Lost & Found-Portrait: The dB`s.


Anfang der 1980er Jahre fand eine: Wiederbelebung verschiedener Musikstile statt. So erinnerten die FLESHTONES daran, dass es bereits Mitte der 60er Jahre eine kompetente Garagenrock-Szene gab (repräsentiert z.B. durch Sky Saxon's THE SEEDS). Die CRAMPS hoben Schätze des Rockabilly, drehten diese durch den Wolf und zeigten, dass es bereits vor Elvis wilde Typen gab, die einen explosiven Mix aus Country & Western und Rhythm & Blues produzierten. Country Rock erfuhr durch die LONG RYDERS eine Neubelebung und Bands wie GREEN ON RED und THE DREAM SYNDICATE läuteten ein Psychedelic-Rock Revival ein. 

Jenseits der großen Musik-Metropolen bastelten Don Dixon und Mitch Easter in Winston-Salem (North Caroline) als Produzenten und Musiker an ihrer Version der Auffrischung von Pop-Musik. Dies geschah auf Basis des Power-Pop, jenes Stiles, der grob zwischen den Koordinaten BEATLES, BADFINGER und BIG STAR anzusiedeln ist Hier liegt auch die Keimzelle der dB's: alle Gründungsmitglieder stammen aus Winston-Salem und waren hier Musiker in lokalen Bands. So spielten bei den SNEAKERS bereits CHRIS STAMEY und WILL RIGBY mit MITCH EASTER zusammen. Produziert wurden die 1976 und 1978 veröffentlichten EP's ,,Sneakers" und „In the red" von DON DIXON. 
Sneakers - Artist Image
Sneakers — Sneakers – Omnivore Recordings

1977 ging CHRIS STAMEY nach New York, um bei Alex Chilton (ex-BIG STAR) Bass zu spielen. 1978 holte er seine Kumpel WILL RIGBY (Drums) und GENE HOLDER (Bass) nach und sie hatten ihre erste Show als CHRIS STAMEY and the dB's im Max's Kansas City. Den Namen dB's verstand CHRIS STAMEY sowohl als Referenz auf „drums and bass" als auch auf die Abkürzung der Maßeinheit zur Messung der Lautstärke von Tönen (Dezibel). Die Band wurde 1978 durch PETER HOLSAPPLE, der zuvor in der Band THE H-BOMBS mit MITCH EASTER war, an Orgel und Gitarre ergänzt.
 
In dieser Frühphase war die Gruppe stark von der New Yorker CBGB's-Club-Szene um TELEVISION sowie von ELVIS COSTELLO AND THE ATTRACTIONS und den ONLY ONES von PETER PERRETT beeinflusst. Sie spielten meist schnellen, rohen, energetischen Punk-Pop, durchsetzt von Cover-Versionen (z.B. eine einminütige Version von Pink Floyds „Interstellar Overdrive" oder eine abgedrehte Variante von ,,Tomorrow never knows" der Beatles). Ihr Übungsraum war damals ein Nebenzimmer des Büros vom Musik-Magazin „New York Rocker. Hier nahmen sie auch ihre ersten Songs auf, von denen einige 1993 auf dem Album „Ride the wild TomTom" veröffentlicht wurden. 

In den folgenden Monaten entwickelte sich die Band durch die Integration von PETER HOLSAPPLE als zweiten Hauptsongwriter neben CHRIS STAMEY sowie durch kollektives experimentieren und umarrangieren von z.B. Jazz- oder Disco-Themen und der Einbeziehung persönlicher Vorlieben der Musiker kontinuierlich weiter. Die 1980 erschienene Single ,,Black and White" machte das Londoner Label Albion Records auf die Band aufmerksam.
Es stellte das Budget für das erste Album „Stands for deciBels" zur Verfügung, welches Anfang 1981 in Europa, Japan und Australien. nicht jedoch in den USA, erschien.
The dB's - Stands For Decibels (1981, MPO pressing, Vinyl) | Discogs 
Produziert wurde das Werk unter Mithilfe des dB's-Intimus und Herausgebers des „New York Rocker" ALAN BETROCK. Es zeigt die Band als ausgereifte Einheit mit intelligenten Kompositionen, wobei sich beim Gespann Stamey/Holsapple förmlich der Lennon/McCartney-Vergleich aufdrängt. 

