JIM LAUDERDALE - LONDON SOUTHERN (2017)

Country Got Soul ist das Etikett, dass LONDON SOUTHERN, der neuen Platte von JIM LAUDERDALE aufgeklebt werden könnte. Hier gibt es eine seelenvolle Sammlung von hinreißenden Songs zu hören, die ihre betörende Wirkung nach und nach verströmen.
Country Got Soul: Ein fast vergessener Stilmix zeigt sich bei Jim Lauderdale in neuer Blüte.
Der angesehene und vielfach ausgezeichnete Jim Lauderdale kommt seit 1989 auf einen Output von fast dreißig Alben. Seine Ausflüge in unterschiedliche Spielarten des Americana-Sektors wurden dabei häufig von Größen der jeweiligen Szenen wie dem Produzenten- und Musiker-As Buddy Miller oder der Bluegrass-Legende Ralph Stanley begleitet. Außerdem ist er ein gern gesehener Gast bei Kollegen wie Elvis CostelloLucinda Williams oder Mary Chapin Carpenter. Lauderdale verfügt also über eine breite Palette von Ausdrucksmöglichkeiten und hat ein enormes Erfahrungspotential angesammelt.
Jim Lauderdale: London Southern (CD) – jpc
Die Vereinigung von Country und Soul, das ist die Formel, die den Songs auf „London Southern“ vordergründig ihren Schliff verleiht. Schon auf „Soul Searching“ aus 2015 hat sich Jim auf die Spurensuche nach dieser Genre-Fusion begeben und ist damals in Memphis und Nashville fündig geworden. Gegen Ende der 60er-Jahre bis etwa Mitte der 70er-Jahre erblühte vornehmlich in den Südstaaten der USA eine Musik-Richtung, die knackigen oder berührenden Country mit Blues-Wurzeln versah, mild swingenden Soul dazu gab und das Ganze mit souverän groovendem Funk unterlegte. Bei diesem köstlichen Menü fielen Hits wie das herzzerreißende „The Most Beautiful Girl In The World“ des schwarzen Country-Sängers Charlie Rich oder die düster-fragile Moritat „Ode To Billie Joe“ von der aus dem Mississippi-Delta stammenden Sängerin Bobbie Gentry ab.
Viele Perlen aus dieser Zeit blieben jedoch nur Kennern vorbehalten, wie die impulsiven Songs von Roy Head oder der von Funk und R&B durchflutete Country-Folk von Jim Ford. Bis der wunderbare Stilakrobat Jeb Loy Nichols im Jahr 2003 einige Highlights mit seiner leider nur zwei Folgen umfassenden „Country Got Soul“-Serie der Vergessenheit entriss und einem neuen, aufgeschlossenen Publikum präsentierte. Nichols erwies sich dabei als ausgewiesener Experte, der schon mit seinen Fellow Travellers und auch solo so scheinbar unvereinbare Musikrichtungen wie Folk und Reggae miteinander kreuzte.
Jetzt bedient sich Jim Lauderdale erneut bei der Schnittmenge zwischen Country und Soul und belebt diesen Sound wissend und einfühlsam. Ein Veteran der Szene, nämlich Dan Penn, der mit seinem Kumpel Spooner Oldham solch unsterbliche Songs wie „The Dark End Of The Street“ oder „I`m Your Puppet“ verfasste, ist auch bei „London Southern“ zwei Mal als Co-Autor an Bord. Ebenso gehört auch John Oates, eine Hälfte des weltweit erfolgreichen Pop-Duos Hall & Oates zu den Ideengebern.
Jim lässt es überwiegend gemächlich angehen. Der smarte Künstler verleiht den Stil-Hybriden eine tiefgreifende Bedeutung, indem überlegene Übersicht, Stabilität, Zeit zum Entfalten, Ausgeglichenheit und ganz viel leidenschaftliche Emotionen als Grundpfeiler des Sounds verwendet werden.
So lässt „Sweet Time“ lockeren, altmodischen, wiegenden Country zu Tage treten, der von leidenschaftlichem Gesang begleitet wird. Das gleiche ausgewogene, dezente Swing-Prinzip liegt auch dem R&B-Schleicher „You Came To Get Me“ und dem Country-Pop „Don`t Shut Me Down“ zu Grunde. „We`ve Only Got So Much Time Here“ und „What Have You Got To Lose“ sind am Southern-Soul geschulte, ausdrucksvolle Lieder. „I Love You More“ wird betont langsam und tränenziehend gespielt, was das Lied bis an die Grenze zur Resignation bringt, und „Different Kind Of Groove This Time“ ist eine Soul-Ballade, die auf einem samtenem Orgel-, Bläser-, Keyboard-, E-Gitarren-, Bass- und Soft-Schlagzeug-Teppich schwebt.
„If I Can`t Resist“ paart Dramatik mit entspanntem Latin-Pop-Feeling. Das mundet gleichzeitig honigsüß und verführerisch prickelnd. Folk und Country treffen beim ruhigen „Don`t Let Yourself Get In The Way“ aufeinander und lassen das Stück sanft und schillernd gleiten. Rockabilly ohne allzu laute, hektische Ausbrüche im Instrumentalbereich bieten „No Right Way To Be Wrong“ und „This Is A Door“. Rhythm & Blues der gefühlvollen, langsamen, seelenvollen Art gibt es bei „I Can`t Do Without You“ zu hören. Das erinnert stellenweise an den jungen Van Morrison.
Die in dem Londoner Goldtop Studio realisierten Kompositionen verarbeiten die verführerische Melancholie der Country-Musik, das süße Leiden des Soul, den rauen Trotz des Rhythm & Blues, den lässigen Schmerz des Funk und das zähe Durchhaltevermögen des Blues. In den Songs wird sowohl leidenschaftlich umworben wie auch untröstlich getrauert. Es brodelt unter der geschmeidigen Oberfläche, auch wenn der Sound oft cremig zart daherkommt. Haben Ohren und Hirn erst mal von dem anmutigen Gericht gekostet, gibt es kein Zurück mehr. Denn der Hörer verfällt den unwiderstehlichen Klängen willenlos. Hier trifft das pralle Leben auf besonders intensive Gefühlslagen. Darin zeigt sich die Kernkompetenz dieser engagiert vorgetragenen Lieder.
Und hier kann man ins Album reinhören:

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