Lost & Found-Portrait: The Byrds – Höhenflüge in stürmischen Zeiten.

Es gibt kaum eine einflussreichere Band als THE BYRDS aus Los Angeles. Sie prägten die Stile Folk-Rock, Psychedelic-Rock, Country-Rock und Americana entscheidend mit und hatten immer außergewöhnlich talentierte Sänger, Komponisten und Musiker in ihren Reihen. Die Anfangsformation bildeten der unangepasste Folksänger DAVID CROSBY, der Dylan verehrende Song-Schreiber GENE CLARK und der im Vorleben BEATLES-Songs vortragende Gründer JIM „ROGER“ McGUINN. Vervollständigt wurde die Combo durch den auf Bass umgestiegenen Mandolinenspieler CHRIS HILLMAN und Drummer-Neuling MICHAEL CLARKE. Wahrscheinlich wurde schon alles Erwähnenswerte über die Bedeutung  dieser Formation geschrieben. Deshalb wird sich LOST AND FOUND auch darauf konzentrieren, an die subjektiv auffälligsten Songs ihrer Karriere zu erinnern und das sind nicht immer die offensichtlichen Hits.

Turn! Turn! Turn! — The Byrds' 1965 hit used lyrics that dated ...

In den USA tüftelten gegen Mitte der 60er Jahre viele junge Leute an der Umsetzung einer Gegenkultur mit einem neuen Lebens- und Freiheitsgefühl. Die BEATLES hatten 1964 orkanartig als Speerspitze der sogenannten British Invasion die US-Charts erobert. Als Gegenentwurf dazu fanden sich im selben Jahr die oben genannten Musiker zusammen. Keiner von ihnen hatte vorher in einer Rock`n`Roll-Band gespielt, aber sie konnten ihre Erfahrungen mit Folk- und Country-Music einbringen. Ihre persönliche Linie mussten sie allerdings noch finden. Als THE JET SET und THE BEEFEATERS unternahmen sie erste Gehversuche, bei denen der Geist aus Liverpool noch deutlich mitschwang. Mit der Umfirmierung in THE BYRDS bündelten die Musiker unter der strengen Führung von ROGER McGUINN ihre persönlichen Stärken im Dienste des Teams und fanden dadurch zu einem unverwechselbaren, eigenständigen Sound. Dieser klang erhaben, abgeklärt und durch die charakteristische 12-saitige elektrische Rickenbacker-Gitarre von McGUINN gar teilweise metallisch. Er sah darin die Spiegelung des Jet-Zeitalters in der Musik. Das entsprach seiner Vorstellung eines Weltraum-Cowboys. Für Erdung im Klangbild sorgten ein schepperndes Schlagzeug und brummende, dröhnende Bassläufe. Die Gegengewichte dazu bildeten der harmonische Gesang von CROSBY und einige gefühlvolle Kompositionen von GENE CLARK.

1965 erschienen gleich zwei LP`s, auf denen die BYRDS ihre Qualitäten schon sehr gut entwickelt unter Beweis stellen konnten: Am 21. Juni  MR. TAMBOURINE MAN

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und am 12. Dezember TURN! TURN! TURN!.

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Ein Trumpf der Band, den sie noch häufig ausspielen werden, kommt auf beiden Platten schon in Vollendung zu Tage. Sie konnten die teilweise sperrigen Rohdiamanten von BOB DYLAN zu geschliffenen Edelsteinen veredeln. Die Besonderheit des Songs MR. TAMBOURINE MAN wird deutlich, wenn man ihn mit der Originalvorlage vergleicht. DYLAN interpretiert ihn gesanglich eher schlampig, er wirkt spröde, weniger eingängig als die BYRDS-Fassung und ohne offensichtliches Chart-Potential.

