Van Morrison - The Healing Game (1997 / 2019)

„The Healing Game“ von Van Morrison bekommt eine Neuauflage, die an Umfang und Qualität kaum Wünsche offenlässt.
Van Morrison war in den 2000er Jahren mit bisher sechzehn Veröffentlichungen enorm produktiv. Mit der Konsequenz, dass nicht alle Platten eine gleichbleibend hohe Qualität und deshalb auch Abnutzungserscheinungen aufwiesen. „The Healing Game“ kam 1997 raus, gehört zu den besseren Werken des grantig-genialen Musikers und bekommt jetzt zu Recht eine wertige Wiederveröffentlichung spendiert. Die Originalaufnahmen wurden klanglich überarbeitet und mit fünf Bonus-Tracks aufgestockt. Eine weitere CD enthält zusätzlich fünfzehn Tracks aus dieser Schaffensperiode, die als „Sessions & Collaborations“ überschrieben sind. Darunter sind zehn bisher unveröffentlichte Titel und zwei Songs, die unter Mitwirkung der Blues-Legende John Lee Hooker für dessen Album „Don`t Look Back“ (04. März 1997) entstanden. Diese Platte wurde von Van Morrison produziert und ist am selben Tag wie „The Healing Game“ erschienen. Zu guter Letzt gibt es bei dieser Deluxe-Ausgabe noch einen Konzertmitschnitt vom 19. Juli 1997 in Montreux zu hören.
„The Healing Game“ wurde 1996 in Dublin, der Hauptstadt der Republik Irland aufgenommen. Van Morrison wurde hingegen in Belfast, der Hauptstadt von Nordirland, das ein Teil von Großbritannien ist, geboren. Die Lieder reflektieren liebenswerte Traditionen, wie das Singen und Musizieren in den Straßen, beleuchten Kindheitserlebnisse und auch die ständig schwelenden politischen Konflikte sind nicht fern. Der Glaubenskrieg, der eigentlich eine Auseinandersetzung ist, die sich mit der Situation von Nordirland beschäftigt, ist auch heute noch allgegenwärtig: Soll die Region wieder an die Republik Irland angegliedert werden oder bei Großbritannien bleiben?
Nach einer Phase mit einigen sentimental-romantischen Pop-Hits wie „Someone Like You“ („Poetic Champions Compose“, 1987), „Have I Told You Lately“ (von „Avalon Sunset“, 1989“) oder „Days Like This“ (vom gleichnamigen Album aus 1995) zeigt Vans Stimme bei „The Healing Game“ wieder Aggressivität, Beharrlichkeit und vehemente Anteilnahme. Die Musik ist wieder schwärzer und raubeiniger, was auch mit der Wahl der besonderen Begleitmusiker aus dem Funk-, R&B- und Jazz-Bereich zu tun hat. Dazu gehören z.B. der Saxophonist Pee Wee Ellis von der James Brown-Band und der Bassist Alec Dankworth, der für Dave Brubeck gespielt hat. Van kehrt den souligen, von straffem R&B und vollblütigem Jazz beeinflussten Songwriter seiner Alben „His Band & Street Choir“ (1970), „Tupelo Honey“ (1971) oder „Into The Music (1979) hervor und vollbringt mit „Rough God Goes Riding“ als Opener gleich eine glaubhafte, kraftvolle und gelungene Erinnerung an diese Phase.
Der Smooth-Funk von „Fire In The Belly“ klingt zunächst nach entspannter Lounge-Musik, offenbart durch den durchdringenden Gesang und die flächendeckenden und solistisch tätig werdenden Bläser dann doch erdiges Blues- und Jazz-Potential. Die Ballade „This Weight“ wird im Verlauf immer energischer. Stimmlich reibt sich Van dabei mit seinen Partnern Georgie Fame und Brian Kennedy und lässt sich zu einem knisternden Vortrag stimulieren. „Waiting Game“ ist bei gleicher Zielrichtung verhaltener und sensibler aufgestellt. Der Text des vom Irish-Folk inspirierten „Piper At The Gates Of Dawn“ basiert auf Passagen aus dem Kinderbuch „Der Wind in den Weiden“ von Kenneth Grahame aus 1908 
