Yes We Mystic - Forgiver (2016)

Der depressive Indie-Folk-Rock von Yes We Mystic ist im Umbruch. Die Metamorphose ist aber noch längst nicht abgeschlossen.
Yes We Mystic ist eine Folk-verwurzelte Band aus Winnipeg in Kanada, die erstmalig 2013 durch eine EP aufgefallen ist. Jetzt sucht die Gruppe nach Umbesetzungen eine neue Identität. Das Quintett musiziert weitgehend in einem Indie-Folk-Rock-Umfeld, welches schon durch eine Vielzahl von introvertierten Songwritern abgegrast wurde. Melancholie, Weltschmerz, Leiden und Verletzlichkeit werden musikalisch nach außen gekehrt und verkünden eine empfindsame Weltsicht.
Forgiver - Yes We Mystic - CD kaufen | Ex Libris
Für „The Contest Of Strength“ können Feuerzeuge und eventuell auch Taschentücher gezückt werden. Traurig und ins Falsett fallend singen die jungen Musiker ihre Verse, so dass es dem Hörer das Wasser in die Augen treibt und er ehrfurchtsvoll und gebannt dem durchaus auch lauter werdenden Indie-Folk lauscht. Das ist eine mögliche Sichtweise. Genauso gut kann aber auch über die Originalität dieser wohlbekannten Klänge gestritten werden.
„Undertow“ ist romantisch, verträumt sowie melancholisch angelegt und spielt sich zwischen Folk und Indie-Rock ab. „No Harm“ wurde mit hektischen Noten ausgestattet. Der Gesang streift hohe Gefilde und fällt dann auch wieder bis auf eine unaufgeregte Singer/Songwriter-Variante herab. Weihevolle sakrale Stimmen und klagende Geigen begleiten das gezähmte Geschrammel von „Monument“. Flehende Gesänge prägen das Klangbild von „Working For The Future In The Interlake“, bei dem die gleichen Dynamikabstufungen wie von Mumford & Sons benutzt werden.
„The Contest Of Wit“ macht dem Bandnamen alle Ehre. Verwunschener, verwaschener, leicht undeutlicher Gesang trifft auf psychedelische Folk-Klänge. Die verschachtelt-verzahnten Töne werden durch unnachgiebige, nicht nachlassende Keyboard-Passagen aufgewühlt. Eine Minute vor Schluss wird die introvertierte Sicht vollständig verlassen und das Stück bekommt sogar ansatzweise eine Disco-Sound-Ausrichtung. Album-Highlight! „Odessa Steps“ atmet den freigeistigen Hippie-Folk-Charme der Fleet Foxes. Die Dynamik wird stufenweise gesteigert, fällt in sich zusammen, um dann neu aufgebaut zu werden.
Perlende Piano-Akkorde, ein hell blitzendes Vibraphon, eine leise Geige und Stimmen, die von weit entfernt herüberwehen, leiten das teils zerbrechliche, teils instrumental mehrschichtig ausgestattete „Born Into Language“ ein. Der kammermusikalische Mittelteil bringt ergänzende Seriosität ein. Synthetische Electro-Pop-Rhythmen lassen „Ceilings“ auch wegen der weichen Melancholie zunächst wie ein Lied von a-ha dastehen. Im Verlauf wird es aber zu einem verdrehten, bedeutungsschwangeren Progressive-Pop mit mutwillig aufgeblasener Schein-Komplexität.
Traurigkeit kann bei Musik in geballter Form zu einer gewissen Übersättigung von gefühlsduseligem Gejammer führen. Denn es ist ein großer Unterschied, ob Musiker vor Schmerz vergehen oder ihre Lage und Sichtweise in dunklen, reifen, ergreifenden Tönen schildern und den Hörer dabei auf einen hilfreichen Erfahrungsaustausch mitnehmen. Die Band hat wahrscheinlich dieses Dilemma erkannt, denn einige Stücke („No Harm“, „Odessa Steps“, „Born Into Language“, „The Contest Of Wit“, „Ceilings“) brechen durch mutige Arrangements aus dem weinerlich-destruktiven Schema aus. Die Kanadier finden dadurch ein Rezept, an Bodenständigkeit und Originalität zu gewinnen. Das sollte wegweisend für die Zukunft sein.

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