Lost & Found-Portrait: Kleine Heldentaten und viel Ärger in der perfekten, unvollkommenen Welt von Lowell George und Little Feat.

Wenn Musik über 40 Jahre nach ihrem Entstehen immer noch zu begeistern vermag, wenn sie also auch dann noch für Gänsehaut sorgt und man immer wieder feine Nuancen und unterschiedliche Facetten entdeckt, dann kann man wohl ohne zu übertreiben von zeitloser Kunst sprechen. Dieses Phänomen ist in der Pop- und Rockmusik nicht selbstverständlich, aber es gibt zum Glück Künstler und Bands, die in der Lage waren und sind, nachhaltige, faszinierende Töne zu erzeugen. 

Diese Attribute erfüllen für mich BOB DYLAN & THE BAND, STEELY DAN, VAN DER GRAAF GENERATOR und PETER HAMMILL, NICK DRAKE, GENE CLARK, TIM BUCKLEY und last but not least LITTLE FEAT. Das gilt für die Phase mit LOWELL GEORGE bis 1979. Diese Periode soll bei LOST & FOUND näher beleuchtet werden, um den noch nicht infizierten Musik-Liebhabern einen Eindruck über die Vielfalt und Stärken dieser Formation zu geben.

Little Feat | Diskographie | Discogs

LOWELL THOMAS GEORGE wurde am 13. April 1945 in Hollywood geboren. Sein Vater war dort ein angesehener Kürschner, der durch seinen Beruf Kontakte zu einigen Film-Stars hatte. Zu den Freunden der Familie zählten prominente Schauspieler wie ERROL FLYNN und W.C. FIELDS. Den absurden, skurrilen Humor von Mr. Fields findet man auch im Werk von Mr. George wieder, womöglich wurde er durch die elterliche Prägung schon früh inspiriert. Zur Musik fand Lowell übrigens durch seine Mutter Florence, die Pianistin war. Im Alter von 5 Jahren spielte er schon Mundharmonika und lernte Flöte. Später kamen noch Gitarre, Banjo, Klarinette, Saxophon und Sitar dazu. Während der High-School befasste er sich auch eine Zeit lang ausgiebig mit Jazz, was seinen Horizont im Umgang mit komplexen Strukturen und Formen trainierte. Am College studierte er dann Kunstgeschichte und jobbte nebenbei als Tankwart. Bei dieser Gelegenheit kam ihm auch die Idee zu seinem Klassiker „Willin`“.

Begeben wir uns nun ins Jahr 1966: Auf der Suche nach Individualität hatte LOWELL GEORGE bei der Folk-Rock-Band THE FACTORY angeheuert, um professionell Musik zu machen. Aus dieser Formation bildete sich die Westcoast-Band FRATERNITY OF MAN, die auf dem EASY RIDER Soundtrack mit ihrem Song „Don`t Bogart Me“ zu hören ist. Nachdem er zwischenzeitlich auch noch als Sänger bei der Psychedelic-Rock-Band THE STANDELLS eingestiegen war, landete der ehrgeizige Gitarrist 1968 bei FRANK ZAPPA. Bereits 1969 war er ein eher frustriertes Mitglied der MOTHERS OF INVENTION. Als Rhythmusgitarrist hörte man ihn zwar auf drei ZAPPA-Werken, seine Leistungen wurden aber nur bei WEASELS RIPPED MY FLESH in den Liner-Notes erwähnt. Was zu zusätzlichem Ärger führte, war die Tatsache, dass Zappa seine Kompositionen nicht verwenden wollte.

All diese Vorkommnisse führten dazu, dass Lowell zusammen mit dem MOTHERS OF INVENTION-Bassisten ROY ESTRADA beschloss, eine eigene Band zu gründen. Die neue Gruppe um die beiden Deserteure wurde noch durch den Schlagzeuger Richie Hayward, den man von FRATERNITY OF MAN kannte und durch den Tastenmann Bill Payne, der auch aus dem ZAPPA-Umfeld stammte, vervollständigt. Diese Musiker waren sich einig, dass es bei ihrem Vorhaben keine Einschränkungen hinsichtlich Sound und Stil geben sollte. Jeder durfte seine persönlichen Erfahrungen und Ideen einbringen. In der Basis-Zusammensetzung spielte das Quartett 1970 ihr erstes Studioalbum ein, das dann 1971 veröffentlicht wurde. Durch seine Songwriter-Tätigkeiten hatte sich Lowell schon einen guten Ruf unter Insidern erworben, was zu einem Deal mit Warner Brothers Records verhalf. Begünstigt wurde der Vertrag auch dadurch, dass die BYRDS zeitgleich sein TRUCK STOP GIRL aufnahmen. 

