The Late Call - Your Best Friend Is The Night (VÖ: 02.10.2020)

 

"Your Best Friend Is The Night" ist bereits das fünfte Werk von The Late Call. Das ist ein Projekt, hinter dem der in Schweden lebende deutsche Musiker Johannes Mayer steckt. Die Anfänge der Entstehung der neuen Songs gehen bis zum Spätsommer 2016 zurück. Johannes verbrachte damals drei Monate in Berlin. Der Routinier, der sein erstes Album "Leaving Notes" bereits 2009 einspielte, wollte sich ausprobieren und scheute nicht davor zurück, das Piano - das für ihn in der Handhabung gleichzeitig Faszination und Ehrfurcht hervorruft - als zentrales Instrument einzusetzen. Dadurch löst er die bei ihm sonst übliche Gitarre als Begleitinstrument ab. Ein Jahr lang hatte er neues Material gesammelt, das nun ausprobiert werden sollte, um es danach im Studio Nord in Bremen aufnehmen zu können. Johannes wollte dort die alleinige Verantwortung für die Songs und deren Arrangements übernehmen, nur unterstützt vom Tontechniker Gregor Hennig. Deshalb wurden die Lieder als Solo-Interpretationen konzipiert, aber später noch durch Beiträge von Patric Thorman (Bass), Lars Plogschties (Schlagzeug), Julia Strzalek (Alt-Saxophon, Klarinette) und Emil Strandberg (Trompete) verfeinert.

Herausgekommen ist dabei ein Pop-Album mit Qualitäten, die zeitlos attraktiv sind: Die Melodien schaffen Nähe und umschmeicheln das Ohr, um sich sich dort mit zarten Widerhaken festzusetzen. Die Stimme verwöhnt den Hörer dabei sympathisch. Sie besitzt andererseits genügend Autorität, um sich ungeteilte Aufmerksamkeit zu verschaffen.

Neil Young hatte für seine Arbeiten am 1970er-Album "After The Goldrush" den versierten Gitarristen Nils Lofgren eingesetzt, der damals grade mal 18 Jahre alt war. Er kam aber auch nicht an der Gitarre zum Einsatz, sondern sollte Piano spielen, weil er an diesem Instrument so simpel und dennoch effektiv agierte. Ähnlich unschuldig-empathisch klingen auch die Tasten-Kreationen von Johannes Mayer. Beim Opener "Blind" erzeugt er nur so viele Noten, wie unbedingt nötig sind, um dem Song Haltung und eine melancholische Prägung zu verleihen. Diese Vorgehensweise öffnet Herzen und mit der sich in Schmerz suhlenden, empfindsam-verletzlichen Stimme öffnet der Musiker die Türen zu seinem Inneren.

Ein luftiges Schlagzeug und eine helle, klare E-Gitarre sorgen bei "Ten Minutes" dafür, dass dieser Song nicht in Sentimentalität versinkt. Die angenehme Schwere wird trotzdem genüsslich ausgekostet und lässt den Autor in bitter-süßen Klängen schwelgen. Bei "Hold Up A Little" lichten sich die grauen Wolken durch ein deutlich angeschlagenes Klavier und Chor-Effekte, die Johannes als aufmunternden Background-Sänger zeigen. So zieht verhaltene Zuversicht in die Vertonung ein.

Durch die Verbindung von sehnsüchtigem Gesang, mitfühlendem Piano und rauschend-jenseitiger Hammond-Orgel entsteht bei "Viktoriapark, Berlin" ein spiritueller Eindruck, der den Song mit Würde und Anmut erfüllt. "Drink`s On Me" reift durch die Einbindung von Bass, Schlagzeug und Klarinette zu einer harmonischen Gruppen-Leistung heran. Die beteiligten Musiker gehen konzentriert und gleichzeitig sensibel zu Werke. Diese filigran-kultivierte Pop-Variante ist quasi ein Gegenstück zur Kammermusik in der Klassik, denn hier treffen Feingefühl und Harmonie ausgewogen aufeinander.

"It`s No Surprise" bleibt bis kurz vor dem Ende des Dreieinhalb-Minuten-Stücks eine bedächtig-sentimentale Late-Night-Piano-Ballade. Dann setzen Bass, Alt-Saxophon, Hammond-Orgel und Virtuosität ein und befördern den Track auf eine Ebene, bei der nur noch bedingungslose Schönheit und meisterhaftes Teamwork zählen. Ein Jammer, dass diese ergreifende Stelle so schnell zu Ende ist! Die Rhythmus-Einheit von Bass und Schlagzeug stimmt sich für das gemächliche "Thought I Knew" vortrefflich mit der Trompete ab. Im kurzen Zusammenspiel erzeugen sie eine sakrale Stimmung, die den Titel aus seiner Schläfrigkeit löst und erhaben erstrahlen lässt.

"Land`s End" wird nur von der eindringlichen Stimme, dem betrübten Piano und etwas elegischem Background-Gesang getragen. Mehr braucht es nicht, um der Welt einen innig-ästhetischen Song von erhabener Schönheit zu schenken. "Brother" klingt nachdenklich, aber nicht verloren. Ein kämpferischer Bestandteil macht sich bemerkbar und lässt das Piano-Gesang-Zwiegespräch letztlich doch hoffnungsvoll erscheinen. Ein Kontrabass wird dazu geschaltet und sorgt durch brummige Schwingungen für den nötigen Halt.

Auch wenn es eine Binsenweisheit ist: Wahre Freunde sind schwer zu finden und deshalb ganz besonders wertvoll. Auch das Stück "True Friends Are Rare" ist ein rarer Rohdiamant, der durch einen kenntnisreichen Pop-Schliff ein Evergreen werden könnte. Das Lied ist in seiner unschuldigen Brillanz durchaus mit "Tiny Dancer" von Elton John zu vergleichen. Ein würdiger Abschluss dieser großartigen, tief beeindruckenden, einfach nur wunderschönen Platte.

Die Nacht besitzt ihren ganz besonderen Reiz. Sie kann bedrohlich-abstoßend, aber auch versöhnlich-anschmiegsam erscheinen. In welcher Situation wirkt sie denn wie ein Freund? Zum Beispiel wenn Stille und Dunkelheit dazu dienen, die Sinne zu öffnen oder wenn sie Raum dafür schaffen, um in Ruhe nachdenken oder entspannen zu können.

The Late Call hat einen beeindruckenden Soundtrack für die Bewältigung der Zeit zwischen Mitternacht und Sonnenaufgang geschrieben. Trotz der sparsamen Instrumentierung kommt bei den 33 Minuten Laufzeit kein Augenblick der Langeweile auf. Man kann sich die Stücke auch gut voll instrumentiert vorstellen, vielleicht sogar als Orchester-Versionen. Die Songs sind einfach unglaublich stark und besitzen einen intensiven Spannungsbogen, der dafür sorgt, dass sich die Nackenhaare vor wohliger Empfindung aufstellen. Johannes vermittelt dem Hörer sehr überzeugend, dass er mit ihm eine verschworene Einheit bilden möchte, um gemeinsam magische Augenblicke der Einkehr zu erleben. Und so folgt man ihm gerne auf diesem Weg der Läuterung durch die Nacht, um den nächsten Tag gestärkt angehen zu können.

Das Vinyl von "Your Best Friend Is The Night" ist übrigens ein Objekt der Begierde für Jäger und Sammler, da es auf 300 Stück limitiert ist. Ansonsten gibt es die Veröffentlichung zunächst nur digital, nicht als CD. Beziehen kann man die Tonträger über die Bandcamp-Seite des Künstlers: Tonträger von The Late Call



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