Das Lied wurde im Sommer 1965 zum Hit, zeitgleich mit TICKET TO RIDE der BEATLES, SATISFACTION der STONES und LIKE A ROLLING STONE von DYLAN. Auch wenn sie nicht als Single ausgekoppelt wurde: Die GENE CLARK Nummer HERE WITHOUT YOU hat Evergreen-Potential. Der mehrstimmige Gesang hält den Hörer vom ersten Moment an gefangen. GENE CLARK versteht es, eine melancholische Stimmung zu erzeugen, die aber nicht in Selbstmitleid versinkt, sondern Zuversicht vermittelt. Und seine Melodien sind für die Ewigkeit. 1991 gab es eine ehrfürchtige, würdige Cover-Version von den ex-DB`s PETER HOLSAPPLE und CHRIS STAMEY, die die Einzigartigkeit dieses Songs nochmal unterstreicht.  

Für die LP TURN! TURN! TURN! steuerte ROGER McGUINN das ausdrucksstarke IT WON`T BE WRONG bei. Der Song quillt förmlich vor Optimismus über. Er transportiert die Energie eines abenteuerlustigen Teenagers in vortrefflicher Weise. Ein unerwarteter Tempowechsel kurz vor Ende sorgt zusätzlich für Erstaunen. GENE CLARK erweist sich wieder mit der exzellenten, vielschichtigen Trennungs-Ballade IF YOU`re GONE als Meister seines Fachs. Eine von seinen genialen Qualitäten war die Fähigkeit, Schmerz in Musik auszudrücken. Die Musikszene der US-Westküste befand sich in dieser Zeit förmlich in einem kreativen Rausch. Es wurde mit Stilen und Zitaten experimentiert und sogenannte bewusstseinserweiternde Drogen wie LSD spielten eine immer größer werdende Rolle bei diesem Entwicklungsprozess.

Die BYRDS brachten in ihrem elektrifizierten Folk deshalb auch zunehmend psychedelische Elemente unter und dokumentieren diese Entwicklung 1966 mit FIFTH DIMENSION.

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EIGHT MILES HIGH suggeriert einen Drogen-Trip, soll aber offiziell von einer Flugreise nach Großbritannien inspiriert sein. Aber wie soll man die Zeilen: „Acht Meilen hoch und wenn man runterkommt, sieht die Welt noch seltsamer aus als zuvor“ deuten?  Musikalisch wurde diese CROSBY/CLARK/McGUINN-Co-Produktion vom Jazz eines JOHN COLTRANE und den Sitar-Improvisationen von RAVI SHANKAR beeinflusst. Diese Sachen spielte CROSBY seinen Kollegen immer auf Tour als Dauerbeschallung vor. EIGHT MILES HIGH mit seinem donnernden, psychedelischen Folk-Rock mit mehrstimmigem Lead-Gesang , Space-Gitarren-Solo und Schlagzeug-Salven wie Maschinengewehr-Feuer ist vielleicht der intensivste Song der Band. Wahrscheinlich sogar der erste auf Platte veröffentlichte Psychedelic- Rock-Track. 

Ein weiterer Höhepunkt auf FIFTH DIMENSION ist WHAT`s HAPPENING?!?!. Der Track spiegelt den Freigeist und die ungebremste Kreativität von DAVID CROSBY wider. Die Bearbeitung des irischen Folk-Songs WILD MOUNTAIN TYME ist ebenfalls hörenswert. Durch ein mit Streichern angereichertes Arrangement erhält das Lied cineastische Qualitäten. Auch wenn FIFTH DIMENSION keine LP mit durchgängig überragendem Niveau war, begann die Band ab hier das Album-Format als Ausdruck ihrer Kunst zu verstehen, quasi als Möglichkeit der Realisierung eines Gesamtkunstwerks im Gegensatz zur Single.

GENE CLARK, der unter Stress und Flugangst litt, verließ im März 1966 die Band. Er wurde ständig von CROSBY gemobbt und konnte den psychischen Druck nicht mehr ertragen. Ende 1966 wurde trotzdem YOUNGER THAN YESTERDAY fertiggestellt.

