Carolina Lee - Haunted Houses

Carolina Lee imitieren mit "Haunted Houses" die stimulierende Wirkung der schummrigen Großstadt-Beleuchtung.

Carolina Lee ist eine Berliner Band, bestehend aus Nadja Carolina (Gesang, Kompositionen),
Simon Grote (Gitarre, Orgel, Gesang), Jule Schröder (Bass, Gesang) und Lutz Oliver (Schlagzeug, Gitarre). Die Entstehung des ersten Albums "Haunted Houses" wurde zusätzlich vom Produzenten Max Braun (Karwendel, BRTHR) an Gitarre, Synthesizer und Percussion unterstützt. Acht Tracks zieren das Werk, die in knapp 39 Minuten eine eindeutige Visitenkarte über das Musik-Verständnis des Kern-Quartetts abgeben.

Phasen der inneren Einkehr, der Besinnung oder der Fokussierung auf neue Ausrichtungen benötigen einen speziellen Soundtrack. In dieser Stimmung verlangt es nach Noten, die Verständnis und Klarheit ausdrücken, damit nicht etwa eine ausgeprägte Empfindsamkeit dieser Situationen das Urteilsvermögen trüben kann. Dabei sind dennoch gedeckte, originelle Töne hilfreich, weil sie die Bildung von effektiven Gedanken unterstützen. Es geht schließlich um die Ermittlung der Wahrheit - gegenüber der Sachlage und sich selbst.

"Blossoms" läuft überlegt und ruhig ab. Der Track wagt sich aus einer gesicherten Deckung hervor, welche durch das zarte Duellieren zweier E-Gitarren aufgebaut und dann wieder von der souverän-coolen Rhythmus-Arbeit behutsam abgefedert wird.  Die unaufgeregte Stimme von Nadja Carolina, die sich manchmal in nüchterne Sprechgesang-Ebenen begibt, fügt sich perfekt in das feinsinnige Instrumenten-Geflecht ein. Der Song sagt viel über die Einflüsse und Referenzen der Musiker aus: Velvet Underground um Lou Reed und John Cale sind nicht fern und die Gattung Folk-Jazz ist ein weiteres Stichwort, das den Sound umschreibt.
Bei "Down On My Uppers" wird selbst gegenüber dem bedächtigen Vorgänger anfangs noch ein Gang zurückgeschaltet. Moderate Dynamikabstufungen, die danach vorgenommen werden, lassen eine innere Spannung entstehen. Der Track wechselt quasi vom Folk-Jazz zum Jazz-Folk, das heißt, hier sorgen prägende klangmalerische instrumentale Einwürfe für eine beweglich-fantasievolle Beschaffenheit. Melodische Elemente verhindern als Gegengewicht dazu effektiv das Abgleiten in intellektuelles Gedudel. Die Schönheit des Klanges ist zu keiner Zeit in Gefahr. Ganz im Gegenteil! Sie erblüht erst durch sinn- und geschmackvolle Wendungen zu üppiger Pracht.

Bei der 5minütigen Ballade "Mirror Mirror" halten sich alle Beteiligten mit emotionalen Ausbrüchen zurück, sie pflegen stattdessen eine attraktive Tristesse, die für eine berauschende Entschleunigung sorgt.
Im Vergleich zu den anderen Stücken offenbart "Little Lines" deutliche Pop-Neigungen - natürlich nur soweit, wie sie in den Rahmen einer grundsätzlichen Folk-Noir-Ausprägung passen. Höre ich da etwa Vorlieben für die englischen Folk-Pop-Jazz-Legenden Pentangle um Bert Jansch, Danny Thompson, John Renbourn, Terry Cox und Jacqui McShee heraus?

Psychedelischer Folk-Rock der End-1960er Jahre hat bei "Forsaken In The Sky" deutliche Spuren hinterlassen. Schläfrig, ausgeruht, von jedwedem Ballast befreit zieht das Stück seine Runden und verströmt eine gelassen-weltabgewandte Einstellung, die wohltuend aus der Zeit gefallen ist.

Denkt man sich bei "Two Flowers" alle Instrumente außer dem Piano weg, bleibt ein Klang übrig, der nur vom Bauchgefühl und nicht von erlernten Mechanismen gesteuert zu sein scheint. Das ist die Basis eines Liedes, das womöglich als eingängig-sachlicher Folk-Song entstand, dann aber durch eine spontane, wundersame Eingebung eine innerlich befriedigende Wandlung erfahren hat.
Timing ist alles, Technik bedeutet nichts, wenn es um die Übermittlung von Gefühlen in der Musik geht. Manchen ist der Groove wichtig, andere legen Wert auf belebende Klangfarben. "Crossroads" hat beides - sofern es überhaupt einen Unterschied gibt - und lebt von Originalität und Bewegung. Das Lied strömt Kraft und Erfahrung aus. Die Komposition profitiert von bewährten, bodenständigen Roots-Rock-Tugenden, umschifft aber jegliches Schubladen-Denken.
Trotz des Einsatzes eines Drum-Computers verliert "My Love" nicht seine emotionale Tiefe. Der beständig-monotone Takt schafft zwar eine gewisse Distanz zur ansonsten intim-verlorenen Atmosphäre, gibt als Kontrast dazu aber eine ideale Projektionsfläche für die Darstellung von eingeschwungenen Mustern und festgefahrenen Verhaltensweisen ab.

Wenn der Sound von Carolina Lee eingeordnet werden soll, kommt man an Vergleiche mit Symbolfiguren wie Tim Buckley, Pentangle, Velvet Underground oder Mazzy Star nicht vorbei. Das schmälert aber in keiner Weise die kreative Leistung der Formation Carolina Lee, sondern zeigt nur Eckpfeiler der Orientierung auf, an denen sich die Musiker entlang bewegen. Ihre Kunst darf ohne Einschränkung als sehr inspirierend, künstlerisch wertvoll und brillant in Szene gesetzt bezeichnet werden. Die Musik ist eine große Empfehlung an alle Menschen, die einen anspruchsvollen, intim-anregenden Song zu schätzen wissen. Die Lieder besitzen eine stimulierende Wirkung, so wie sie die schummrige Großstadt-Beleuchtung auf die Suche nach Abenteuern hat. Andererseits kann sie auch zur Um- und Vorsicht mahnen. Das Leben und die Musik sind eben vielfältig interpretierbar.

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