Der interne Konkurrenzkampf trieb Beide zu Höchstleistungen an. Gemeinsam ist ihren Kompositionen eine enorme Ideenfülle, welche sich in vielschichtigen Arrangements und unwiderstehlichen, teilweise vertrackten Melodien ausdrückt. Popmusik als Kunstform, die sowohl zum konzentrierten Hören und Genießen wie auch zur Untermalung bei Hausarbeit und Autofahrten geeignet ist. Zeitlos und traditionsbewusst, harmoniesüchtig und jugendlich ungestüm, kraftvoll und gefühlvoll gleichzeitig. Ein Meisterwerk, bei dem es schwer fällt, einzelne Kompositionen hervorzuheben, da je nach Verfassung des Hörers andere Qualitäten bevorzugt werden. Eine Inselplatte des Genres, keine Frage!! 



Schon im Juli 1981 begannen in London im Ramport Studio von THE WHO die etwa sechswöchigen Aufnahmen zum 2. Album „Repercussion".
Repercussion - Db'S, the: Amazon.de: Musik
Herausgebracht wurde es schließlich Anfang 1982. Das Album ist nur knapp schwächer als der Vorgänger. Auch hier werden wieder genüsslich die Pop-Archive durchleuchtet, was zu etlichen Zitaten bei den Kompositionen führte. Diese wurden mit Versatzstücken der Gegenwart zu unvergänglichen Pop-Perlen ausgearbeitet.

Aber es rumorte in der Band: Anfang April 1982 gab CHRIS STAMEY bei einem Auftritt im New Yorker Ritz seinen Abschied zugunsten einer Solo-Karriere bekannt. Außerdem war Albion nicht mit den Verkaufszahlen zufrieden und kündigte den Platten-Vertrag. Man spielte zu dritt noch ein paar Demo-Aufnahmen ein, um ein neues Label zu suchen, war aber ansonsten hinsichtlich der weiteren Entwicklung untätig. Das sah wie das Ende einer hoffnungsvollen, grade begonnenen Karriere aus.

1983 bekam die Band dann aber doch noch eine Chance bei Bearsville-Records und begann im Herbst in Woodstock mit den Aufnahmen zum 3. Album mit dem Titel "Like this".
Like This - Db'S, the: Amazon.de: Musik
Als Produzent wurde Chris Butler (Gründer der WAITRESSES und Produzent von z.B. den PSYCHEDELIC FURS) angeheuert. Die Scheibe klingt unterm Strich wesentlich rockiger und wurde Radio-tauglicher produziert als die Vorgänger. Außerdem sind die Melodien weniger verschachtelt. Trotzdem hat sie ihren Reiz und bietet mit dem knackigen Opener „Love is for lovers",
den Balladen „Lonely is (as lonely does)",
„On the battlefront" und „Darby hall", dem luftigen Jangle-Pop von „Not cool", dem flotten Gitarren-Pop-Titel „A spy in the house of love" und dem Country-Rock-Verschnitt „White train" einige Höhepunkte an. 

Das medienfreundlichere Konzept ging auf: „Like this" war ein College-Radio-Hit und die dB's wurden als Vorprogramm für die R.E.M.-Herbst '94-Tournee engagiert. Im nächsten Jahr lag eine Package-Tour mit MITCH EASTER's LETS ACTIVE und der CHRIS STAMEY GROUP an und man spielte Demo-Tapes für den „Like this"-Nachfolger ein. Diese konnten aber nicht veröffentlicht werden, da der Bearsville-Records-Eigentümer Albert Grossman auf einem Transatlantikflug an einem Herzinfarkt starb und sein Nachlass nicht geregelt war. Magere Zeiten brachen an, da die einzigen mehr- oder weniger regelmäßigen Einkünfte nun hauptsächlich aus den Erlösen von Auftritten bestanden. 