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Entsprechend dem Konzept, qualitativ hochwertige LP`s zu produzieren, haben wir es hier mit einem abwechslungsreichen und trotzdem gut durchhörbaren Werk zu tun. HILLMAN und CROSBY sind enorm als Songwriter gewachsen und tragen auch quantitativ zu einem hohen Anteil zum Gelingen des Albums bei. Die Aufnahme TIME BETWEEN von CHRIS HILLMAN beherbergt den Geist des Country-Rock und dürfte somit eine Pioniertat dieser Musikgattung sein. Die dunkle Moritat EVERYBODY`s BEEN BURNED lässt in etwa die Großtaten erahnen, die DAVID CROSBY noch auf seinem Klassiker IF I COULD ONLY REMEMBER MY NAME in 1971 umsetzen wird. Eine verwinkelte Melodie wird mit filigranen, je Kanal unterschiedlichen Gitarrenparts gespeist, worüber CROSBY halb versunken seine Verse rezitiert. Der Bass brummelt Jazz-verwandt vor sich hin. Percussion im linken Kanal und Bossa-Nova assoziierende Drums im rechten Kanal vervollständigen dieses eindringliche, versponnene, suggestive Hörerlebnis. WHY ist ein früher Song, der hier in einer auskomponierten Fassung enthalten ist. Eine Power-Pop-Melodie wird von hellen Gitarrenläufen flankiert. Sehr verführerisch.

Nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch im Bandgefüge kam es im Jahr des Summer Of Love 1967 zum drastischen Umbruch. CROSBY wurde wegen andauernden Streitigkeiten und MICHAEL CLARKE wegen musikalischer Differenzen gefeuert. Auf dem Cover von THE NOTORIOUS BYRD BROTHERS, bei dem die entlassenen ex-Mitglieder noch teilweise beteiligt waren, sind nur MCGUINN, CLARKE und HILLMAN sowie ein Pferd zu sehen. Auf die Frage, ob das Tier CROSBY symbolisieren sollte, antwortete McGUINN: Nein, dann hätten wir das Pferd umgedreht.

allmyrecords: The Byrds - The Notorious Byrd Brothers 1968

CROSBY war schon länger als sozial unverträglich bekannt. Der BYRDS-Produzent TERRY MELCHER wurde in einem Interview gefragt, wer die übelste Person sei, die ihm jemals begegnet ist. Ohne zu zögern erwähnte er CROSBY und der wäre noch viel schlimmer als der diabolische CHARLES MANSON. Das sagt wohl alles über seinen damaligen Ruf aus. Aber als Songwriter ist er außergewöhnlich. Er traute sich, über Themen zu schreiben, die sonst niemand anpacken mochte. Im Song TRIAD, einer herrlich verwinkelten Ballade, preist er die Vorteile von Sex zu Dritt. Die Zeit war aber noch nicht reif für eine solch provokante Thematik, so dass die Komposition zunächst nicht veröffentlicht wurde. JEFFERSON AIRPLANE haben dann ein Jahr später ihre Version aufgenommen. Man findet den Song auch auf CROSBY, STILLS, NASH & YOUNG`s 4 WAY STREET von 1971. Das Original wurde auf der remasterten Version der CD als Bonus Track angefügt. Bei THE NOTORIOUS BYRD BROTHERS werden die Lieder ohne Pause miteinander verbunden, was die Musik als Einheit erscheinen lässt. Immer wieder schwellen Töne auf und ab und transportieren damit den psychedelischen Zeitgeist. Elemente von Jazz und elektronischer Musik werden organisch integriert. Die LP beherbergt den Track WASN`T BORN TO FOLLOW, der im Road-Movie EASY RIDER verwendet wurde. In 2 Minuten fliegt im Film eine malerische Landschaft vorbei. Hat man diese Szene einmal gesehen, verbindet man sie automatisch mit dem Song. Eine schmachtende Steel-Gitarre wird in eine elektronisch verzerrte Gitarrenspur überführt. Hall und Echo verstärken den fremdartigen Sound. Die BYRDS bringen hier ihre Vision von Space-Country auf den Punkt.