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Die erste LITTLE FEAT-LP hat ein beeindruckend karg gestaltetes, aber wirkungsvolles Cover. Dies wurde nur durch den Band-Namen verziert und zeigt ansonsten die Musiker, die bei strahlend blauem Himmel vor einer gemalten Ortskulisse posieren. Das symbolisiert eine frostige, aber klare Atmosphäre. Als wolle man ausdrücken: Den Akteuren ist gewiss, was sie erreichen wollen und können. Obwohl das Engagement bei ZAPPA nicht lange dauerte und unglücklich verlaufen war, konnte Lowell sich doch den einen oder anderen Kniff hinsichtlich des Führens einer Band und des verschachtelten Komponierens abschauen. Lowell bezeichnete die Art, wie er unterschiedliche Skizzen und Stile zusammensetzte, gerne als rissige oder brüchige Mosaike („cracked mosaics“).

Der Band-Name LITTLE FEAT soll übrigens aufgrund einer Bemerkung zu Lowells kleinen Füßen (Schuhgröße 39) entstanden sein. Er bedeutet in dieser Schreibweise aber so viel wie kleiner Held oder kleines Kunststück und soll zusätzlich auch eine Hommage an die BEATLES darstellen. Ein kleines Kunststück ist dem Los Angeles-Vierer tatsächlich mit ihrem ersten Produkt gelungen. Die LP bestand aus gleißenden, bissigen Blues-Rock-Stücken, die eine deutliche Vorliebe zu HOWLIN` WOLF zeigen und aus Country-Folk-Songs mit hinreißenden Melodien, die zwischen kraftvoll und rührend hin- und herpendeln.

Der feurige Eröffnungstrack „Snakes On Everything“ bringt die ganze Sichtweise der Musiker zusammen. Schneidende Gitarrenläufe, akzentuierte Bläser und Chorstimmen befördern den Hörer ohne Vorwarnung mitten hinein ins Geschehen. Stilistische Einordnungen lassen sich nicht eindeutig treffen. Neben Southern-Rock und Blues schwingt auch eine Portion Soul, Country-Folk und Jazz in diesem die Sinne betörenden Cocktail mit. GÜNTER RAMSAUER bringt den Ausdruck dieses Klanges bei seiner Rezension in dem Buch „Das Insel-Alben-Buch“ mal wieder auf den Punkt. Er ordnet ihn in seiner Beschreibung zwischen den ROLLING STONES und GRAM PARSONS an.

Heute wird LITTLE FEAT besonders im Zusammenhang mit der schon angesprochenen Fernfahrer-Hymne „Willin`“ gebracht, die hier in einer abgespeckten Fassung zu hören ist. Nur Lowell sowie RY COODER an der Slide-Gitarre haben den Song in stark alkoholisiertem Zustand zwischendurch als Demo eingespielt. Diese Version landete dann ohne Zustimmung der Band auf der Platte. Der spezielle Slide-Gitarren-Stil von LOWELL GEORGE soll aufgrund eines Unfalls, den der Gitarrist wenige Tage vor den Sessions hatte, sozusagen aus der Not geboren, erfunden worden sein. Er verletzte sich nämlich beim Modellbau an drei Fingern seiner linken Hand. Diese Situation wird übrigens auf dem Cover von LITTLE FEATs UNDER THE RADAR (1998) nachgestellt. Aufgrund dieses Missgeschicks war der Künstler gezwungen, einen Bottleneck zu benutzen, um den richtigen Druck auf die Saiten ausüben zu können. Diese Technik setzte er dann auch exzessiv ein. Mr. George war zu diesem Zeitpunkt schon ein versierter Gitarrist, der einen feinen, besonderen Stil entwickelt hatte. Er ließ die Saiten sirren, flirren, zischeln und surren. Dadurch entsteht ein Geräusch wie von einem liebestrunkenen, metallischen Insekt. Er konnte aber alternativ auch einen wohlig grollenden Klang erzeugen. In diesem Zusammenhang zitiere ich gerne nochmal Günter. Denn er schreibt, dass LOWELL GEORGE mit seiner Slide-Gitarre tiefe Furchen in die Erde pflügen konnte. Das trifft den Höreindruck genau. Trotz dass die Songs auf LITTLE FEAT von herausragender Qualität waren und die Veröffentlichung von uneingeschränktem Kritikerlob begleitet wurde, verkaufte sich diese Debut-LP miserabel. Warner hatte kein großes Vertrauen in die Gruppe gesetzt, presste nur 10.000 Exemplare und gab kaum Geld für Promotion aus.

