Niels Frevert - Putzlicht (2019)

Kann Niels Frevert nach fünf Jahren Veröffentlichungspause mit "Putzlicht" an sein Meisterwerk „Paradies der gefälschten Dinge“ anknüpfen?
Paradies der gefälschten Dinge“ von 2014 hat nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Vielleicht, weil dieser von Niels Frevert verfasste, tendenziell Folk-Jazz-beeinflusste Sound nahezu konkurrenzlos unter deutschsprachigen Troubadouren ist. Vielleicht, weil Frevert eine poetische Sprache gefunden hat, die keine leeren Worthülsen transportiert. Vielleicht aber auch einfach deshalb, weil das Werk starke Songs mit elastischen Widerhaken enthält, die federnd, dezent und gleichzeitig anspruchsvoll vertont wurden. Das Album hat sich jedenfalls zum Dauerbrenner entwickelt, so dass die letzten fünf Jahre mit einem anhaltenden Unterhaltungswert gefüllt werden konnten. Nun erscheint der Nachfolger „Putzlicht“ als sechster Solo-Ausflug seit der Auflösung der Band Nationalgalerie im Jahr 1997 und die Erwartungen sind entsprechend hoch. Der Titel steht für die grelle Neon-Beleuchtung, die nach Veranstaltungen eingeschaltet wird, um Auf-, Umbau- oder Reinigungsarbeiten durchzuführen. Ein Licht also, dem nichts verborgen bleiben soll, in dessen Schein es keine Geheimnisse und Privatsphäre gibt und das für den Beginn von etwas Neuem steht.
Nach der anstrengenden Promotion-Phase für „Paradies der gefälschten Dinge“ war die Luft erst mal raus. Neue Schreibversuche gerieten zunächst zu wehleidig. Und so musste die Leidenschaft für die Musik erst neu entfacht werden, bevor „Putzlicht“ mit einer sechsköpfigen Begleitung entstehen konnte. Dazu zählt auch der betreuende Produzent, Komponist, Gitarrist und Keyboarder Philipp Steinke, der vorher schon mit Boy, Revolverheld und Kettcar arbeitete.
Der Hörer wird mit einer instrumentalen Einleitung empfangen, die von feierlichen Streicher-Klängen zelebriert wird, was für würdige Ernsthaftigkeit sorgt. Aber nach der Ouvertüre „Bei laufendem Motor (Prelude)“ folgt mit dem Song „Immer noch die Musik“ ein Kontrast. Er zeigt einen erheblichen Unterschied zum Vorgänger-Werk auf und zieht sich beinahe durch den gesamten aktuellen Liederzyklus: Ein wacher Rhythmus beeinflusst die Stücke, der wie ein kämpferischer Puls gegen einen zu befürchteten Herz-Stillstand anzugehen scheint. „Immer noch die Musik“ spricht dem wahren Musikliebhaber aus dem Herzen, wirkt aufbauend sowie Kraft und Hoffnung spendend: „Wenn die Sache dir zu nahe geht, wenn dein Herz in Schutt und Asche liegt, ist da immer noch, immer noch die Musik“, singt Niels und trifft damit hinsichtlich der möglichen Wirkung von Tönen den Nagel auf den Kopf. Der saftige Power-Pop baut Druck auf, ohne plump zu sein. Eleganz steht im Vordergrund und bereitet den Boden für einen dynamisch variablen, mitreißenden Song.
„Ich suchte nach Worten für etwas das nicht an der Straße der Worte lag“ macht hinsichtlich der Leidenschaft des Vortrags auch keine Kompromisse. Vom Aufbau her ist dies der konventionellste Song der Platte, weil unverstellt radiofreundlicher, recht heller, beatlesker Pop-Rock verabreicht wird. „Als könnte man die Sterne berühren“ schaltet einen Gang zurück, lässt den Takt aber weiterhin kräftig klopfen. Frevert baut den Song behutsam auf, um ihn dann durch liebliche Gefühlsregungen vor Hingabe überlaufen zu lassen. Wie selbstverständlich sondert er hierzu schöngeistige Lyrik ab: „Dieses tiefe Gefühl, kennst du das auch, wenn man in die Dunkelheit eintaucht, als gäbe es nichts zu verlieren. Wenn das, was man spürt unter der Haut, alle Ängste überdauert. Als könnte man die Sterne berühren“. Schwere Gitarren statten im Anschluss das stoisch davon schreitende „Leguane“ mit einer extra Portion roher Wucht aus 
und für die Ballade „Putzlicht“ werden alle Register gezogen, um Ergriffenheit zu erzeugen. So wird der Titel von einem cool-romantischen Piano sowie aufbauenden Bläser-Sätzen flankiert. Niels präsentiert sich dabei als abgeklärter Dramatiker.


Aufgrund seiner zurückhaltenden Art vermittelt „Wind in Deinem Haar“ den Eindruck, das schwärmerische Chanson sei ein Überbleibsel aus dem Pool der Kompositionen für „Paradies der gefälschten Dinge“ gewesen, das jetzt griffiger arrangiert wurde. „Brückengeländer“ ist ein offensiver Pop-Song, der seine Attraktivität aus dem Wechselspiel von herausfordernder Melancholie und straffem Aufbegehren zieht. So wie bei „Human Touch“ von Bruce Springsteen oder „The Boys Of Summer“ von Don Henley. Zu letztgenanntem Lied gibt es auch eine textliche Verknüpfung: Henley singt vom widersprüchlichen Deadhead-Sticker auf einem Cadillac. Frevert erblickt in Anlehnung daran einen Ton Steine Scherben-Aufkleber auf einem SUV.
Lässig und kernig groovender Folk-Rock bildet die Basis von „Nie mehr wie vorher“. Dieser Eindruck verwischt allerdings im Verlauf und macht Platz für einen konzertant gestalteten, breitwandigen Song. Der leichte Indie-Rock-Swing erinnert bei „Dieser Moment“ an The Cure und aus dem besinnlichen Eröffnungsstück ist noch ein fertiger Song geworden: „Bei laufendem Motor“ startet wieder sensibel-zaghaft – dieses Mal mit leisen Akkorden auf der akustischen Gitarre – schaltet dann aber zu einem barock untermalten Track mit getragenen und hastigen Momenten um.
Der Hamburger Musiker geht souverän und konsequent seinen Weg. Das ist problemlos möglich, denn es gibt noch viel Platz zwischen BlumfeldKante und Gisbert zu Knyphausen, der kreativ gefüllt werden will. Auch wenn „Putzlicht“ rhythmisch extrovertiert erscheint, so ändert das nichts an der Qualität der Songs. Die Intensität wurde nämlich nicht der Eingängigkeit geopfert, sondern beide Elemente werden songdienlich austariert. Ob der auffällige Drum-Beat jetzt jeden Track wirklich weiterbringt, darüber lässt sich trefflich streiten. Aber die Vorgehensweise funktioniert und schädigt nicht, weil dieser aufhellende Aspekt mit Bedacht eingesetzt wird. Im Gegenteil: Die Kompositionen profitieren häufig von dem Yin & Yang aus positivem Elan und innerer Einkehr. Auch wegen den einzigartigen, die Fantasie öffnenden Situationsbeschreibungen darf „Putzlicht“ wieder als herausragende Platte gefeiert werden, die dem inländischen Liedgut über 2019 hinaus als Referenzwerk dienen kann.
Erstveröffentlichung dieser: Rezension: Niels Frevert - Putzlicht

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