Frank Popp Ensemble - Shifting

Endlich gibt es neue Retro-Sounds des Frank Popp Ensembles!

Hört man die bisher veröffentlichten drei Alben vom Frank Popp Ensemble, so kann man kaum glauben, dass die musikalischen Wurzeln des Ensemble-Chefs beim Hardcore-Metal und Punk liegen. Wo sich doch der Output des Projektes eher am Northern Soul und 60`s-Pop orientiert, sehr melodisch ist und mitreißende Refrains enthält. Die Werke "Ride On" von 2001 und "Touch And Go" aus 2005 legen ihre Schwerpunkte auf tanzbaren Soul, R&B, Bossa Nova, Jazz, Funk, Rockabilly und Space-Age-Pop. "Receiver", das erstmals 2009 erschien, lässt überwiegend eine schwungvolle Rhythmus-Fraktion und treibende E-Gitarren sprechen, liegt stilistisch also eher im rockenden Power-Pop-Bereich. Das sind allerdings nur auf den ersten Blick sich ausschließende Gegenentwürfe zum ungestümen, aggressiven, provokanten Heavy Metal und Punk. 

Eine mutige, kontrastreiche Vielfalt zeigt sich auch bei den weiteren Tätigkeiten von Frank Popp, denn er war zudem auch als DJ, Grafik-Designer und Konzert-Promoter aktiv. Diese bunte Interessenlage wirft die Frage auf, welches die drei absoluten Lieblingsalben von Frank Popp sind und welche Musik aktuell im Laufe des Tages und abends, wenn Entspannung angesagt ist, bei ihm läuft: "Auweia, das ist so unglaublich schwer. Zu meinen absoluten Lieblings-Alben gehören "Man-Made" von Teenage Fanclub, "It's A Shame About Ray" von den Lemonheads und "Static Age" der Misfits. Ich könnte dir aber wahrscheinlich 963479 mal die Frage anders beantworten. Zur Entspannung höre ich die Byrds, Turin Brakes "The Optimist LP", Bohren & Der Club Of Gore, Jimi Hendrix oder Mojave 3 "Excuses For Travellers".
2021 wurde Frank Popps musikalische Abenteuerlust für das "Under Covers"-Album von vielen Freunden des Ensembles aufgegriffen, was teilweise zu sehr eigenwilligen Interpretationen seiner Songs führte. In einem Interview, das LOST & FOUND: MUSIK OHNE GRENZEN schriftlich mit Frank Popp führte und dessen Inhalte diese Rezension erhellend bereichern, bestätigt der Künstler, dass "Under Covers" die Initialzündung zum Comeback war: "In der Tat hat die Arbeit an "Under Covers" zum finalen Motivations-Schuss beigetragen. Das Gefühl, nach langer Zeit wieder eine Platte zu veröffentlichen, hat mich Ende 2021 dann endlich dazu bewegt, es anzupacken". Gab es denn vor den Arbeiten für "Shifting" schon Aktivitäten, die zu fertigen Songs führten: "Nein, ich bin Anfang 2009 nach Berlin gezogen und hatte dann erstmal kein Interesse, eigene Musik zu komponieren. Ich habe mich stattdessen intensiv mit meiner neuen Heimat auseinandergesetzt und sie kennengelernt, bin extrem vielen neuen Menschen begegnet und habe dann mit beziehungsweise für andere Künstler gearbeitet, junge Bands aufgenommen und produziert. In dieser Zeit sind aber auch Songskizzen bei Sessions entstanden die sich nun auf "Shifting" finden. Die meisten Songs sind aber im Januar 2022 entstanden".

Das neue Werk "Shifting" hält 15 neue Lieder bereit, die sich nahtlos in den bisherigen Frank-Popp-Ensemble-Sound-Kosmos einfügen. In der Besetzungsliste tauchen bekannte Namen, wie der der Sängerin Sam Leigh-Brown auf, die dem Ensemble schon von Anfang an angehört, aber es finden sich auch neu integrierte Musiker darunter. Wie zum Beispiel Jesper Munk, der in seiner relativ jungen Karriere schon eine beachtliche Wandlung vollzogen hat. Von ruppigen Blues-Nummern ("Courage For Love", 2015) bis zu elegant arrangierten Pop-Balladen ("Happy When I`m Blue", 2018) war es für ihn nur ein kleiner Schritt. Andere Künstler bekommen solch eine Grätsche oft nicht überzeugend hin, bei ihm ist die Metamorphose aber schlüssig gelungen. 

