Van Der Graaf Generator - Do Not Disturb (2016)

Van Der Graaf Generator haben eine konzentrierte, engagierte Arbeit abgeliefert. „Do Not Disturb“ ist wahrscheinlich ihr bestes Album seit der Reunion im neuen Jahrtausend.

PETER HAMMILL gehört leider zu den unterbewerteten Künstlern, dabei ist sein Lebenswerk höchst beeindruckend. Ob Solo oder mit VAN DER GRAAF GENERATOR hat er zeitlose, beeindruckende Kunst geschaffen. Nun ist das 13. Studio-Album der britischen Art-Rock-Institution erschienen und es ist hervorragend geraten. Alte Tugenden und neue Ideen führen zu einem prickelnden Hörvergnügen und fügen dem Output der Musiker ein neues Meisterwerk hinzu.
Peter Hammill, der Chefdenker der Art-Rock-Truppe Van Der Graaf Generator, hatte den Tod schon vor Augen. Im Jahr 2003 erlitt er während eines Besuchs bei David Jackson, dem Saxophonisten und Flötisten der Band, einen Herzinfarkt. Nur der Anwesenheit des Kollegen ist es also wahrscheinlich zu verdanken, dass der Ausnahmemusiker noch unter uns weilt. Solch ein Erlebnis prägt nachhaltig und deshalb denkt Hammill jetzt nach Veröffentlichung des 13. Albums der Institution auch öffentlich darüber nach, dass dies vielleicht das letzte Album der Formation sein könnte.

„Do Not Disturb“ ist das vierte Werk ohne Jackson, der noch 2005 auf „Present“, dem ersten Studioalbum seit 28 Jahren Pause, mit an Bord war. Das danach verbliebene Trio besteht aus Hugh Banton, der alles was Tasten hat soundprägend spielt, und Guy Evans, einem der flexibelsten Schlagzeuger der Rockgeschichte, sowie dem Komponisten Peter Hammill, der jetzt endlich mal wieder seine aggressiv-ruppige und punkig-schnoddrige E-Gitarre weitläufig zum Einsatz bringt und erstaunlicherweise immer noch singt wie ein junger Gott. Und das mit beinahe 68 Jahren.
Beim Hören der Platte entsteht tatsächlich der Eindruck, als wollten die Musiker nochmal besonders eindringlich demonstrieren, was sie draufhaben. Als hätten sie das nötig. Allerdings gibt es unter den Fans auch die Ansicht, dass die Band nie wieder so gut war wie in den Siebzigerjahren und David Jackson aktuell schmerzlich vermisst wird. „Do Not Disurb“ widerspricht jetzt vehement diesen Meinungen, weil sich die Musiker ein Stück weit auf die Tugenden ihrer Klassiker „The Least We Can Do Is Wave To Each Other“ (1970), „Pawn Hearts“ (1971), „Godbluff“ (1975), „Still Life“ (1976) oder „The Quiet Zone/The Pleasure Dome“ (1977) besinnen.
Ruhe, Stillstand und bedächtige Notenansammlungen gibt es bei „Aloft“ zu hören, das sich zunächst poetisch, aufgeräumt und harmonisch anhört. Die Klangfarbe wechselt dann in Richtung Dramatik, hat opernhafte Sprünge und wird noch richtig fordernd und unnachgiebig. Die wechselnden Teilstücke erinnern dadurch an das ellenlange, in Unterabschnitte aufgeteilte „A Plague Of Lighthouse Keepers“ von „Pawn Hearts“. Verfremdet und Alltagsgeräusche einfangend, hinterlässt „Alfa Berlina“ zunächst einen experimentellen Eindruck. Später setzt die sakrale Orgel ein, die dem Hörer Vertrautheit signalisiert und Halt schenkt. Die unheimlichen Störgeräusche kehren nochmal zurück, werden aber von einem mächtigen, kompakten Grollen im Zaum gehalten.
„Room 1210“ knüpft auch an Großtaten an. Die Komposition könnte ein Outtake von „Still Life“ sein: Lyrisch, ausladend, facettenreich und melodisch abgestuft wird eine mosaikartige Konstruktion ideenreich aufbereitet. Neu im Soundgeflecht ist dabei ein Akkordeon, das von Hugh Banton nahtlos und berührend integriert wird. „Forever Falling“ fügt Bestandteile verschiedener Dynamikabstufungen und Geschwindigkeiten zu einem druckvollen Track zusammen. Die Collagetechnik erinnert dabei in etwa an Frank Zappa und der Aufbau des Stücks an „The Sleepwalkers“ vom Jahrhundertalbum „Godbluff“. Hammills angriffslustiger Gesang und seine energisch quengelnde E-Gitarre bilden die Basis für diesen begeisternden Song.
„Shikata Ga Nai“ ist ein kurzes, lautmalerisches Instrumentalstück, das aufgrund seiner Skurrilität auch gut auf „Swordfishtrombones“ von Tom Waits oder zu einem Brecht-Weill-Stück gepasst hätte. „(Oh No! I Must Have Said) Yes“ kippt nach zwei Minuten und fünfunddreißig Sekunden abrupt von einem stumpfen Heavy-Blues-Rock-Gefüge in einen abstrusen, skurril swingenden Jazz um. „Brought To Book“ und „Almost The Words“ beginnen als zerbrechliche, intime Art-Rock-Balladen. Diese Ausprägung wird im Laufe der jeweils acht Minuten Spielzeit mit Brüchen und Experimenten durchzogen, die ein Gegengewicht zu der schönen Fassade bilden und die Tracks darum zügellos erscheinen lassen.
Den Abschluss bildet mit „Go“ eine sphärische Nummer ohne Ausschweifungen, die traurig und düster nach Abschied klingt. Hammill singt dabei im Einklang mit bedrohlich-sakralen Orgelklängen so besonnen, wie es nur von jemandem realisiert werden kann, der mit sich und der Welt im Reinen ist. Das ist so ergreifend und schön, dass danach nur demütig innegehalten werden kann. Was letztendlich bleibt, sind der unverwüstliche, uneingeschränkte Respekt für das Lebenswerk von Peter Hammill & Co. sowie die Hochachtung für dieses außergewöhnlich engagierte und gelungene Alterswerk. Es wird hoffentlich nicht das letzte Lebenszeichen der begnadeten Musiker sein.
Hier kommt PETER HAMMILL zu Wort:

Eine Dokumentation über VAN DER GRAAF GENERATOR ist hier zu sehen:

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