TRIBAL GATHERING sucht die Konfrontation zwischen Romantik und aggressiven, flippigen Gitarren-Explosionen. Ist verrückt, aber kitzelt das Hirn. Eine sanfte, auf Wolken getragene Melodie wird bei DRAFT MORNING von Trompetenfanfaren und Schussgeräuschen, die als Field-Recordings eingebaut werden, unterbrochen. Die Soft-Psychedelia solcher Bands wie HARPERS BIZARRE trifft auf SGT. PEPPER. Der Song reflektiert den Horror des Vietnam-Krieges. Am Ende des Jahres 1967 waren 485.000 US-Soldaten in Südvietnam stationiert und etwa 16.000 Amerikaner verloren ihr Leben. Das Für und Wider dieses grausamen Irrsinns spaltete zunehmend die Öffentlichkeit. Auch die Rassenunruhen fanden 1967 einen traurigen Höhepunkt. Zwar war die Rassentrennung 1964 offiziell aufgehoben worden, von einer Gleichstellung zwischen schwarz und weiß konnte aber keine Rede sein. So kam es am 23. Juli 1967 in Detroit zu den bislang blutigsten Zusammenstößen. Sie dauerten 5 Tage, forderten 43 Todesopfer und 1.189 Verletzte. Dieses Ereignis inspirierte übrigens STEPHEN STILLS zum Song FOR WHAT IT`s WORTH, den er mit seiner damaligen Band BUFFALO SPRINGFIELD aufnahm und der bis auf Platz 7 der Billboard-Single-Charts kam.

Ein Jahr später erfolgte eine Kurskorrektur: Auf SWEETHEART OF THE RODEO bündelten die BYRDS Tendenzen, die sich schon auf anderen Alben andeuteten. Wenn hier auch nicht die eigentliche Erfindung des Country-Rock zu hören ist, so sind die Einspielungen aber ein Meilenstein dieser 1968 noch jungen Musikgattung.

Sweetheart Of The Rodeo - Rolling Stone

Hauptverantwortlich für dieses konsequente Album ist das neue Bandmitglied GRAM PARSONS, ein charismatischer Musiker, der die Vision hatte, Hippies und Country-Fans musikalisch zu vereinen. Er prägte dafür den Begriff Cosmic American Music. Die LP wurde in der Country-Hochburg Nashville mit hiesigen, versierten Sessionmusikern eingespielt. Das war eine Provokation für die eingefahrenen Strukturen der dortigen Musikindustrie. Die gesamte Platte bietet durchgängig auf höchstem Niveau seelenvolle Country Music mit BYRDS-Feeling, sie ist homogen und glaubwürdig. Sie war zwar kein kommerzieller Erfolg, aber so einflussreich, dass sie zusammen mit THE GILDED PALACE OF SINS der FLYING BURRITO BROTHERS in den folgenden Jahrzehnten vielen Hörern als Einstiegsdroge für die nähere Beschäftigung mit Country diente. Ein verschleppter Walzertakt, eine wimmernde Steel-Gitarre und tränentreibende Stimmen bilden die Basis von HICKORY WIND, diesem von GRAM PARSONS herzerweichend gesungenen Track. YOU DON`t MISS YOUR WATER, im Original von WILLIAM BELL aus dem STAX-Records-Stall, erfährt die gleiche Behandlung und ist nicht mehr als Soul-Vorlage wiederzuerkennen.

Der merkwürdig leiernde Gesang wirkt beim ersten Hören leicht verstörend, ist aber im Nachhinein eine ungewöhnliche Bereicherung. Viele Songs wurden zunächst von GRAM PARSONS eingesungen, CBS befürchtete jedoch rechtliche Probleme mit seiner alten Plattenfirma und ließ etliche Gesangsspuren durch ROGER McGUINN ersetzen. Auch 1968 gab es unruhige Zeiten in den USA, denn zwei Hoffnungsträger wurden ermordet: Präsident ROBERT KENNEDY und MARTIN LUTHER KING, der Sprecher der Bürgerrechtsbewegung.