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Nur der Vermittlung von VAN DYKE PARKS war es zu verdanken, dass die Musiker noch mal ins Studio gelassen wurden. Schon 1972 erschien dann das nächste Kunststück, das nach der gleichen Rezeptur wie der Vorgänger aufgebaut war, aber ausgefeilte Arrangements aufwies. Das zeigt sich besonders im Vergleich zwischen der neu eingespielten Version von „Willin`“ mit der Übungs-Variante vom Erstlingswerk.

Auf SAILIN` SHOES hat das Lied Fleisch an die Knochen bekommen, bisher kannte man es nur in skelettiertem Zustand. Das zweite Wunderwerk beginnt mit „Easy To Slip“, das sofort deutlich macht, dass man es hier mit einem unverwechselbaren Klang zu tun hat. Die Band ist rhythmisch beweglich, jeder Musiker wandelt ständig seinen Beitrag und geht trotzdem auf seine Mitspieler ein. Sie tänzeln umeinander herum, umschwärmen sich, buhlen um Anerkennung und bleiben dabei aber trotzdem locker und geschmeidig. Diese Verbindung von Country und Blues ist so speziell, elektrisierend und aufwühlend, dass sie sich tief ins Lustzentrum einbrennt und dort auf ewig funkelt. „Cold, Cold, Cold“, „Tripe Face Boogie“ und „Teenage Nervous Breakdown“ sind hochgezüchtete, schweißtriefende Blues-Rock-Nummern, die wie Rasierklingen in den Ohren wüten. „Trouble“ und „Sailin` Shoes“ wirken dagegen ausgleichend und wohltuend. Sie sind sozusagen Balsam für die Ohren.

Besonders „Got No Shadow“ deutet schon die weitere Entwicklung der Gruppe an. Hier wird schwüler Soul und smarter Funk ganz groß geschrieben. Für die Covergestaltung der LITTLE FEAT-Langspielplatten war ab jetzt erstmalig NEON PARK zuständig, der mit seinen psychedelischen, surrealen Comic-Strip Zeichnungen seitdem auf jeder Hülle der Band zu sehen war. 

Ich weiß nicht, wie oft ich SAILIN` SHOES schon gehört habe und diese Songsammlung verfehlt trotzdem immer noch nicht ihre anregende Wirkung. Damals bekam ich die LP von meinem Vater geschenkt. Es ging mir grade gesundheitlich nicht so gut. Ich hatte den Eindruck, dass die intensive Auseinandersetzung mit der Musik und ihre kraftvolle Ausstrahlung zum Heilungsprozess beigetragen hatte. Zumindest ist das eine schöne Vorstellung, dass Tönen solch eine Macht innewohnen könnte. 

Die Band hatte damals auch mit ihrem zweiten Streich keinen Durchbruch und da die Musiker nicht von den Einnahmen ihres LITTLE FEAT-Engagements leben konnten, mussten sie immer wieder diverse Session-Jobs annehmen. Lowell musizierte unter anderem für JOHN SEBASTIAN (TARZANA KID, 1974), JOHN CALE (PARIS 1919, 1973), BONNIE RAITT (TAKIN` MY TIME,1973), VAN DYKE PARKS (DISCOVER AMERICA, 1972) und ROBERT PALMER (SNEAKIN` SALLY THROUGH THE ALLEY, 1974). Außerdem förderte er die Karrieren von VALERIE CARTER (JUST A STONE`s THROW AWAY, 1977) und RIKKIE LEE JONES.

