Turin Brakes - Lost Property (2016)

Drei Jahre lang haben Turin Brakes Fundsachen gesammelt und daraus ein weiteres schönes Album gebastelt.
Sie wurden schon abgeschrieben. Aber Totgesagte leben bekanntlich länger! Drei Jahre nach „We Were Here“ erscheint jetzt das siebente Werk des englischen Folk-Rock- und Pop-Duos Turin Brakes. Nachdem sie anfangs zur „The Quiet Is The New Loud“-Akustik-Bewegung um die Kings Of Convenience gezählt wurden, haben sie sich im Laufe der Zeit von dieser einschränkenden Zuordnung emanzipiert. Ihr eleganter, raffinierter Stil, bei dem die gute Melodie genauso wichtig ist, wie ein packender Refrain oder der Wechsel zwischen laut und leise, ist zeitlos. Deshalb ist er heute genauso willkommen wie 2001, als ihre erste Platte „The Optimist LP“ erschien.
Turin Brakes: Lost Property (Kritik & Stream) - Musikexpress
Die Songs von Olly Knights und Gale Paridjanian sind sensible Gebilde, deren Durchschlagskraft maßgeblich von der Präsenz und Steuerung durch Sänger Olly Knights abhängt. Durch dessen Melodieführung und die emotionale Ausrichtung der Stimme entscheidet sich, ob der Song zu einem gnadenlosen, unwiderstehlichen Ohrwurm wird oder in die Warteposition für eine weitere Qualitätskontrolle muss.
Die Hirnwindungen nicht verlassen wollende Kompositionen wie „Pain Killer (Summer Rain)“ von „Ether Song“ (2003) oder „JackInABox“ vom gleichnamigen Werk aus 2005 schreibt die Band zwar nicht am Fließband, sie sind aber der Stoff, der die Aufmerksamkeit beim Hören immer wieder neu anregt. Denn Turin Brakes sind vornehmlich eine Album- und keine Singles-Band. Deshalb ergibt sich die Benotung ihrer Werke nicht zwangsläufig aus der Addition der offensichtlich vorhandenen Hits, sondern auch aus dem Gesamteindruck, der sich aus dem Flow und nicht zuletzt aus dem Potential der nicht sofort zündenden Ideen zusammensetzt. Hier entscheidet das mehrfache Hören über Wachstumspotential oder Rohrkrepierer.
Groovende Riffs von akustischen und elektrischen Gitarren leiten die Platte ein („96“). Allmählich entwickelt der Song seine Sogwirkung und packt den Hörer durch sein schleichendes, gefügig machendes, harmonisches, süßes Gift. Eigentlich ein Opener nach Maß, denn die Neugier ist geweckt. „Keep Me Around“ und „Jump Start“ setzen hauptsächlich auf Leichtigkeit und Eingängigkeit, wirken deshalb aber auch im Vergleich zu den anderen Liedern eher einfach gestrickt. Eine Referenz an die Anfangszeit der Londoner folgt mit „The Quiet Ones“, einem intimen Lied mit stimmungsvoller Slide-Gitarre und ebensolchen dezenten Streichern. Eine überschwängliche sentimentale Gefühlswelt wird für „Lost Property“ ausgebreitet. Der Song schwelgt in Wohlklang, ohne kitschig zu werden. Zum Dahinschmelzen. Der nüchterne Soft-Rock von „Rome“ bringt den Hörer wieder auf den Boden der Realität zurück. Al Stewart trifft hier musikalisch auf Fleetwood Mac.
„Brighter Than The Dark“ ist ein Beispiel für eine Komposition, die Zeit braucht, um sich zu entfalten, da sie verschachtelt aufgebaut ist. Das Klangbild wechselt zwischen üppig und durchlässig. Das Tempo wird immer wieder durch akustische und leise Zwischenstopps abgebremst. Die geschmackvollen Streicher sind leicht gegen den Strich gebürstet, was an „Sweet Surrender“ von Tim Buckleys „Greetings From L.A.“ (1972) denken lässt. Die einnehmende Wirkung dieses schlauen Kunstlieds wächst mit jedem Hördurchgang. Der Ballade „Save You“ hätte allerdings etwas weniger Rührseligkeit sowie Bombast und dafür mehr Transparenz gut getan. Mit Zuckerguss sollte nicht nur in der Musik sparsam umgegangen werden.

Den Beweis für die positive Wirkung solch einer Vorgehensweise erbringen die Musiker mit „Martini“ gleich selbst. Dieser Akustik-Folk-Pop bringt die Stärke einer intimen Präsentation zu Tage. Dazu müssen Talent und Komposition stimmen und das ist hier gegeben. Weniger ist eben manchmal mehr, was auch die Grundaussage der „Quiet Is The New Loud“-Haltung war und manchmal eine unumstößliche Wahrheit ist.
Der intelligente psychedelische Pop von „Hope We Make It“ legt alle Fähigkeiten des eingespielten Duos offen: Ausgefeilte, verwinkelte Melodien ersinnen, gefühlvollen Gesang beisteuern und detailverliebte Instrumentierungen einstreuen. Der Song ist so gut wie die besten Kompositionen von David Crosby und das will schon was heißen. Elegisch und langsam zieht zum Abschluss der „Black Rabbit“ seine Bahnen. Die verschwommene Atmosphäre wird durch funkelnde Gitarrensplitter erhellt. Das fühlt sich wie Chris Isaak auf Valium an und wirkt ein wenig zäh. Deshalb kann noch nicht gesagt werden, ob dieser Song langfristig tragfähig ist.
Akustisch instrumentierte Pop-Musik liegt momentan nicht im Trend und von den Kings Of Convenience hat man seit 2009 auch nichts mehr gehört. Aber die Turin Brakes sind immer noch da und relevant wie eh und je. Ein guter Song ist eben ein guter Song und davon gibt es auf „Lost Property“ wieder einige zu hören.

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