Auf "Shifting" ist er mit vier Beiträgen als Sänger und/oder Texter vertreten. "Jesper habe ich im Berliner Club "Urban Spree" kennengelernt, wo ich seit vielen Jahren aktiv bin, und wusste zuerst nicht, dass er Musik macht. Als ich einen Post seiner Band PDOA sah, in dem erwähnt wurde, dass er schon lange eigene Musik veröffentlicht, kam ich auf seine soulig/bluesigen Aufnahmen und war sofort hysterisch begeistert, da ich schon lange mal mit einer männlichen Stimme etwas machen wollte. Ich hab ihn gefragt und er kam dann Anfang Februar nach Spanien zur Session", erzählt Frank Popp über den Beginn der Zusammenarbeit.

Beim mild groovenden, durch allerlei Tonspuren vollmundig und reichhaltig ausgestattete Adult-Sixties-Pop "Out Of Town" wird der ehemals raue, kantige Blues-Rocker Jesper Munk zum gefühlvollen Crooner.
"Torn Up" bietet schnell getakteten Motown-Soul an, den Jesper als Shouter mit energischer Dynamik unwiderstehlich für den Tanzboden aufbereitet.
Der zackige Rhythm & Blues "Born To Lose" ist ganz schön hitzig, transportiert aber auch schwelgende Momente. Das verschafft Herrn Munk die Möglichkeit, gesangliche Varianten einzubauen: Die scheinbar von Sandpapier aufgerauten, also grundsätzlich auf Krawall gebürsteten Stimmbänder bemühen sich um Harmonie, was zu einer interessanten Zwitterlösung führt. Und so erläutert Frank die inhaltliche Botschaft des Songs: "Der Text bezieht sich auf absurde Szenerien und Bewegungen während der Coronakrise und in der ersten Strophe wird eigentlich klar, wer angesprochen wird: "FALSE HEROES IN UNIFORMS, STRANGE FOLKS OUTTA THEIR MINDS. MY WORLD IS EASY WITHOUT YOU". Es wird hier keine einzelne Person, geschweige denn Ex-Geliebte erwähnt. Der Song ist eher politisch, wenn man so will. ;)“. Enttäuschung und Wut, aber auch die Bemühung, Beherrschung zu bewahren, sind gesanglich allgegenwärtig. Anders geht es bei "Your Heroes" zu: Der mit satt knackigen Surf-Riffs und klatschenden Rhythmen ausgestattete, balladeske Psychedelic-Folk verwendet zu Beginn eine E-Piano-Sequenz, die an "Riders On The Storm" der Doors erinnert. Die Stimme sendet zudem dunkel-mysteriöse Signale aus, die den Song psychopathisch erscheinen lassen.

Die Sängerin Anna Glahn ist dreimal prominent vertreten. So verleiht sie dem cool swingenden Chanson "See It Coming" zugleich Würde und Eleganz. Daneben stellt sie ihre Vielseitigkeit noch mit dem geschmeidigen, gepflegten Soul-Pop "Sad But True" und dem von gutgelaunten Keyboards und Bläsern getragenen Disco-Sound von "Dragonaut" unter Beweis.

Lucy Kruger & The Lost Boys ist ein Art-Pop-Noise-Projekt aus Berlin. Deren in Südafrika geborene Frontfrau macht aus "Drifting" eine sinnlich-erotische Versuchung mit romantisch vernebelten und mysteriös rauschenden Mellotron-Schwaden, die klingen, als wären sie von "Nights In White Satin" der Moody Blues geborgt worden.
"Veil" ist eine von Weltmusik und "Velvet Underground & Nico" inspirierte Psychedelic-Jazz-Nummer, die zusätzlich mit Space-Sounds und der verführerischen Stimme von Lucy Kruger angereichert wurde. Ein zugleich anziehendes wie ideenreiches Vergnügen.

Aydo Abay, der Gründer der Alternative-Rock-Bands Blackmail und Glen hatte für "Under Covers" zusammen mit Frank Popp (unter dem Pseudonym Maria Ghoerls) eine Gothik-Wave-Version von "Leave Me Alone" im Stil der Sisters Of Mercy entwickelt. Bei "Sweet Remedy", einem drängenden, lebhaften Funk-Pop, kommt die lieblich-freundliche Stimme von Aydo Abay sehr gut zur Geltung, was ihn als attraktiven, genüsslich agierenden Herzensbrecher ausweist. Den sowohl melancholisch geprägten, wie auch schwungvollen und sauber strukturierten Acid-Folk-Jazz "Vertigo" überzieht der sympathische Sänger mit einem zuckerfreien, klaren Schmelz.