Erst Anfang 1987 konnte I.R.S. den Bearsville-Vertrag übernehmen, bestand aber darauf, dass die Aufnahmen von Greg Edward produziert wurden und nicht von der Band selbst. Das hat der Platte aber nicht geschadet und so entstand mit „The Sound of Music" eine erfrischende Neuauflage des Vorgängeralbums.
The dB's - The Sound Of Music [LP] - Amazon.com Music
Bei den Einspielungen war schon der neue aus New Orleans stammende Bassist JEFF BENINATO anwesend. Allerdings kündigte Gründungsmitglied GENE HOLDER an, die Band nach den Recording-Sessions zu verlassen, um bei den WYGALS einzusteigen. Durch die beteiligten Gastmusiker erhielten die neuen Songs dann aber zusätzliche interessante Farbtupfer: SYD STRAW sang ein Duett mit Peter Holsapple für „Never before and never again" (später coverte sie „Think too hard" auf ihrer eigenen CD „Surprise"). LISA GERMANO und JANE SCARPANTONI trugen geschmackvolle Streicherpassagen bei; JEREMY SMITH (von den HUNTERS AND COLLECTORS) spielte Waldhorn auf „Looked at the sun too much" und VAN DYKE PARKS und BENMONT TENCH halfen an Orgel und Synthesizer mit ihrer persönlichen Note aus. Erstmals enthielt auch eine dB's-CD eine Coverversion: „Feel alright" von CARGOE, einer Memphis-Band, die Labelkollegen von BIG STAR auf Ardent-Records waren.

Insgesamt ist „The Sound of Music" eine prima Gitarren-Pop-Platte geworden, die optimistisch, aber nicht aufdringlich ist und es verdient gehabt hätte, eine größere Aufmerksamkeit zu erreichen.
 
Fatal war aber, dass die Platte in den U.S.A. nicht mehr zum dB`s-Support der R.E.M.-Support-Tour im Herbst 1987 erhältlich war, weil die Press-Kapazitäten von I.R.S. durch den riesigen Erfolg von R.E.M. ausgelastet waren.

Die sich im Januar 1988 anschließende nicht sehr erfolgreiche dB`s-Europa-Tournee (mit dem neuen Gitarristen ERIC PETERSON (ex-WYGALS) zermürbte dann das Bandgefüge. 

Die im Laufe des Jahres entstandenen neuen Aufnahmen wurden erst 1994 unter dem Titel „Paris Avenue" veröffentlicht. 
The dB's: Paris Avenue, €6.90
Es handelt sich dabei um eine Kollektion von Demo-Aufnahmen, die uninspiriert und ausgebrannt wirken. Den Songs fehlen zum Großteil die zündenden Ideen und überraschenden Wendungen, die die Highlights früherer Veröffentlichungen auszeichneten. Folgerichtig lösten Peter und Will die Gruppe im Oktober 1988 auf. 

Die fast zeitgleich veröffentlichte Zusammenstellung "Ride The Wild TomTom" von 1993 enthält frühe Demo-Versionen und zeigt die Gruppe in ihrer Gründerzeit.
The dB's - Ride The Wild TomTom (1994, CD) | Discogs
Ride the Wild TomTom - The dB's Online
Als Zeitdokument ist das wichtig, aber die Großartigkeit ihrer ersten Studioalben ist hier noch nicht zu ahnen.

Im Januar 2005 haben die Original dB's in den Water Music Studios in Hoboken, New York, sieben neue Songs und eine Coverversion von „What becomes of the broken hearted" eingespielt. Aber erst 2012 gab es mit "Falling Off The Sky" neue Titel zu hören. Und das in der Originalbesetzung!
 The Db's - Falling Off The Sky - Amazon.com Music
Man spürt deutlich, dass es den Musikern wichtig war, Qualität abzuliefern, denn es gibt keinen schlechten Song auf dem Album. Die Autoren Stamey, Holsapple und Rigby sind jeweils deutlich auszumachen und die Gruppe versucht gar nicht erst, ein zweites "Stands For Decibels" oder "Repercussion" zu produzieren, sondern zeigt sich gereift, aber nicht zwingend gealtert. Unterm Strich ist das ein Werk, dass zu den besseren der Band gehört.
 
Was haben denn die Bandmitglieder nach dem Split ab 1988 alles unternommen?

