The Wannadies - Västerbotten

Wenn eine Band ein Arsenal an hochwertigen Songs auf B-Seiten verstecken kann, dann hat sie wahrlich keine kreative Krise gehabt.
Die schwedische Band The Wannadies gab es seit 1987 und sie löste sich 2009 auf. In diesem Zeitraum veröffentlichten Pär Wiksten (Gesang und Gitarre), Christina Bergmark (Keyboards und Gesang), Stefan Schönfeldt (Gitarre), Fredrik Schönfeldt (Bass) sowie Gunnar Karlsson (Schlagzeug) (bis 1997) und Erik Dahlgren (Schlagzeug) (ab 1997) sechs Studioalben und nahmen mindestens 45 exklusive Single-B-Seiten auf, von denen 21 für die "Västerbotten"-CD (und 25 für die auf 500 Stück limitierten LPs) ausgewählt wurden. Und wie es sich für eine Gruppe von Könnern gehört, ist das kein Ausschuss, sondern es finden sich etliche starke Songs darunter, so dass die Zusammenstellung eine sehr lohnende Angelegenheit geworden ist.
Credit: Johan Bergmark

The Wannadies veröffentlichten ihr erstes Album "The Wannadies" im Jahr 1990. Das letzte Studio-Werk hieß "Before & After" und erschien 2002. Nun gibt es mit der B-Seiten-Zusammenstellung "Västerbotten" - das der Name einer schwedischen Provinz ist - eine Erinnerung, die ins Bewusstsein ruft, wie clever, entschlossen und gefühlvoll die Musiker auch abseits ihrer Album-Veröffentlichungen agierten.

Das erste Track "Pathetico" klingt, als würden Turin Breaks und Green Day eine heilige Allianz zur Rettung des punkigen College-Rock eingehen. Brachial, aber melodiös begibt sich der Titel auf Beutezug ins Lustzentrum des Gehirns.

Die kratzbürstigen, aber dennoch zärtlichen Balladen "Crucify Me" und "Are You Exclusive" berühren unsentimental und eindringlich. Das klingt in etwa wie eine gemeinsame Session von David Bowie mit den Smashing Pumpkins.

Die überschwängliche, jugendlich frische, bisweilen euphorisierende Wirkung des Power-Pop lässt sich beim lässig fließenden - an die dB`s erinnernden - "Lift Me Up (Don`t Let Me Down" und dem herzhaft rockenden, beinahe übermütig überdrehten "I Like You A Lalala Lot" nachweisen.

"Taking The Easy Way Out" wurde 1995 als Single veröffentlicht und erschien ursprünglich auf dem Album „Be A Girl“ im Jahr 1994. Der Song ist ein schneller, energiegeladener Track mit eingängigen Gitarrenriffs und einem treibenden Rhythmus. Er bohrt sich nach verhaltenem Beginn und einer stetigen dynamischen Steigerung unaufhaltsam und fräsend in die Gehörgänge, so dass jede Gegenwehr gegen den unermüdlichen Gitarren- und Rhythmus-Druck zwecklos ist. Rückwärts laufende Tonspuren bringen im Verlauf noch kurios klingende Töne mit ein, so dass der Song letztlich zum durchgeknallten Rock-Trip wird. Der Refrain des Liedes wiederholt den Satz „Taking The Easy Way Out“ und deutet damit an, dass dieser Ansatz verlockend sein mag. Es wird aber inhaltlich 
vermittelt, dass viel dafürspricht, sich schwierigen Situationen und Entscheidungen zu stellen, anstatt sie zu umgehen.

"Why" ist sowohl ein krachender Alternative-Rock wie auch ein fröhlicher Pop-Song. Beide Teile wurden zu einem Lied mit hitzigen, gitarrenbasierten Instrumentalarrangements fusioniert, wodurch die süße Lieblichkeit abgeflacht und die derbe Aggressivität vermindert wird.

Klobig, protzig und provokativ behauptet sich "(Yeah Yeah Yeah) In Your Face" im massiv dröhnenden Garagen-Beat-Umfeld, wobei der Refrain die zugängliche, sich oft wiederholende Rhetorik des Glam-Rock anzapft.

