ARTO LINDSAY - Cuidado Madame (2017)

ARTO LINDSAY ist ein Visionär und Grenzgänger zwischen Pop und Avantgarde. Mit CUIDADO MADAME ist ihm ein relativ zugängliches Werk gelungen, das anregend und einfühlsam zugleich ist.

Art + Pop = Arto Lindsay.
Mit der New Yorker Avantgarde-Formation DNA begann 1977 die Karriere des Gitarristen, Sänger, Produzenten und Komponisten Arto Lindsay. Seitdem tummelte er sich in unterschiedlichen Projekten. Dazu gehörten die Punk-Jazzer Lounge Lizards, die New Wave-Combo Golden Palominos oder das Art-Rock/Dance-Pop-Duo Ambitious Lovers mit Keyboarder Peter Scherer. Auch Solo schlägt der musikalische Grenzgänger seine Haken, wobei sich Bestandteile brasilianischer Musik wie ein roter Faden durch seine Platten ziehen. Kein Wunder, denn Arto wuchs als Sohn von US-amerikanischen Missionaren in Brasilien auf.
Arto Lindsay – Cuidado Madame - Q-rious Music
Arto Lindsay schafft Lebendigkeit durch konkurrierende, widersprüchliche Aspekte. Zutrauliche Melodien und barsche Experimente sind für ihn keine Gegensätze, sondern nur zwei von einigen Möglichkeiten, um Ohren, Gefühle und Hirn zu aktivieren. In seiner langen Karriere ist er nie den einfachen, erfolgversprechenden Weg gegangen, sondern hat stets versucht, Gegensätzliches zu vereinen. Mal radikaler, mal versöhnlicher gestimmt. Pumpend-stolpernde Bass-Linien, quietschend, schreiende Synthesizer-Töne, noch nicht zusammenpassende Percussion-Fragmente und tuschelndes Hi-Hat-Zischen bilden die Vorhut zu „Grain By Grain“. Im Anschluss wird ein milder Groove aufgebaut, der durch den ausgeglichenen Gesang Unterstützung bekommt. Das jazzige, aktive Schlagzeug untergräbt im Verlauf die Ausgewogenheit und übernimmt die Führung bis zum Schluss. Der Track läuft also nicht nach einem durchgängigen Schema ab, wirkt jedoch trotzdem nicht zerfasert. Diese Konstruktionsweise ist eine Spezialität des New Yorker Künstlers. „Each To Each“ beginnt freundlich, aber im Hintergrund deuten sich durch lebhafte Poly-Rhythmen Veränderungen an. Wie an einem Sommertag, wenn sich langsam Wolken bilden, ohne dass klar ist, ob sich das Wetter wirklich ändert. Folkloristische Trommel-Töne lassen das Lied exklusiv ausklingen, ohne dass es zum möglichen Umschwung kommt.
Die waschechte Bossa Nova „Ilha Dos Prazeres“ wird durch stoische Percussion-Takte, eine keifende Gitarren-Attacke und gegenläufige Tasteninstrumente in ihrer lässigen, verführerischen Exotik attackiert. „Tangles“ zeigt auf, wie das Spiel mit Tempo- und Dynamikverschiebungen reizvolle Kontraste zu Tage bringen kann: Funk-Grooves, Hypno-Drums, Minimal-Art-Keyboards und elegische Klangwolken buhlen um die Gunst des Hörers. Für „Deck“ werden Break-Beat- und Jazz-Rhythmen verwendet, die den schläfrigen Track vorm Stillstand bewahren. Die abenteuerliche Taktgebung und der beiläufige Gesang von „Vao Queimar Ou Botando Pra Dancar“ erinnern an die visionären Krautrocker von Can. Fräsende E-Gitarren lassen den Flow hier splittern, ohne ihn zu zerstören. Die Bossa Nova hat eine melancholische und eine lebenslustige Seite. „Seu Pai“ zeigt eine bedächtige, abgeklärte Sicht. Der Song betont eine folkloristische Vorgehensweise, die sich durch einen jazzigen Puls von der reinen Lehre unterscheidet.
„Arto Vs. Arto“ demonstriert die pure Lust am destruktiven Experiment und der Atonalität, was den Spaß nicht allzu sehr beeinträchtigt, da das Stück nur kurz ist. Ein paar Störgeräusche werden noch zu „Uncrossed“ herübergerettet, können sich aber letztlich nicht gegen die Leichtigkeit durchsetzen, die die intime Bossa Nova verkörpert. „Unpair“ beginnt als pumpender Ethno-Blues, der von einer schneidend brutalen E-Gitarre in kleine Fetzen gerissen wird. Und die Orgel grollt dazu zustimmend. „Pepe De Perto“ gibt sich ausgeglichen und zufrieden. Die Aggressionen sind abgebaut, jetzt wird durchgängig Einklang und Frieden zugelassen.
Arto Lindsay betreibt bildende Kunst. Der Musiker tarnt Avantgarde mit Pop-Musik-Zutaten, indem er sich als Wolf im Schafspelz zunächst zugänglich gibt, um dann nach Belieben die Harmonie zu torpedieren. Diese behält aber trotzdem meistens die Oberhand. Deshalb gelingt mit „Cuidado Madame“ ein Art-Pop-Werk, das anspruchsvoll gestaltete Musik verdaulich übermittelt.

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