Die bewährte, flexible gesangliche Begleitung von Sam Leigh-Brown kommt bei der federnden Funk-Pop-Cover-Version des ursprünglich anklagenden, aber optimistisch geprägten und von beschwichtigenden Streichern umsäumten Bobby "Blue" Bland-Protest-Songs "Ain` t No Love In The Heart Of The City" von 1974 sowie bei der dunklen, langsamen Breitwand-Pop-Hymne "Under The Sea" wirkungsvoll wie eh und je zur Geltung. 

Mit "Pierdete" (was so viel wie "hau ab" auf Spanisch heißt) gibt es dann noch ein Lied mit lebhaften brasilianischen Rhythmen. Wie auch bei anderen Liedern auf "Shifting", schlummern unter der positiv gestimmten Oberfläche nachdenkliche Inhalte. Es geht hier um die Befreiung aus einer toxischen Beziehung. Mit Hilfe von Schlagwörtern und deren persönliche Einschätzung (wie zum Beispiel: "Schmerz - Bleib weg von mir. Freude - Besser für mich.") werden die bisherigen Probleme den zukünftigen Erwartungen gegenübergestellt. Dann ist da noch "Save Me Saturday" mit der Gast-Sängerin Kat Ott (von 24/7 Diva Heaven): Ein rockender Disco-Pop, der stilistisch auch auf "Receiver" gepasst hätte, aber im aktuellen Kontext aufgrund seiner störrischen Robustheit wie ein kleiner, vielleicht bewusst gesetzter Stachel wirkt.

So unterschiedlich die Entwürfe auch sein mögen, ein Faktor vereint alle Tracks: Das ist ein nützlicher und effektiver Groove. Er treibt bei einigen Stücken die Leute auf die Tanzfläche und verhindert bei den ruhigeren, introvertiert veranlagten Tracks, dass sie in Tristesse versinken. 

Willkommen zurück, Frank Popp Ensemble! Mit "Shifting" ist ein Comeback gelungen, das alle Fans da abholt, wo "Touch And Go" 2005 aufhörte. Es gibt also frisches, qualitativ hochwertiges Futter für alle Mod-Jünger, Groove-Pop-Begeisterten und Liebhaber von Vintage-Sounds. In diesem Zusammenhang darf auch eine Renaissance des Mellotrons gefeiert werden. Dieses Anfang der 1950er Jahre entwickelte Tasteninstrument kommt mehrfach zum Einsatz und sorgt mit seinen flauschigen Schwebe-Tönen für Wohlbehagen.

Wie muss man sich eigentlich die Aufnahmesituation für "Shifting" vorstellen? Frank Popp klärt im Interview dazu auf: "Die Instrumentals haben nur Jascha Kreft und ich im Januar 2022 geschrieben und aufgenommen. Diese haben wir dann den SängerInnen zugeschickt. Im Februar kamen sie nacheinander (nach Spanien. Anmerkung der Redaktion) angereist, um Gesang und Texte zu schreiben und aufzunehmen". 

"Shifting" vereint mühelos anspruchsvoll ausgestaltete Pop-Musik mit teilweise ernsten Themen, als wäre es das einfachste der Welt. Nichts klingt verkrampft, alles fließt organisch. Dieser Fakt zeichnete das Frank Popp Ensemble schon immer aus und es ist toll, dass dieses Qualitätsmerkmal noch Bestand hat - als wäre die Zeit stehengeblieben.

Es ist hinsichtlich der musikalischen Entwicklung des umtriebigen, kreativen Frank Popp noch einiges möglich, aber kann er sich auch vorstellen, deutsche Texte zu verwenden: "Nein. Ich bin selbst kein großer Fan deutschsprachiger Musik. Sicher gibt es Ausnahmen und geniale Werke, z.B. von Hammerhead, den frühen Blumfeld oder Ton Steine Scherben, jedoch habe ich immer schon englischsprachige Musik bevorzugt, so eben auch bei meiner eigenen Musik. Allein schon wegen der britischen Fans ;)". Sind im Rahmen der "Shifting"-Veröffentlichung denn Konzerte oder andere mediale Auftritte (z.B. TV, Internet) geplant: "Es wird um das Release-Date einiges an Interviews und Events geben, aber mit Live-Auftritten in Form einer Band habe ich abgeschlossen. Das ist nichts für mich".

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