Xylouris White - The Sisypheans (2019)

Die bizarre, experimentelle traditionelle Folklore von Xylouris White ist bei "The Sisypheans" eine abenteuerliche, anstrengende Herausforderung für die Ohren.
George Xylouris ist ein Grieche aus Kreta, der die langhalsige kretische Laute spielt und dazu singt. Aber die Musik, die er zusammen mit dem australischen Dirty Three-Schlagzeuger Jim White entwirft, wird wohl in keiner Taverne seines Heimatlandes laufen. Zu wagemutig und unberechenbar sind die Töne, die sie für ihre Kompositionen zusammenstellen. Zu fremdartig ist ihre Verbindung von Avantgarde mit traditionellen Klängen, um damit ein Massenpublikum zu erreichen.
Jim White und George Xylouris, dessen Vater der in Griechenland berühmte Lyra-Spieler und Sänger Antonis „Psarantonis“ Xylouris ist, haben sich 1990 in Melbourne kennengelernt, als Vater und Sohn Xylouris dort ein Konzert gaben. George und Jim stellten fest, dass sie Fans voneinander waren und freundeten sich an. Allerdings spielten sie erst 2009 das erste Mal zusammen und gründeten 2013 das Projekt Xylouris White. Bisher legten sie mit „Goats“ (2013), „Black Peak“ (2016) und „Mother“ (2018) drei Alben in dieser Konstellation vor.
Das neue Werk "The Sisypheans" hält herbe, gewöhnungsbedürftige Klangfolgen bereit, die nichts für ungeduldige, harmonieverwöhnte Hörer sind. Für den Rock- und Pop-Liebhaber ist es daher schwer, die Enden der australischen Alternative-Rock-Szene und der alten griechischen Musik-Kultur zusammen zu knüpfen. Die Laute lässt „Tree Song“ zunächst wie einen atmosphärischen, weitläufigen Soundtrack für einen Roadmovie klingen, was an eine Auftragsarbeit von Ry Cooder erinnert. Die einsetzende Stimme von George Xylouris ändert dann das Erscheinungsbild völlig. Er singt auf Griechisch und vermittelt den strengen Eindruck eines Predigers aus dem Nahen Osten oder von Nord-Afrika. Für westliche Ohren ist das beinahe ein Kulturschock, wenn man nicht mit solchen Noten-Kombinationen aufgewachsen ist. Jim White begleitet dieses Geschehen dezent und trägt nicht zur Auflockerung der stimmlich verbissen wirkenden Darbietung bei. Sobald der Gesang aussetzt, stellt sich allerdings sofort eine vertrauensvoll-friedvolle Wirkung ein.
„Goat Hair Bow“ ist ohne Gesang, aber dennoch nicht weniger schwierig zu verdauen, da die eingesetzten Instrumente frei agieren wie beim Free-Jazz. Kratzige Töne erzeugen dabei Schwingungen, die an die Nerven gehen oder wie ein lästiges Insekt den Kopf umschwirren. „Heart's Eyes“ beginnt harmonisch-verspielt, erhält durch die weibliche Duett-Stimme auch eine gewisse Geschmeidigkeit und verbreitet eine angenehm wahrzunehmende orientalische Exotik. Der „Telephone Song“ taucht dann wieder tief in die altertümliche kretische Kultur ein und offenbart ein Melodieverständnis, das abseits der westlichen Harmonielehre angelegt ist.
Beschwörend, anbetend, wie in Trance beherrscht der Gesang bei „Black Sea“ das Geschehen, als würde er ein Eigenleben führen und wiegelt dabei nach und nach die Instrumente zur Revolte auf.
„Inland“ entwickelt hypnotische Rhythmen und schraubt sich dabei sozusagen in psychedelische Gefilde hoch. Beim „Wedding Song“ werden gebetsmühlenartig Verse zitiert. Melodie und Abwechslung bleiben dabei auf der Strecke. Für das unruhige, getriebene, mit dem Jazz verwandte „Ascension“ kann Jim White sein Talent dann etwas auffälliger demonstrieren. Ansonsten ist der versierte Drummer leider oft unterpräsentiert.
Die Musik ist starker Tobak und in etwa so subversiv wie die Aufnahmen des Folk-Freaks Richard Dawson. Alleine deshalb und weil die Stücke so ungewöhnlich und unnachgiebig intensiv sind, erfordern sie Durchhaltevermögen und einen Hang zur orientalischen Folklore, um entsprechend gewürdigt und verstanden zu werden. Wer also auf der Suche nach extravaganter Weltmusik ist, wird hier bestens bedient. Risikoscheue Hörer könnten es allerdings schwer haben, mit diesen unkonventionellen Klängen klar zu kommen.
Noch eine Anmerkung zu der Bewertung: Musik, die kompliziert und schwierig ist, muss deswegen nicht schlecht sein. Ganz im Gegenteil! Bei intensiver Beschäftigung damit kann sich ein unerwarteter, neuartiger Stellenwert ergeben. Es ist wahrlich eine Sisyphus-Aufgabe, sich dieser Musik zu nähern, aber wer nicht aufgibt, bekommt die Chance, seine musikalische Wahrnehmung nachhaltig zu beeinflussen. Eine Bewertung ist eigentlich kaum möglich, bzw. unfair oder ungenau, weil erst der gereifte, langfristige Eindruck aufgrund der schwierigen Sachlage darüber entscheiden wird, wie das Werk letztlich einzustufen ist. Schließlich ist ein Gedanke hinter „Sisypheans“ ja auch, dass bei jedem Hören oder Spielen nach Möglichkeit etwas Neues entdeckt werden soll, bis sich ein vollständiges Bild ergibt. Und diese Expedition ins Ungewisse benötigt eben Zeit.
Erstveröffentlichung dieser Rezension: Xylouris White - Sisypheans

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