Dixie Chicken — Little Feat | Last.fm

Die Kreativität des LITTLE FEAT-Frontmannes war auf dem Höhepunkt, aber 1973 begannen auch seine Alkohol- und Drogenprobleme augenscheinlich zu werden. Der LITTLE FEAT-Kopf war Kontroll-Freak. Er wollte alles im Griff haben, aber die Mehrfachbelastungen wurden ihm zu viel. Der Tournee-Stress, seine Koordinationstätigkeiten, der Druck als Hauptsongwriter und der geforderte weitergehende Einfluss seiner Kollegen nagten in Summe an ihm. Er baute als Reaktion auf diese Situation die Gruppe um und nahm beeinflusst vom Rhythm & Blues aus New Orleans die Musiker Sam Clayton (Percussion) und Paul Barrère (Gitarre) auf. Bassist Roy Estrada war vor dieser Entscheidung schon durch Ken Gradney ersetzt worden. Barrère gab dem Bandleader - den er schon aus der High-School kannte - die Möglichkeit sein Slide-Spiel noch weiter zu intensivieren.

Die neu entstandenen Songs waren von einem unwiderstehlichen, geschmeidigen Funk-Groove durchsetzt. Dieser wird nicht klotzig aufgepfropft, sondern fein akzentuiert verordnet. Ich war mal in einem Fitness-Studio, in dem es nur eine Rock-Kassette gab. Auf der einen Seite war THE EAGLES und auf der anderen DIXIE CHICKEN. Das Teil lief im Dauerbetrieb und ich konnte mich trotzdem nicht an LITTLE FEATs dritter Veröffentlichung von 1973 satt hören, weil es so delikat und unterschwellig betört. Im Laufe der Jahre ist sie sogar zu meinem Lieblingsalbum der Band geworden. 

Das Teil hat durchgängig eine zwingende, erhabene, subtile Spannung, die unter die Haut geht. Die zusätzlichen percussiven Elemente sorgen für exotische Momente. Der Groove ist dabei diffizil und elegant-soulig. Insgesamt färbt der Einfluss des Stil-Schmelztiegels von New Orleans mit seinen Hohepriestern ALLEN TOUSSAINT, THE METERS und DR. JOHN auf die Produktion ab. Die eingesetzten Background-Ladies bekommen ein großes Stück der Gesangs-Torte ab und verzieren diese mit jubilierenden, verheißungsvollen Stimmen. Voodoo-Rhythm & Blues trifft auf Country-Soul, Swamp-Funk und Boogie-Blues. Durch diese Mixtur entsteht ein unwiderstehliches Gebräu, das auf coole Weise die Sinne betört. Aber auch diesmal blieb eine nennenswerte kommerzielle Anerkennung aus, wodurch die Band auseinanderfiel. 

Lowell spielte nach dem Split beim Ausnahme-Dobro-Spieler MIKE AULDRIDGE auf dessen LP BLUEGRASS & BLUES von 1974 mit.

Dobro/Blues and Bluegrass - Mike Auldridge: Amazon.de: Musik

Dessen Ausdruck inspirierte ihn für ein eigenes Solo-Album. Außerdem fand die Band wieder zusammen und bei FEATS DON´t FAIL ME NOW, das auch 1974 erschien, regiert wieder der tänzelnde Boogie, die Rock`n`Roll-Durchschlagskraft und die Rhythm & Blues-Bodenhaftung, die man von der ersten LP kennt.