GRAM PARSONS freundete sich während einer England Tournee der BYRDS mit KEITH RICHARDS von den ROLLING STONES an. Dieser setzte ihm den Floh ins Ohr, aufgrund der Apartheid nicht mit der Band in Südafrika aufzutreten und so verließ er die Gruppe nur Stunden vor dem Abflug. HILLMAN mochte sich nicht mehr mit McGUINN auseinandersetzen und kündigte. KEVIN KELLEY, der die Nachfolge von Drummer MICHAEL CLARKE angetreten hatte, wurde gefeuert. McGUINN musste sich jetzt komplett neue Mitstreiter suchen. Er fand sie in Ausnahmegitarrist CLARENCE WHITE und der Rhythm-Section JOHN YORK (Bass) und Drummer GENE PARSONS, der übrigens nicht mit GRAM verwandt ist. Dieser Mann ist nicht nur Musiker, sondern auch Instrumentenkonstrukteur. In dieser Funktion hat er im Auftrag von CLARENCE WHITE die StringBender Gitarre entwickelt. Bei diesem Modell wird mit Hilfe des Schultergurts eine Vorrichtung betätigt, die den Tönen eine zusätzliche Klangfarbe verleiht. Die Noten werden dabei gestreckt und gedehnt und kommen damit dem Klang einer Pedal-Steel-Guitar nahe. 

Mit der runderneuerten Besetzung wurde DR. BYRDS & MR. HYDE Anfang 1969 relativ hastig herausgebracht.

The Byrds - Dr. Byrds & Mr. Hyde

Es ist ein typisches Übergangsalbum mit Höhen und Tiefen. Der ausgeglichene Hillbilly-Folk von YOUR GENTLE WAY OF LOVING ME  lässt in zweieinhalb Minuten nur wenig Raum zur instrumentellen Entfaltung. Dieser wird aber konsequent genutzt und so geben sich Harmonika, Gitarre und Schlagzeug für Mini-Jam-Sessions die Klinke in die Hand. Würde heute eine Alternative-Country-Band einen Song wie KING APATHY III aufnehmen, wäre sicher, dass sie als innovativ, mutig und hochbegabt abgefeiert würde. Der Ablauf der Komposition ist in der Tat sehr gewagt: Der Bass eröffnet mit einem mutierten Blues-Riff und McGUINN gebärdet sich, als singe er nahezu unbeteiligt eine Einkaufsliste ab. Im Hintergrund improvisiert eine E-Gitarre und es werden Breakbeats gesetzt. Plötzlich ändert sich der Song in einen Marching-Waltz und das Eröffnungs-Riff setzt wieder ein. Zwischendurch quirlt die E-Gitarre alles tüchtig durcheinander. Ganz schön verrückt für einen Country-Rock-Song. CANDY zeigt Cosmic  American Music in Reinkultur. Das Lied steht mit beiden Beinen auf der heimatlichen Scholle, aber der Geist schwebt in höheren Sphären, denn der ländliche Grundton wird von halluzinogenen Einwürfen durchwoben.


Der nächste Streich BALLAD OF EASY RIDER wurde schon im Oktober 1969 nachgeschoben und ist trotzdem insgesamt runder und ausgefeilter als sein Vorgänger.

Ballad of Easy Rider - Byrds, the: Amazon.de: Musik

Bei GUNGA DIN von GENE PARSONS fällt zunächst die perlende Gitarre – erst akustisch, dann elektrisch – auf, die schnell wie ein Banjo gespielt wird. Der Gesang ist zunächst im Tempo zurückgenommen, nimmt im Verlauf etwas Fahrt auf, bleibt aber während des gesamten Tracks gegenüber den Instrumenten zurückhaltend. Diese Verschiebung macht den besonderen Reiz dieses Songs aus. Wie bei einem Mantra wird der Titel JESUS IS JUST ALRIGHT über einen gleichbleibenden Beat monoton wiederholt, was dem Song beinahe eine Rare-Groove-Note verpasst. Der Track findet hier deshalb Erwähnung, weil er selbst für BYRDS-Verhältnisse ungewöhnlich ist. Aus heutiger Sicht bietet er eine Steilvorlage für DJ`s, um einen Dance-Remix daraus zu basteln. TULSA COUNTY BLUE ist der Prototyp eines zunächst unscheinbar erscheinenden Liedes, das aber konzentriert wahrgenommen eine enorme Anziehungskraft und Wärme besitzt. Geschrieben wurde es von PAMELA POLLAND, einer Interpretin, die zumindest älteren Hörern von Radio Bremen bekannt sein könnte. Sie lieferte nämlich die Titelmusik zur Sendung PLEASE MR. DJ von CHRISTIAN GÜNTHER. Dieser Moderator hatte übrigens auch eine Sendung mit dem schönen Namen LOST & FOUND, aber das nur nebenbei bemerkt. Die BYRDS schmücken das Country-Folk-Juwel TULSA COUNTY BLUE mit allerlei Saitenklängen. Dazu gehören Gitarren, die mitunter wie Mandolinen klingen und eine liebliche Country-Fiddle. Als Sahnehäubchen flankieren sie ihn noch mit betörendem Begleit-Gesang. Ansonsten überlassen sie ihn seiner natürlichen Schönheit.