und für „Burning Ground“ werden R&B und Jazz so aufbereitet, dass ein cool swingender Song dabei heraus kommt.
„It Once Was My Life“ vermittelt mit seinem Gospel-gefärbtem Call & Response-Gesang und der gemächlichen Gangart eine Lockerheit, die dem Reggae nahekommt und verströmt gleichzeitig die Leidenschaft des Soul. Die Jazz-Ballade „Sometimes We Cry“ kam im Laufe der Zeit noch zweimal mit einem Duett-Partner zum Einsatz: Mit Tom Jones für dessen 1999er „Reload“-Werk und 2002 mit Vans Tochter Shana für deren „7 Wishes“-Platte. 
Der langsamen Doo-Wop-Nummer „If You Love Me“ fehlt die Schärfe vieler anderer Stücke auf dem Album und mit dem hypnotisch-eindringlichen Lied „The Healing Game“ endet das ursprüngliche Werk. Bei dem Stück steigert sich Morrison zum Schluss förmlich in eine gesangliche Ekstase hinein. Diese Komposition ist auf dieser Retrospektive auch noch als Single- sowie als alternative Version, daneben noch als Jazz-Bearbeitung und als Zusammenarbeit mit John Lee Hooker vertreten.
Auf der ersten Wiederveröffentlichung von „The Healing Game“ im Jahr 2008 war der Bonus-Track „At The End Of The Day“ enthalten, der aufgrund seiner subtilen, warmen Country-Folk-Grundierung und dem prägenden Dobro-Spiel auch hier zu den willkommenen Beigaben zählt. Auch die Groove-Jazz-Neuauflage von „Full Force Gale“ aus dem „Into The Music“-Album gehört zu den lohnenswerten Extras. Von „Fire In The Belly“ gibt es dann noch eine Variante, die den Titel in einem ganz anderen Licht als beim Original erscheinen lässt: Aus dem Groove-betonten Ablauf wird hier ein perlender Folk-Jazz mit Blues-Seele. Bei den Duetten nimmt die Zusammenarbeit mit dem Rock & Roller Carl Perkins („Blue Suede Shoes“) mit fünf Songs den größten Rahmen ein, wobei die Fassung von „Sittin' On Top Of The World“ den frischesten Eindruck hinterlässt. Ursprünglich handelte es sich dabei um einen Country-Blues-Song der Mississippi Sheiks aus dem Jahr 1930. Perkins & Morrison machen daraus einen Boogie im Stil von „Memphis Tennessee“ von Chuck Berry.
Die Live-Aufnahmen zeigen einen engagierten Van Morrison mit gewohnt souveräner Begleitband, die zwar nicht das Feuer und die Intensität entfachen kann, die auf dem Klassiker „It`s Too Late To Stop Now“ von 1973 erzeugt werden, aber trotzdem liefert sie eine beachtliche, differenzierte Performance ab. Herausragend sind dabei ein energisches „Rough God Goes Riding“, der Groove-Swing „Foreign Window“, das schöne Medley „Vanlose Stairway / Trans-Euro Train“ und das sich hinsichtlich Dynamik und Energie stetig steigernde „Sometimes We Cry“.
Bei der Deluxe-Version handelt es sich um eine vorbildliche Aufbereitung von historischem Material: Unterschiedliche Song-Fassungen, gänzlich bisher unveröffentlichtes Material, flankierende Konzert-Mitschnitte und ausgewählte Gast-Beiträge ergeben ein umfassendes Bild der Schaffensperiode ab und präsentieren so einen detaillierten Überblick über die damalige künstlerische Sichtweise. Mit „The Healing Game“ wurde nach 22 Jahren eine Song-Sammlung ins Bewusstsein zurückgeholt, deren straffe, starke, selbstbewusste, aufklärerische, beseelte und ehrliche Aussage über die Jahre nichts von ihrer Wirkung verloren hat.
Erstveröffentlichung dieser Rezension: Van-Morrison - The Healing Game

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Waiting For Louise - Rain Meditation

Jahresbestenliste 2023

Lesestoff: Pop steht Kopf