Little Feat - Feats Don't Fail Me Now (1974, Vinyl) | Discogs

Hier stechen der funkige, mit verlagerten Rhythmen versehenen Boogie-Blues „Rock`n`Roll Doctor”, der munter abgehende Boogie mit Southern-Soul-Grundierung „Oh Atlanta” und das Medley aus der Neuauflage von „Cold, Cold, Cold” und „Tripe Face Boogie” besonders heraus. Der zuletzt kultivierte lässig-brodelnde Funk hat deutliche Spuren bei „Skin It Back“ hinterlassen. „Down The Road“ und „Feats Don`t Fail Me Now” klingen wie Outtakes von DIXIE CHICKEN und mit „Spanish Moon“ ist der Formation ein besonderes Highlight gelungen. Der Track ist ein raffiniert verzahnter Funk-Rock mit exotischem Flair, messerscharfen Bläsern und polyrhythmisch eingesetzter Percussion. Die Platte ist insgesamt deftiger, zupackender und muskulöser als DIXIE CHICKEN ausgefallen. Zwar wurden auch elektronische Klänge eingebaut, diese fügen sich aber harmonisch und passgenau in den charakteristischen Sound der Combo ein.

LOWELL GEORGE ist einer jener innerlich zerrissenen Typen mit speziellen, vielfältigen Talenten, der seine Kreativität häufig aus der Situation der Unzulänglichkeit, des Scheiterns, der Ungewissheit und des Leids schöpft. Das führt zu überdurchschnittlich guten Ergebnissen, sofern diese Gefühle und Eindrücke nicht übermächtig werden. Über THE LAST RECORD ALBUM von 1975 liegt jedoch ein prägender depressiver, resignierender, melancholischer Schleier.

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Das spiegelt sich deutlich in „All That You Dream“ wider. Die Textzeile „Mir ging es schon schlecht, aber so schlimm wie dieses Mal war es noch nie“ spricht dabei Bände, auch wenn der Song von Barrère und Payne und nicht vom Chef stammt. Eine unterkühlte, lässige, elegant-distanzierte und leicht gelackte Variante von DIXIE CHICKEN umgibt diese Aufnahmen. Die Tracks vibrieren und pulsieren im gedämpften Modus unterhalb der Oberfläche. Sich überlagernde, versetzte oder ablösende Rhythmus-Einschübe sorgen in diesem Geflecht zusätzlich für Aufmerksamkeit erregende Abläufe. In manchen Lagen ist das dem chromblitzenden Charme mancher STEELY DAN-Songs nicht unähnlich.

Von ZAPPA hatte LOWELL gelernt, wie man das Tonstudio als Instrument einsetzt. Er verwendete das Tonband wie andere Musiker Notenpapier, indem er Teile auseinander schnitt und neu zusammensetzte, um einen speziellen Klang zu erzeugen. Da er ein Perfektionist war, verbrachte er so viel Zeit wie nötig im Studio, um das für ihn optimale Ergebnis zu erzielen. Diese endlosen Sitzungen brachten ihn gegen die anderen Bandmitglieder auf. Um einen erneuten Bruch abzuwenden, bekamen Barrère und Payne einen höheren Anteil am Gesang und Songwriting eingeräumt. LOWELL GEORGE war nur noch bei drei Songs an der Komposition beteiligt. Neben DIXIE CHICKEN macht dieses Opus aber trotzdem den atmosphärisch homogensten Eindruck aller LITTLE FEAT-Publikationen.

Man kann es drehen wie man will, aber TIME LOVES A HERO (1977) hält nicht den Standard von THE LAST RECORD ALBUM.

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Es gibt zwar erfreuliche Beiträge, aber eben auch Ausflüge in die Mittelmäßigkeit, die die Freude erheblich trüben. Solche Aussetzer kannte man bisher nicht. Der gesundheitlich und mental angeschlagene LOWELL GEORGE war zu dieser Zeit nicht mehr in der Lage, als Leitwolf, Vordenker, Produzent, Komponist, Sänger, Luxusgitarrist, Familienvater und Koordinator gleichzeitig zu agieren. Außerdem handelte er sich auch noch eine Hepatitis ein und war deshalb nicht fähig, an den ersten Einspielungen teilzunehmen. Er musste die Zügel größtenteils abgeben und seine Kumpane nutzten die Chance für einen Kurswechsel nach ihrem Gusto. Fusion-Jazz war angesagt und wurde hier weidlich ausgelebt. Das gipfelte in dem Track „Day At The Dog Races”, der auch von CHICK COREAs RETURN TO FOREVER oder WEATHER REPORT stammen könnte. Handwerklich ist das erste Sahne, hat aber nichts mehr mit LITTLE FEAT der alten Schule zu tun.

