Yes We Mystic - Trust Fall

Man soll aufhören, wenn es am Schönsten ist oder wenn erkannt wird, dass die Zeit reif für einen Wendepunkt ist. 

10 Jahre bestand das kanadische Quintett Yes We Mystic und nun gab es den gemeinschaftlichen Beschluss, dass mit dem dritten Werk "Trust Fall" die Band-Geschichte ein Ende finden soll. Dafür wurden nochmal alle Energien gebündelt, Gast-Musiker und Musikerinnen eingeladen, ein flankierendes Kunstwerk installiert ("Trust Fall Hotline") und ein letztes Proberaum-Live-Video der Songs "Sit Down", "Head Rush", "High Beams" und "Long Dream" zusammen mit den ehemaligen Mitgliedern Eric Ross und Solana Johannson gedreht ("Showroom").

Ein würdiger Abschluss! Die Formation um Adam Fuhr (Gesang, Tasteninstrumente, Gitarren, Schlagzeug-Programmierung), Jensen Fridfinnson (Gesang, Violine, Keyboards), Keegan Steele (Gesang, Synthesizer, Mandoline) Jodi Plenert (Cello) und Jordon Ottenson (Schlagzeug, Percussion) wird am 22. Oktober 2022, einen Tag nach Veröffentlichung von "Trust Fall" aufhören zu existieren, wie es auf der Webseite des Ensembles heißt.
Credit: Ally Gonzalo

Sentimental aufgeblasen und im Jammertal festsitzend präsentierte sich die Band noch überwiegend auf dem Debüt-Album "Forgiver" aus 2016. Als würde Adam Fuhr stimmlich das Leid der Welt schultern müssen, so hörten sich seine mahnend-leidenden Gesänge oft an. Das war überzeugend, aber auch überzogen. Durch den Final-Auftrieb klingt Yes We Mystic nun wie eine vitalisierte, generalüberholte Formation, die reif, abwägend, mit Blick für die nötige Schärfe oder Milde ihre Dramatik zu dosieren weiß und so für einen Dynamik-Gewinn sorgt. Und plötzlich erblühen Landschaften und es bilden sich Nuancen heraus, die bisher zu oft von massiven Gefühlen erdrückt wurden. Jetzt entfalten die Musiker alle Facetten, die hinter ihren Ideen stecken und verwenden schmückende Details, die einen Mehrwert bringen. 

So wartet "Trust Fall" mit unterschiedlichen Aromen und Geschmacksrichtungen auf, wobei "Long Dream" würzig-fruchtig daherkommt. Der fröhlich hüpfende Rhythmus prickelt auf der Zunge und der kraftvoll-selbstbewusste Gesang verbreitet belebend-erfrischenden Optimismus, was die Komposition interessant munden lässt.
"High Beams" wirkt dagegen weich, ohne jedoch süßlich zu sein. Eine harmonische Gesamtrezeptur steht hier im Fokus der Arrangements. Durch Tempovariationen wird die Melancholie ausgetrickst und auf diese Weise geht klanglich die Sonne auf. Außerdem erscheinen bunte, tongewordene Regenbögen bei diesem lieblich-gefühlvollen Dream-Pop.

"Gap Year" mag es fruchtig-wild. Krach und Empathie streiten um die Vorherrschaft und gehen letztlich gemeinsam, mit unentschiedenem Ergebnis durchs Ziel. Die Gitarren bringen das Gericht zum kochen und Adam Fuhr gebärdet sich gesanglich sowohl vehement und laut wie auch versöhnlich und leise.

"Sit Down" zeigt sowohl ein ausgeglichenes Verhalten wie auch plötzliche Gefühlsausbrüche, die das Stück unberechenbar im Ablauf machen.
Jede Menge Schwärmerei und erregte Dramatik verbreitet "Forebear". Nun ja, etwas weniger Schwulst hätte es dann und wann schon sein dürfen, aber insgesamt gewinnt dann doch das Feingefühl.

Durch sich wiederholende Rhythmus-Loops erhält "Dead Bolt" seinen Bewegungsdrang. Von den  sphärischen Gesängen des Frauen-Trios Virgo Rising und den wattigen Synthesizer-Schwaden bekommt das Lied außerdem romantisch-verträumte Aspekte verliehen. Nach zweieinhalb Minuten beendet ein schroffer Abbruch diesen mechanisch-romantischen Ausflug.

Für "Night Mode" bereichert die Geigerin und Keyboarderin Jensen Fridfinnson mit ihrer klaren, unschuldig-sexy klingenden Stimme den Lead-Gesang. Der treibend-sympathische Electro-Pop zelebriert auch Ruhephasen, die einen sowohl barocken wie auch modernen Eindruck hinterlassen.

Aber das Beste kommt zum Schluss: "Head Rush" hat vom New Wave die Zickigkeit sowie das Pathetische vom Progressive Rock geerbt und versucht beides so auszuloten, dass ein anspruchsvoll unterhaltender Pop-Song dabei rauskommt. Was auch gelingt. Und "Trap Door" ist eine ergreifend schöne Ballade, die nicht besonders dick aufträgt, aber sich trotzdem feierlich-orchestral anhört.

Bei "Sun Room" kommt dann Wehmut auf, weil Adam Fuhr gesanglich tüchtig auf die Tränendrüse drückt und der Song sehr schwermütig klingt. Dieses Gefühl wird aber gegen Ende nahezu aufgelöst und weicht einer sprudelnd-neugierigen Erwartungshaltung.

Mit "Trust Fall" spielen Yes We Mystic ihr wohl raffiniertestes, strukturiertestes, abwechslungsreichstes und elegantestes Pomp-Pop-Album ein. Es gibt also keine Band-Auflösung aufgrund fehlender Inspiration oder Energie. Die Musiker trennen sich auf der Höhe ihrer Kreativität. Deshalb ist es schade, dass es ausgerechnet nach dieser Leistungssteigerung keine Fortsetzung geben soll. Aber vielleicht machen die Musiker in anderen Konstellationen weiter, wo sie ihre Ideen neu ausrichten können.

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