Love Machine - Alles OK

"Alles OK" ist ein Trugschluss, den Love Machine ironisch aufarbeiten und zugleich ihre Kompositionen nicht selten mit ungestümen Tönen unterlegen.

"Alles OK" ist die fünfte Platte der Düsseldorfer Love Machine. Love Machine spielen punkigen Hard-Rock mit einer anarchistischen Grundhaltung. Regelmäßige Ausflüge in andere Stilrichtungen gehören wie selbstverständlich zur Tagesordnung. Sie reichen von Progressive-Rock-Experimenten über Jazz-Einflüsse bis hin zu Pop-Einbindungen. 
Credit: Frederike Wetzels

Vor Überraschungen ist man bei diesem Quintett jedenfalls nie sicher. Die Rhythmen des groovend hüpfenden Minimal-Art-Intros ziehen sich fast durch den gesamten Eröffnungs-Song "Leben und sterben bei Nacht", während der Gesang von Marcel Rösche auf Coolness bedacht ist und er mit seiner dunkel-herben Stimme ein eigenständig-weises Aroma hinterlässt. Hart-heftige Heavy-Metal-Riffs reißen das Stück aus seinem sauber strukturierten Ablauf und lassen die Luft brennen.
Mit schnellem Punk-Druck und einem eingängigen Refrain drängt sich "Ray Ban aus dem Internet" regelrecht als Underground-Hit auf.
Auch "FUN" setzt auf Tempo und zusätzlich auch auf Aggression, so dass der Song wie eine Hommage an Lemmy Kilmister & Motörhead klingt.
Inhaltlich gibt es beim Psychedelic-Pop "Alles OK" die totale Anpassung, es herrscht keine kritische Distanz. Aufzählungen wie "Kriege ist OK, ...das Internet ist OK, ...Mindestlohn ist OK, ...CDU ist OK, ...Bundeswehr ist OK, ..." sind natürlich ironisch gemeint. Diese Parolen können quasi als ein Plädoyer gegen Abstumpfung, Dummheit und Selbstherrlichkeit angesehen werden. "Ich bin OK" heißt es zum Schluss. Es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn man mit sich selbst zufrieden ist, aber kompletter Opportunismus ist hinsichtlich einer gesellschaftlichen Entwicklung das pure Gift. Wenn man sich um nichts mehr kümmert, man alles geschehen lässt und nichts kritisch hinterfragt wird, dann wird der "Diktatur der Angepassten" (Blumfeld) Tür und Tor geöffnet.
Rebellisch alarmierende, dröhnende und sägende Gitarren haben bei "Vorne an" das Sagen. Sie treiben den Track an, legen Störfeuer, nehmen die Bestandteile auseinander und schweißen sie auch wieder zusammen.
Love Machine können auch kompetent saftige Power-Pop-Lässigkeit und begeisternde Psychedelic-Folk-Rock-Harmonien produzieren, wie "A Go Go" zeigt.

"Brav" verfügt über zwei unterschiedliche musikalische Ebenen: Der Track beginnt mit einem schleppenden Hard-Rock-Country-Gemisch, bevor er hinsichtlich des Tempos, der Intensität und der Lautstärke zu explodieren scheint. Nach diesem Ton-Orgasmus stellt sich der anfängliche Zustand wieder ein und begleitet das Lied bis zum Schluss.
Zu einer Easy-Listening-Parodie mit Free-Jazz-Piano-Einlagen und schmierigem E-Gitarren- und einem sphärischen Pedal-Steel-Gitarren-Solo lädt "Besonderes Exemplar" ein, während die nachtblaue Ballade "Underdog" nach zwei Minuten und 10 Sekunden einen Geschwindigkeits-Schub verpasst bekommt, der das Lied in einen flotten Jazz-Pop überführt. Und da ist sie wieder, die Kritik an der Gleichgültigkeit einiger Menschen, die aus "Alles OK" bekannt ist und hier wieder aufgegriffen wird: "Leute wie die finden alles einfach. Sie schauen immer weg, wenn`s in den Abgrund geht", heißt es da.
Der Fake-Reggae "Urlaub machen" wird von Space-Sounds und Garagen-Rock-Passagen durchzogen, so dass gar nicht erst eine unbeschwerte Urlaubsatmosphäre entstehen kann. Gut so, immer wachsam und unbequem bleiben!

Als Vorbild für das aufmüpfige Konzept der Band kann unter anderem Kiev Stingl herhalten. der in den 1970er und 1980er Jahren in der deutschen Rock-Szene mit unkonventionellen Ideen und provokanten Standpunkten für Furore sorgte und bis heute von einer treuen Anhängerschaft verehrt wird. Rotzig pöbelnd, dadaistisch verdrehend, betont andersdenkend-provozierend sowie säuselnd manipulierend verbeißen sich die Musiker entgegen dem Mainstream in ihre Lieder. Sie fallen positiv dadurch auf, dass sie nicht auf Teufel komm raus gefallen wollen, weil ihnen nämlich Erwartungshaltungen und Einordnungen in kommerziell wirksame Schubladen egal sind. Das macht sie interessant, lässt sie aus dem üblichen Deutschrock-Mief herausstechen und wirkt wohltuend frech und frisch. 

Die Musiker bieten einen kompakten Sound an und Marcel Rösche ist ein außergewöhnlich ausdrucksstarker Sänger, der mit leisen und lauten Tönen eindringliche, dadaistisch-politisch-poetische Klangbilder malen kann. Gegenüber dem Vorgänger "Düsseldorf-Tokyo", veröffentlicht am 26. Februar 2021, legen Love Machine auf "Alles OK" nochmal eine Schippe brachialer Rock & Roll-Energie drauf. Sie liefern auch in dieser Form wieder ein kurzweiliges, originelles Album ab, das richtig Spaß macht.

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