Mr. George hat zu dem Ergebnis nur zwei Songs beigesteuert. Zum Einen „Keepin` Up With The Joneses“, dass er gemeinsam mit Paul Barrère geschrieben hat. Der Tune klingt wie ein Outtake von  auch ist. Zum Anderen „Rocket In My Pocket“, das Highlight dieses Outputs. Der Track ist ein verzwickter, rhythmisch anspruchsvoller Boogie, bei dem selbst die Synthesizer-Sequenzen abstrakt und ansprechend zugleich sind. Als Lowell nicht zu Potte kam, um seinen Beitrag zum Song aufzunehmen, engagierte Produzent TED TEMPLEMAN mit BONNIE RAITT eine Freundin der Band, um das Gitarren-Solo zu vollenden. Erst als der ausgebootete Band-Chef mit dieser Konkurrenzsituation konfrontiert wurde und das beachtliche Ergebnis hörte, rappelte er sich auf, um selber tätig zu werden.

Da LITTLE FEAT 1978 relativ gut im Geschäft war, aber man nicht unbedingt mit neuen Kompositionen von LOWELL GEORGE rechnen konnte, entschloss sich Warner Brothers, eine Live-Doppel-LP mit Auftritten von 1977 rauszubringen. In diesem Jahr war die Band außerdem auch bei der ersten WDR-Rockpalast-Nacht zu sehen. Die Zusammenstellung der Bühnen-Show heißt  WAITING FOR COLUMBUS und zeigt die Gruppe in guter Form und teilweise in großer Besetzung, verstärkt durch die Bläser der Funk-Band TOWER OF POWER. 

Little Feat - Waiting For Columbus (1978, Vinyl) | Discogs

Das Teil war ein großer kommerzieller Erfolg und auch musikalisch wertvoll. Es konnte die Anhänger der Band, die deren Bühnenaktivitäten über die Jahre verfolgt hatten, aber nicht darüber hinweg täuschen, dass die Truppe eigentlich ihr Zenit überschritten hatte.

Wer sich alternativ ein Bild über die Energie und das kreative Potential der Formation, welches diese in die Konzertsäle getragen hatte, verschaffen möchte, der kann das legal und umfassend unter https://archive.org/details/LittleFeat tun. Hier gibt es die Möglichkeit, sich etliche Bootlegs aus allen Schaffensperioden in unterschiedlicher Sound-Qualität anzuhören oder runterzuladen. Besonders empfehlenswert sind: LIVE AT EBBET`s FIELD (1973-07-19), auch unter SNAKES ON EVERYTHING bekannt. Oder ULTASONIC STUDIOS (1973 und 1974), auch unter ELECTRIF LYCANTHROPE bekannt. Sowie ORPHEUM THEATER, BOSTON (1975-10-31).

1978 produzierte Lowell die San Francisco-Hippie-Legende GRATEFUL DEAD. Das Ergebnis war SHAKEDOWN STREET, das unter Fans einen eher schlechten Ruf hat.

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George konnte die Arbeit an dem Werk nicht beenden, da die DEAD mit seinem akribischen Arbeitsstil nicht klar kamen. Mit „Shakedown Street“ und „Fire On The Mountain“ hat die LP aber zumindest zwei Songs, bei denen man die Handschrift des FEAT-Leaders deutlich raushört.

Nebenbei arbeitete Lowell weiter an seinen Solo-Aktivitäten. Dieses Projekt verfolgte er mehr oder weniger konsequent schon seit 1975. 1979 wurden dann auch Termine zur Produktion von neuen LITTLE FEAT-Studio-Aufnahmen anberaumt. Dabei flammten die alten Probleme zwischen den Bandmitgliedern wieder auf. Lowells zwanghaftes Verhalten, penetrant nach dem optimalen Klang zu suchen und damit teure Studiozeit zu verschwenden, spaltete die Truppe erneut. Der überforderte und genervte Band-Leader stieg mitten während der Arbeiten aus und widmete sich wieder seinen eigenen Aktivitäten. Und so ist DOWN ON THE FARM letztlich auch nur ein halbwegs gelungenes Werk geworden.