"Trick Me" ist ein etwas holpriger New Wave-Track mit unbekümmert lebenslustigem Teenage-Pop-Anstrich, der zwischen Blondie ("Call Me" ) und Plastic Bertrand ("Ca Plane Pour Moi") angesiedelt ist.

"Everybody Loves Me" reicht musikalisch zurück zum Mersey-Beat der Beatles, wird aber im druckvollen Punk-Pop-Stil der Buzzcocks aufgekocht und vollmundig präsentiert.

Der frische, optimistische Power-Pop von "Let Go Oh Oh" erinnert an Tommy Keene, ist überaus mitreißend und wirkt so belebend wie ein Sonnenaufgang bei wolkenlosem Himmel. Blendend!

Die nüchtern-sachlich gesungene Ballade "As If You Care" beginnt rumpelig-romantisch, besitzt aber auch deftige Roots-Rock Einschübe, die dem Song eine raue Oberfläche mit eruptiven Ausbrüchen verpassen.

Psychedelische Effekte leiten das seltsam groovende "Love And Hate" ein und verfolgen den ereignisreichen, ungewöhnlichen Funk-Rock über die gesamte Laufzeit hinweg.

Die teils melancholische, teils handfeste Ballade "Can't Get Enough Of That" labt sich an rauschhaften Space-Rock-Effekten genauso wie an elektrisch geladenen Dream-Pop-Referenzen.

"Princess Spoon" ist eine langsame Folk-Rock-Ballade, die durch sich überlagernde, kontrastreiche Klänge von hellen akustischen und verzerrten elektrischen Gitarren gespeist wird. Auch die alternative Barock-Folk-Version von "Love Is Dead" löst einen verträumt-sinnlichen Reiz aus, ohne dabei kitschig zu wirken.

Mit nur wenigen Zutaten wie einem Herzschlag-Taktgeber, perfektem Harmonie-Gesang und zaghaften Schrammel-Gitarren 
verhält sich "After All" wie eine leidenschaftlich-verzückte Art-Pop-Ballade.

Die B-Seiten-Abwandlung von "That's All" setzt im Gegensatz zum achteinhalb Minuten langen, experimentellen Hypno-Rock-Ursprung auf eine besinnliche Wirkung, die durch den lieblichen Gesang und eine traurig erscheinende Instrumentierung gewährleistet wird.

Auch die Versionen von "Shorty" und "Birds" sind gelassene Nummern mit hohem Melancholie-Faktor, die sich souverän im luftig-akustischen Folk-Pop-Bereich bewegen.

Der "You And Me Song" war die zweite Single-Auskopplung aus „Be A Girl“ von 1994. Das Stück wurde 1996 für den Film "Romeo & Julia" mit Leonardo DiCaprio als Hauptdarsteller verwendet. Die daraufhin gerne als Hochzeits-Song eingesetzte Bossa-Nova-Lounge-Version mit Alternative-Rock-Ergänzungen ist auf "Västerbotten" bis kurz vor Schluss in einer coolen Folk-Jazz-Fassung zu hören. Danach brechen alle Dämme und die Gruppe wird zur wilden Noise-Rock-Band.

Es gibt also viele Gründe, "Västerbotten" zu mögen: Es sind nicht nur die vielfältigen, energischen Rock-Ausflüge mit harschen Gitarren, einem wirbelnd-wütenden Rhythmus und ausgezeichnet ausgewogenem Gesang, die diese Zusammenstellung der "B-Ware" von The Wannadies so attraktiv machen. Sondern auch die intimen Momente, die zu Herzen gehen und eine große Empathie offenbaren, tragen zum vorzüglichen Gesamteindruck bei. Manche Bands würden sich nach diesem abwechslungsreichen Material alle zehn Finger lecken. The Wannadies konnten es sich leisten, es relativ unauffällig nebenher laufen zu lassen. Respekt für diesen Qualitätsüberschuss!

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