ERIC BIBB - Migration Blues (2017)

ERIC BIBB hat sich einen erstklassigen Ruf als Blues-orientierter Roots-Musiker erworben. Mit MIGRATION BLUES unterstreicht er diese Stellung und widmet sich der aktuellen politischen Lage hinsichtlich der Flüchtlingsströme. Diese bringt er in einen geschichtlichen Gesamtzusammenhang und betont die humanistische Pflicht, Nächstenliebe zu demonstrieren. 

Eric Bibb nutzt den Blues neben anderen Roots-Music-Formen als Kulturgut, um auf Missstände aufmerksam zu machen.

Geboren und aufgewachsen ist Eric Bibb als Sohn des Folksängers und Schauspielers Leon Bibb in New York. Dadurch kam er schon früh mit der Musik von Odetta und Bob Dylan in Berührung. Eine Laufbahn als Musiker schien bei dieser Prägung zwangsläufig, lief aber nicht nach Plan ab. In den 1970er Jahren zog Bibb nach Skandinavien und nach seiner Rückkehr in die USA gab es auch keinen Karriere-Blitzstart. Erst 1997, ab dem Album „Good Stuff“ - da war er schon 46 Jahre alt - fand der vielseitige Musiker die Beachtung, die er verdient hatte. Eric Bibb hat inzwischen eine stattliche Anzahl von Alben veröffentlicht, ist sechsfacher Vater und lebt in Schweden. Im Herzen ist er ein Kosmopolit geblieben und deshalb entsprechend sozial und tolerant eingestellt.
Als Mittler zwischen Musik-Kulturen, reisender Klang-Botschafter und mitfühlender Mensch war es für Mr. Bibb zwangsläufig notwendig, das derzeitige Flüchtlingsdrama aufzugreifen. Er möchte mit „Migration Blues“ darauf aufmerksam machen, dass das Thema nicht neu ist. Quasi seit den Eiszeiten gab es immer wieder große Wanderbewegungen, entweder aus klimatischen Gründen oder wegen Hunger, Krieg und Elend. Bibb möchte, dass anerkannt wird, dass die Menschen, die sich auf der Flucht befinden, häufig nur aus Angst, Intoleranz oder Neid abgelehnt werden. Und dass der Tatbestand des Fliehens theoretisch jeden irgendwann treffen könnte. Selbst innerhalb der USA gab es in den 1920er Jahren eine große Migration vom ländlichen Süden in den industrialisierten Norden.
Eric nur als Blues-Musiker zu kategorisieren, wird ihm nicht gerecht, denn sein zuhause ist die Roots-Music in vielfachen Ausprägungen. So spielen auch folkloristische Klänge aus Afrika und der Karibik sowie Soul und Gospel eine wesentliche Rolle in seinen Kompositionen. „Migration Blues“ ist allerdings mehrfach vom Blues als Erzählform mit zumeist ernsten Themen wie sozialen Missständen geprägt.
Bibb würdigt die historische Bedeutung dieses Stils, indem er seine verbindenden Funktionen nutzt und den Klängen den nötigen Nachdruck verleiht, um die Wichtigkeit der Berichterstattung zu unterstreichen. Diese Vorgehensweise kann unter Umständen als akademisch angesehen werden, versucht aber eigentlich, Glaubwürdigkeit herzustellen: Die kargen Folk-Blues-Titel „Diego`s Blues“ und „We Had To Move“ reichen tief bis in die Anfänge der Roots-Music zurück und „Blacktop“ ist ein traditionsverbundener, trauriger Blues, der zur mürben Solo-Gitarre mit teilweise mehrstimmigen Gesang vorgetragen wird. „Four Years, No Rain“ berichtet mit weinender Mundharmonika über die Gründe der Landflucht der vorwiegend schwarzen Bevölkerung des Südens der USA in den Norden („Ich kann keine Arbeit finden, egal wie sehr ich mich bemühe“) und die dortige Isolation („In der Stadt kennt keiner meinen Namen“).
„Delta Getaway“ und „With A Dolla’ In My Pocket“ sind coole Boogie-Nummern, die von stoischen Gitarren leben, welche von atmosphärisch-schwirrenden Slide-Tönen begleitet werden. Die marschierenden Trommeln des Schlagzeugs werden dabei als Taktverstärker eingesetzt. „Refugee Moan“ spielt mit der erzählerisch-verbindenden Wirkungsweise des Blues, ohne dessen typisches Taktschema zu nutzen. Der Song wird transparent und introvertiert dargeboten. Eine geisterhafte Mundharmonika und schemenhafte Akustik-Gitarren transportieren die kummervolle Atmosphäre und Eric zitiert den heulend-klagenden Gesangsstil des Blues-Meisters Howlin`Wolf.
Eine desillusionierte Folk-Noir-Version des vielleicht bissigsten Bob Dylan-Protest-Songs „Masters Of War“ zeigt, dass das perverse Thema Waffenhandel leider immer noch so hochaktuell ist, wie bei der Entstehung des Songs im Jahr 1963. Mit „This Land Is Your Land“ wird ein Pete Seeger-Folk-Klassiker aufgewärmt, der zwar politisch bedeutend, aber musikalisch ziemlich ausgelutscht ist. Geheimnisvoll-psychedelisch schimmernd verweist „Prayin’ For Shore“ auf den Hippie-Folk der 1960er Jahre und „Brotherly Love“ verfügt über eine schmerzliche Soul-Pop- und eine tröstende Gospel-Seite.
Das schleifend-sirrende Instrumental-Stück „Migration Blues“ zeichnet Tonmuster, die von Aufbruch, Leid, Anstrengung, Entbehrung, aber auch von Hoffnung zeugen und „La Vie C’estcomme Un Oignon“ ist ein zunächst verhalten agierender, später schwungvollerer instrumentaler Cajun-Titel, der zum Tanz einlädt. Das kurze, rege Folk-Intermezzo „Postcard From Booker“ zeigt Erics Fingerfertigkeit auf der Gitarre und mit „Mornin’ Train“ gibt es zum Schluss ein versöhnliches, ländliches Volkslied, das mit Gitarre, Bass und einem klapprigen Banjo vertont wurde.
Eric Bibb sollte gehört werden. Sowohl wegen der humanistischen Inhalte seines sehr politischen neuen Werkes, wie auch wegen seiner intensiv-ausdrucksvollen Musik, die traditionelle Überlieferungen sachkundig bewahrt.
Hier schildert ERIC BIBB mit eigenen Worten die Bedeutung seines neuen Albums:

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