Zwei Wochen vor der Veröffentlichung von THANKS I`ll EAT IT HERE, wie das Solo-Schaffen des damals 34jährigen heißt, war der inzwischen 160 Kilo auf die Waage bringende Musiker auf Promo-Tour dafür.

Lowell George - Thanks I'll Eat It Here (1993, CD) | Discogs

Nachdem er über Nacht durchgearbeitet hatte, um ein Tape für eine Radio Show zusammenzustellen, starb er am 29. Juni 1979 in seinem Hotelzimmer nach offizieller Diagnose an einem Herzinfarkt. Seine eigenen Arbeiten zeigen ihn gesanglich ausgeglichen, ausdrucksstark und selbstbewusst. Die Songs werden mit einem samtig-souligen Timbre vorgetragen und decken ein weites Spektrum ab. Man spürt bei aller Liebe zum Detail, dass diese Lieder eine Herzensangelegenheit für ihn gewesen sein müssen. Sie demonstrieren eine bewusste Abkehr vom komplex-intellektuellen Sound, der immer häufiger bei seiner Stammband zum Einsatz kam.

Der zarte Schmelz und der abgestufte Gesang von „What Do You Want The Girl To Do“ schmiegt sich wie ein Maßanzug um den Künstler. „Dixie Chicken“ wurde radikal umarrangiert und ist hier eckiger und schneller als das Original. Auch „I Can Stand The Rain“, der Klassiker von ANN PEEBLES, bekommt ein abgewandeltes Gesicht. Durch das zurückgenommene Tempo hätte der Track auch auf DIXIE CHICKEN oder  THE LAST RECORD ALBUM gepasst. Seiner Entdeckung RIKKIE LEE JONES zollt er mit ihrem „Easy Money“ im Swing-Stil Respekt. Aber die Paradenummern sind die Balladen „20 Million Things“ und „Find A River“, die von solch einer Güte sind, dass sie auch auf der ersten LITTLE FEAT-LP nicht negativ aufgefallen wären.

DOWN ON THE FARM, das 1979 posthum veröffentlichte letzte LITTLE FEAT-Studio-Album mit Beteiligung von LOWELL GEORGE frönt wieder vermehrt dem Country Rock mit Soul-Beigeschmack („Down On The Farm“) oder verbindet Tex-Mex mit Bluegrass und Swing („Six Feet Of Snow“). Dann findet man noch eine tiefschürfende Ballade mit Stimmungs- und Tempowechseln im Stile von DAVID CROSBY („Perfect Imperfection“) und einen ordentlichen Boogie-Blues-Rock („Kokomo“).

Down on the farm von Little Feat, LP bei vinyl59 - Ref:118363037

Die restlichen Nummern sind eher dem Mainstream zugeneigt. Trotzdem kann auch die herzzerreißende Ballade „Be One Now“ aufgrund des starken Gesangs überzeugen.

LOWELL GEORGE war eine Ausnahmeerscheinung. VAN DYKE PARKS bezeichnete ihn als wagemutigen Schizophrenen, der auf einer Stufe mit Van Gogh und Ravel steht. NEON PARK meinte, dass das besondere bei seiner Musik gewesen sei, dass er Netzwerke von höchster Logik aufbaute, um darin dann Elemente des Wahnsinns unterzubringen. BONNIE RAITT nannte ihn den THELONIOUS MONK des Rock und behauptete, er sei der beste Sänger, Komponist und Gitarrist gewesen, den sie je erlebt hätte. Für JACKSON BROWNE war er der ORSON WELLES der Musik. MARTIN KIBBE, Co-Autor einiger LOWELL GEORGE Songs, gab zu Protokoll, das das besondere am Sound von Lowell war, dass er eine einzigartige Mischung aus weißer Ironie und schwarzer musikalischer Sensibilität darstellte. Das sind alles Umschreibungen, die zeigen sollen, wie einzigartig und herausragend dieser Künstler gewesen ist. 