Die BYRDS hatten sich zu einer exzellenten Live-Band gemausert. Das wurde auf der Doppel-LP UNTITLED von 1970 auf der ersten LP deutlich. Lange Jams, wie bei EIGHT MILES HIGH zeigten, dass sie auch auf diesem Gebiet überzeugen konnten. Sie bildeten damit die Vorlage für Formationen wie PHISH, WIDESPREAD PANIC oder THE DAVE MATTHEWS BAND. Die 2. LP von UNTITLED enthält neue Studio- Aufnahmen. Ein Highlight davon ist das sehr ambitionierte Stück CHESTNUT MARE von ROGER McGUINN. Es ist ein Teil eines geplanten Country & Western Musicals, das sich an die klassische Komposition PEER GYNT anlehnte.

The 'Untitled' Byrds Album

Aus demselben Song-Zyklus stammt auch das betörende, ausgeglichene, beschwichtigende Lied JUST A SEASON. Es wirkt wie ein Gegenentwurf zum Zustand der Republik, denn der Vietnam-Krieg wütete immer noch und es fanden ständig Demonstrationen dagegen statt. Bei  solch einer Veranstaltung an der Kent State University wurden von der Nationalgarde 4 Studenten erschossen und 9 teilweise schwer verletzt. NEIL YOUNG schrieb als Reaktion auf dieses Ereignis innerhalb von wenigen Minuten den Protest-Song OHIO.

Da die Band ständig auf Tour war, überließen sie die fertigen Aufnahmen von BYRDMANIAX ihren Produzenten TERRY MELCHER und CHRIS HINSHAW, um den finalen Mix vorzunehmen. Als das Ergebnis 1971 herauskam, trauten die Bandmitglieder ihren Ohren nicht. Es wurden reichlich Keyboards, Streicher und ganz massiv Background-Sänger hinzugefügt, so dass sich das Ergebnis oft überproduziert anhört.

The Byrds: Byrdmaniax (CD) – jpc

CLARENCE WHITE`s Gitarre verschwand sogar oft im Sound. Es gibt leider auch deshalb nur wenige herausragende Momente auf der LP. So legt Mr. McGUINN die maximal mögliche Inbrunst in die Ballade MY DESTINY. Eine Sternstunde auf dem Album.

Wenn JACKSON BROWNE seine Lieder zelebriert, hat man immer das Gefühl, dass er die definitive Version geschaffen hat. Die BYRDS-Interpretation von JAMAICA SAY YOU WILL fügt dem Original jedoch noch markante Ansätze hinzu. Die melancholische Strenge der Vorlage wird zu Gunsten von delikaten Gitarrenpassagen aufgelöst und so wird der Komposition eine lockerere Ausrichtung verpasst.

FARTHER ALONG war dann Ende 1971 der Schwanengesang dieser BYRDS-Formation. Sie hinterlassen hier häufig eine kraftlose und desillusionierte Vorstellung. Nichtsdestotrotz gibt es auch ein paar richtig starke Songs.

The Byrds: Farther Along (Expanded Edition) (CD) – jpc

Muskulös, druckvoll und fordernd legt TIFFANY QUEEN los. McGUINN scheint noch mal allen zeigen zu wollen, dass die BYRDS immer noch für eine Überraschung gut sind. Die CLARENCE WHITE Nummer FARTHER ALONG klingt wie ein Traditional und hinterlässt eine feierliche Stimmung. Sanfte Banjoklänge und eine verwehte Steel-Gitarre leiten das Highlight des Albums, BUGLER, ein. Wir hören einen Mid-Tempo-Song mit einer traumhaft schönen Melodie, gesungen von CLARENCE WHITE. Das ausgelassene, hüpfende Schlagzeug sorgt für eine vitale Beigabe.

