Julia Holter - In The Same Room (2017)

„In The Same Room“ zeigt Julia Holter als anspruchsvolle Musikerin live im Studio mit aufgeräumten, alternativen Band-Versionen ihrer ausdrucksstarken Lieder.

Bei der britischen BBC gibt es eine lange Tradition in der Bemühung, angesagte Musiker in spontanen Studio-Sessions zu präsentieren, die nie länger als zwei Tage dauern dürfen. Der legendäre Radio-DJ John Peel hatte eine eigene Reihe bei BBC Radio 1 aufgelegt, bei der von 1967 bis 2004 etwa 4.400 Aufnahmen zustande kamen. Das von Domino Records ins Leben gerufene Sublabel Documents lässt diese Tradition jetzt aufleben und präsentiert Julia Holter als erste Künstlerin in diesem Rahmen.
Julia Holter: In The Same Room (CD) – jpc
Holter trat als Sängerin und Pianistin in Begleitung von Corey Fogel (Schlagzeug, Gesang), Dina Maccabee (Viola, Gesang) und Devin Hoff (Bass) auf. Die Mitschnitte wurden nach einem Song von Julias 2012er Album „Ekstasis“ benannt und enthalten sieben alternative Interpretationen aus „Have You In My Wilderness“ (2015), drei von „Loud City Song“ (2013) und einen von „Tragedy“ (2011).
Julia ist bemüht, mit ihrer Band den Charakter der Studioaufnahmen zu erhalten. Dazu müssen die eingesetzten Instrumente bestimmte Rollen übernehmen, um die bei den ursprünglichen Einspielungen ausgeprägten Stimmungen zu ersetzen. Der Bass grummelt und schafft so eine belastbare Basis. Oder er wird gezupft und als intellektuelle Bereicherung eingesetzt. Die Viola verwaltet die würdevollen Momente oder schert störend aus. Das Schlagzeug ist nicht unbedingt für die Taktgebung verantwortlich. Durch den virtuosen Becken-Einsatz werden zum Beispiel schillernde, spritzige Untermalungen erzeugt. Aber letztlich hat die Sängerin und Tasten-Schamanin Julia Holter die Fäden der Aufführung fest in der Hand. Sie bestimmt durch die Modulation der Klangfarbe ihrer facettenreichen Stimme die Eigenart der Songs. Je nach Status der Komposition fügt sie entrückte oder harsche Tastenklänge ein und drückt den Liedern ihren individuellen Stempel auf.

Die kreative Musikerin nimmt eine künstlerisch-anspruchsvolle, leicht distanzierte Rolle ein. Der vorsichtig entwickelte, verbindende, auflockernde Pop-Aspekt ihres letzten Albums „Have You In My Wilderness“ bricht dabei nicht oft durch. Zwangsläufig kann die Live-Besetzung die vielen füllenden und schmückenden Elemente der Original-Fassungen nicht abbilden, die stattdessen abweichend ersetzt werden. Julia baut dabei auf adäquate, originelle, umsetzbare Einfälle. Es ist erstaunlich, dass die Künstlerin einen Weg gefunden hat, ihre komplexen Lieder für die Bühne so aufzubereiten, dass der unvergleichbare, geistreiche Reiz erhalten bleibt. Allerdings erreichen die Alternativ-Versionen nicht ganz die Brillanz und Räumlichkeit, die den Vorlagen so gut getan haben.
Die neuen Aufzeichnungen zeigen eine kompetente, hoch talentierte Musikerin mit einer Wandlungsfähigkeit, die die Grundgedanken der einzelnen Kompositionen nicht in Frage stellt, sondern lediglich eine abgewandelte Untermalung anbietet, die die Tracks in einem veränderten Licht zeigen.

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