Wie schmerzlich sein Talent vermisst wurde, wird abermals durch die 1981 aufgelegte Raritäten-Sammlung HOY-HOY! deutlich. Unveröffentlichtes, alternative Versionen und Live-Darbietungen zeigen in dieser komprimierten, die gesamten Schaffensperioden umspannende Sammlung auf, zu was der Musiker in der Lage war.

Hoy-Hoy! - Little Feat: Amazon.de: Musik

Dazu noch etwas Trivia am Rande: Der Name HOY-HOY! steht schon auf dem Nummernschild des Autos vom Cover von FEATS DON`t FAIL ME NOW.

LITTLE FEAT machten übrigens ohne ihren Chef wieder ab 1988 bis heute weiter. Sie agieren dabei in etwa wie THE DOORS ohne JIM MORRISON. Bemüht, solide, aber nicht einzigartig. Den übrig gebliebenen Musiker fehlt der Fixpunkt, der markante Sänger und außergewöhnliche Komponist und Gitarrist. Solch eine Lichtgestalt ist eben nicht so einfach zu ersetzen.

Die LOWELL GEORGE Songs haben eine einzigartige Magie, die wahrscheinlich nur einer zerrissenen Seele entspringen kann. Er soll im Grunde ein liebenswürdiger, charmanter, gewinnender Typ gewesen sein. Aber der Kampf mit seinen Dämonen und Selbstzweifel ließen ihn als gewohnheitsmäßigen Drogenkonsument mit starkem Übergewicht enden. Parallelen zum späten ELVIS sind dabei unverkennbar. Ein spezieller Charakter bringt auch außergewöhnliche Musik hervor, die durch Spontanität, Sensibilität, kompositorische Raffinesse und handwerkliches Können geprägt ist. 

Die verwendeten Zutaten wichen bei LITTLE FEAT immer von der Norm ab. Wenn alles passte und der Sound ausgewogen und transparent war, dann wurde der Blues anarchisch, der Folk verletzlich, Country herzzerreißend, der Funk trocken pulsierend, der Soul inbrünstig und der Jazz flüssig  eingesetzt. Die besondere Mischung machte den unvergleichlichen Reiz aus und sorgte für den zeitlosen Charakter. Außerdem hatte Lowell das richtige Gespür dafür, die Bestandteile mit Herz und Hirn so anzureichern, dass sie sich zu verletzter Ästhetik, seelenvoller Anmut und derbem Rock`n`Roll zusammensetzten.

Befreundete Musiker haben sich intensiv mit der Musik von LOWELL GEORGE auseinandergesetzt und 1997 das Tribute-Album ROCK AND ROLL DOCTOR zusammengestellt.

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Hier lebt sein Vermächtnis durch beherzte, ausdrucksvolle Cover-Versionen weiter. Besonders hervorgetan hat sich J.D. SOUTHER mit einer lässigen Version von „Roll Um Easy“, die Lowell bestimmt ein Lächeln ins Gesicht gezaubert hätte. Dann sind da noch die BOTTLE ROCKETS mit dem Gast DAVID LINDLEY an der Slide Gitarre. Sie zeigen eine hemdsärmelige, auf den Punkt gebrachte, krachige „Rocket In My Pocket“ Darbietung. Während JACKSON BROWNE verletzlich wie zu seinen besten Zeiten agiert und mit I`ve BEEN THE ONE zu Tränen rührt.

„Long Distance Love“ wird von KEISUKE KUWATA und MERRY CLAYTON anmutig und gleichzeitig leidenschaftlich zelebriert, so dass man kaum zu atmen wagt. Und  RANDY NEWMAN macht mit gesanglicher Unterstützung von VALERIE CARTER „Sailin` Shoes“ zu seinem eigenen Song. Was sich beim Original locker einfügt, wird von PHIL PERRY, MERRY CLAYTON und RICKY LAWSON kraftvoll in den Vordergrund gerückt: „Spanish Moon“ gerät in dieser Bearbeitung zum brodelnden Funk-Monster. Alle diese Interpretationen beweisen endgültig, dass die Musik von LOWELL GEORGE zeitlos ist und in unterschiedlichen Ausprägungen interpretiert werden kann, ohne an Faszination zu verlieren.


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