Tindersticks - No Treasure But Hope (2019)

Die Hoffnung stirbt zuletzt und sie hält auch Einzug in "No Treasure But Hope" der Tindersticks.

Gute Laune geht anders. Seit die Tindersticks 1993 ihr gefeiertes Erstlingswerk herausgaben, kultivieren die Engländer um den mit sonorer Bariton-Stimme ausgestatteten Frontmann Stuart A. Staples die Melancholie zu einer eigenen, intensiven, unabhängigen Kunstform und sind so als Institution in schöner Gesellschaft von Joy DivisionNick CaveLeonard CohenScott Walker und Nick Drake. Selbst Bereicherungen des Sounds mit locker-swingenden Soul-Zutaten („Can Our Love“ (2001)) konnten nur gelegentlich gedämpften Optimismus spenden. Ansonsten regiert die Anmut der gepflegten Tristesse. Neben düsteren Soundtrack-Arbeiten für die Regisseurin Claire Denis (z.B. „Trouble Every Day“ (2001)) findet diese finstere Ausdrucksform bei „Ypres“ (2014) besonders bedrückende Begleitumstände. Hierbei handelt es sich nämlich um eine Klanginstallation, die als Dauerschleife in einem Museum läuft, das eine der blutigsten Schlachten des Ersten Weltkriegs mit hunderttausenden Toten dokumentiert. Nach dem ebenfalls bedrückenden Solo-Album von Stuart A. Staples aus dem letzten Jahr („Arrythmia“) veröffentlicht die Band mit „No Treasure But Hope“ jetzt nach „The Waiting Room“ aus 2016 wieder eine entspanntere Songsammlung in unterschiedlichen Grautönen.
Dunkle Romantik entfaltet seine einfühlsame Wirkung beim vom Klavier geführten „For The Beauty“, bevor der Sänger das Schöne mit seiner untröstlichen Stimme ins Verzweifelte zieht. Das Stück steigert sich ins Orchestrale, bewahrt dabei aber eine feinnervige melancholische Ausrichtung, indem es pompös und wallend wie ein Soundtrack zu einem dramatischen Breitwand-Epos ausgestattet wird. So schön kann Traurigkeit sein. Bei „The Amputees“ wird durch eine aktiv-frische Instrumentierung eine belebende Wirkung erreicht. Der Gesang transportiert als Kontrast dazu brennende Sehnsucht. „Trees Fall“ läuft melodisch relativ statisch ab, trägt aufkommende Resignation in sich, vermag jedoch trotzdem eine erwartungsvolle Spannung aufzubauen. 
„Pinky In The Daylight“ ist sowas wie tongewordene Zufriedenheit und Ruhe in den Augen des Tindersticks-Kopfes. Nach eigener Aussage hat er nun sein erstes richtiges Liebeslied geschrieben, was sich musikalisch in einem wiegenden, von griechischer Folklore heimgesuchten Stück voll von romantischer Klassik ausdrückt.
Die Piano-Ballade „Carousel“ kommt flüchtig, beinahe beiläufig rüber, trifft aber jeden Romantiker tief ins Herz. Die Melodie fließt dahin, wie Regen auf dem Asphalt, scheinbar gleichgültig, aber doch einer übergeordneten Regel gehorchend. Der Gesang passt sich dem unausweichlichen Ablauf an, bricht nicht aus, lässt sich im gelenkten Strom einer höheren Macht treiben, löst sich schließlich auf, verschwimmt mit dem Horizont und verschmilzt mit der Stille. Das ist Trostmusik, weil geteiltes Leid eben halbes Leid ist. Der Rhythmus im Stil eines Smooth-Bossa Nova fängt das verträumte „Take Care In Your Dreams“ vorsichtig auf und lässt den Song vorsichtig gleiten, wobei das Vibraphon glitzernde Orientierungspunkte setzt.
In „See My Girls“ macht sich eine Unruhe breit, die das Lied in einen Strudel aus beschwichtigenden und leidenden Geigen, Minimal-Art-Piano-Klängen, stichelnden E-Gitarren und einer stoisch im Herzschlag-Takt agierenden Rhythmus-Abteilung treibt. Unaufgeregtes Rezitieren in Verbindung mit unspektakulärem, warmherzigem Jazz lässt „The Old Mans Gait“ danach zu einem mühelos dahingleitenden Stück werden. „Tough Love“ steht quasi als Beispiel für die Reggae-Auffassung der Gruppe. Der üblicherweise unbeschwerte Jamaica-Sound wird hier in die musikalische Sprache der Tindersticks übersetzt: Leichtigkeit trifft auf Nachdenklichkeit und fusioniert zu einem Roxy Music-ähnlichem Chanson, das zum Ende hin richtig energisch wird. Stimme und Piano halten für das abschließende „No Treasure But Hope“ eine innige Zwiesprache, wobei das Instrument den Gesang trägt und dabei hilft, die bitter-süße Melancholie zu vertiefen. Ein würdevoller, ergreifender Ausklang.
„No Treasure But Hope“ transportiert zwar Wehmut und Traurigkeit, lässt aber auch Platz für Hoffnung und Glück. Nichtsdestotrotz ist das intensive Musik, die den Teilzeit-Melancholiker in seiner schwermütigen Haltung baden, aber nicht untergehen und alleine lässt, sondern ihn letztlich stützt und aufbaut. Obwohl die Tindersticks schon seit 1992 an ihrem Modell der epischen, bedrückten und gewichtigen Dramen arbeiten, haben sie noch keine mittelmäßige Platte gemacht und lassen keine Abnutzungen erkennen, weil Empathie und geistreich gestaltete Musik stets eine Einheit gebildet haben. Auch beim neuesten Werk gelingt es der Gruppe aus Nottingham mit einem verhältnismäßig breitem Gefühlsspektrum, welches von tiefer Betroffenheit bis hin zu einer hoffnungsvollen Perspektive reicht, den Hörer mit ihrem Klangkosmos zu verschmelzen und ihn geläutert zu entlassen.
Erstveröffentlichung dieser Rezension: Tindersticks - No Treasure But Hope

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