Auf der Remaster-Version der CD gibt es noch einen ähnlich starken Track: LOST MY DRIVIN` WHEEL, geschrieben vom unterbewerteten kanadischen Songwriter DAVID WHIFFEN. Der Song wurde von den BYRDS 1972 für eine geplante neue LP aufgenommen. Diese stramme Version demonstriert auf höchstem Niveau die instrumentellen Fähigkeit und die Geschlossenheit des Quartetts. Die politischen Verhältnisse kamen in den USA immer noch nicht zur Ruhe: 1972 erfuhr das Vertrauen in die US-Regierung einen weiteren schweren Schlag. In das Hauptquartier der Demokratischen Partei in Washington sollten auf Weisung von Präsident Nixon Wanzen eingebaut und Dokumente fotografiert werden. Die Einbrecher in den Watergate-Gebäudekomplex wurden jedoch bei dem Versuch verhaftet und die Kampagne flog auf. Dieser Vorfall führte dazu, dass der Präsident 1974 zurücktrat.

Die Originalbesetzung der Band wurde dann noch mal 1973 auf Initiative von DAVID GEFFEN reaktiviert und brachte ein letztes Album unter dem Namen THE BYRDS heraus.

The Byrds Byrds UK CD album (CDLP) (441968)

Die Platte wurde oft von der Kritik als unausgegoren gescholten. Man beklagte, dass es sich eher um Solo-Aufnahmen als um eine Band-Leistung handle. Ich finde das Ergebnis allerdings ganz großartig. Für meinen Geschmack gibt es keinen Ausfall sondern im Gegenteil eine hohe Hit-Dichte. FULL CIRCLE steht stellvertretend für das Auf und Ab im Leben und in der BYRDS-Historie. Das ist ein blendender, geschmeidiger Country-Folk-Titel, bei dem GENE CLARK wieder mal zu Höchstform aufläuft.

DAVID CROSBY hält FOR FREE für eine der besten Kompositionen seiner ehemaligen Muse JONI MITCHELL. Er interpretiert den Song in seiner bedächtigen Art mit verschlepptem Tempo und ruhig fließendem Gesang. Die Platte enthält auch zwei Cover-Versionen von NEIL YOUNG: COWGIRL IN THE SAND und (SEE THE SKY) ABOUT TO RAIN. Letztere wird von GENE CLARK gesungen und er legt hier fast noch mehr Tristesse hinein als schon im depressiven Original vorhanden ist. Aber da er ein ganz großer Interpret ist, übertreibt er die Emotionen nicht, sondern erschafft eine formidable, dunkle Huldigung.

Die BYRDS gelten als die Ursuppe des Americana Sounds. Ich habe sie als im Grunde intellektuell getriebene Band mit eigenständigen musikalischen Visionen und außergewöhnlichen kompositorischen und handwerklichen Qualitäten wahrgenommen. Trotz etlicher Rangeleien und damit verbundenen ständigen Umbesetzungen hat es ROGER McGUINN verstanden, immer wieder sensationelle Ergebnisse herauszukitzeln, neue Impulse zu setzen und überdurchschnittlich begabte Musiker zu rekrutieren. Die Zahl der Songs mit Weltklasse-Niveau ist enorm. Bis heute werden immer noch junge Musiker durch die Leistung der Gruppe inspiriert und es gibt etliche Bands wie R.E.M. oder TOM PETTY, die in ihrem Geiste musizieren. Es ist auch schwierig, einzelne Platten zu empfehlen. Ist man einmal infiziert, möchte man sowieso alle kennen. Deshalb sollte man sich bei Interesse gleich nach der The Complete Columbia Albums Collection-Box umsehen, dann ist man bis auf die 1973er-Reunion CD komplett und hat sämtliche Werke remastered mit Bonus-Tracks zur Verfügung. Außerdem erhält man auch detaillierte Informationen zu Besetzungen und Hintergründe zu den Songs und der Band-Geschichte.


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