CHRIS STAMEY: 
Music | Chris Stamey
Der Gründer der dB's verließ 1983 die Band, um seine Solo-Karriere zu beginnen. Er brachte die Scheiben „It's a wonderful life" (1983), „Instant excitement" (1984); „Christmas time" (aufgenommen mit den dB's) (1986), „It`s allright" (1987) und „Fireworks" (1991) heraus, die alle sehr gute Kritiken bekamen. Neben den Duo-Platten mit PETER HOLSAPPLE ("Mavericks" 1991, "Here And Now" 2009 und "Our Back Pages" 2020) erschien 1995 noch eine experimentelle Platte mit dem Gitarristen KIRK ROSS. Nach einer langen Veröffentlichungspause wurde 2004 die fantastische Comeback-CD „Travels in the south" eingespielt und 2005 kam es zu einer Zusammenarbeit mit YO LA TENGO und GENE HOLDER, die unter dem Titel "A question of temperature" erschien. Bis heute ist Chris musikalisch aktiv. So kamen u.a. mit "Lovesick Blues" (2013) und "Euphoria" (2016) zwei hochgelobte Platten raus. 2019 und 2020 gab es sogar zwei Werke mit Orchestern ("New Songs For The 20th Century" und "A Brand-New Shade Of Blue"). Zwischendurch erarbeitete sich STAMEY einen ausgezeichneten Ruf als Produzent. Zu seinen besten Produktionen zählen „Four mile road" von MYRA HOLDER, „Faithless Street" von WHISKEYTOWN und „Doubleback" von HAZELDINE. 

GENE HOLDER
Gene Holder - Under Appreciated Rock Guitarists
trat 1987 der Gitarren-Pop-Band WYGALS als Gitarrist und Produzent bei. Seitdem arbeitet er im Gitarren-Pop-Umfeld als Produzent (z.B. YO LA TENGO, SWALES, COWBOY MOUTH), Musiker (z.B. FREEDY JOHNSTON, TIM LEE) oder Tontechniker (z.B. HEALTH AND HAPPINESS SHOW, CHRIS VON SNEIDERN, MARSHALL CRENSHAW). Er hat ein eigenes Tonstudio in Hoboken (New York).
 
PETER HOLSAPPLE
Peter Holsapple - Under Appreciated Rock Artists and Bands
ging nach dem Band-Split mit R.E.M. auf die „Green"-Tournee. Er gastierte u.a. auf Alben von ERIC AMBEL, den INDIGO GIRLS, HOOTIE AND THE BLOWFISH, R.E.M, PETER BLEGVAD und SYD STRAW. Mit CHRIS STAMEY nahm er die wunderbaren Country/Folk-basierten CDs „Mavericks", "Here And Now" und "Our Back Pages" auf. 1992 trat er den CONTINENTAL DRIFTERS bei, die sich später in New Orleans niederließen und bis 2001 fünf sehr gute CDs produzierten. Zwischendurch erschienen 1997 und 2018 noch unterbewertete Solo-CDs („Out of my Way" und "Game Day"). Nach der Trennung von seiner Frau SUSAN COWSILL und der Auflösung der CONTINENTAL DRIFTERS lebte er weiterhin in New Orleans. Dort arbeitete er mit seiner neuen Formation THE PEOPLES' REVOLUTIONARY ARMY OF SAINT BERNARD und verdiente sein Geld als Tour-Musiker von HOOTIE AND THE BLOWFISH.
 
WILL RIGBY ist der einzige dB, der von Anfang bis Ende der Band angehörte. Er ist ein gefragter, sehr versierter Drummer, der 2 kauzig-sympathische Solo-Alben („Sidekick phenomenon" aus 1985
und „Paradoxaholic" aus 2002) veröffentlicht hat. Er spielte u.a. für MATTHEW SWEET, FREEDY JOHNSTON und CHERI KNIGHT. Seit 2000 war er immer mal wieder in der Band von STEVE EARLE tätig. 

Wer auf den Geschmack gekommen ist oder sich über weitere Details der Band-Geschichte informieren möchte, dem sei die großartige Website www.dbs.com  empfohlen. Hier kann man auch bisher unveröffentlichte Live- und Studioaufnahmen runterladen oder sich Live-Videos ansehen, um sich von der Klasse der dB's zu überzeugen. 

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Waiting For Louise - Rain Meditation

Jahresbestenliste 2023

Lesestoff: Pop steht Kopf