mit 49 klanglich überarbeiteten Stereo- und Mono-Mixen inklusive von neunzehn Bonus-Tracks lag als Grundlage dieser Rezension vor. Für den beinharten Fan wird auch noch eine Super-Deluxe-Box bereitgehalten. Sie enthält 5 CDs, eine Doppel-LP, eine Einfach-LP, drei Singles, einige Memorabilien und ein 52 Seiten dickes Buch. Insgesamt gibt es da 174 Audio-Tracks zu hören. Der direkte Hörvergleich zwischen der 2005er-Ausgabe und dem neuen Remaster ergibt keine sensationellen, sondern nur marginale Unterschiede in der Dynamik. Der Pop-Klassiker ist in der 2 CD-Version eine lohnende Anschaffung für all diejenigen, die das Album noch nicht im Plattenschrank stehen haben. Eingefleischte The Kinks-Fans werden allerdings nicht viel Neues entdecken können.

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