Paul Simon - Graceland: The Remixes (2018)

Wenn das mal gut geht: Elf Akteure der Dance- und Electronic-Szene drehen das ehrwürdige „Graceland“ von Paul Simon durch den Remix-Wolf.
Graceland“ war das Ergebnis einer zufälligen Begebenheit, die zur Auflösung einer kreativen Blockade führte: Paul Simon erhielt im Jahr 1984, grade als seine Solo-Karriere ins Stocken geriet, eine Musik-Kassette mit traditioneller südafrikanischer Volksmusik, die ihn zu neuen Kollaborationen inspirierte. Er hörte in dem Sound Gemeinsamkeiten zum Sun Records-Country und Blues der 1950er Jahre, speziell zum Boom Chicka Boom-Rhythmus von Johnny Cash. Und so organisierte er eine Zusammenarbeit der Kulturen und schuf 1986 ein Weltmusik-Pop-Zusammenschluss mit großem Einfluss auf die weitere Musik-Entwicklung. Das Werk hat im Laufe der Jahrzehnte nichts von seiner Faszination verloren und wurde nun von der neuesten Generation von Dance- und House-Music-Künstlern wiederentdeckt und nach deren Vorstellungen überarbeitet. Aber ist hierdurch ein Nährboden entstanden, der den Kompositionen zu neuer Blüte verhelfen und interessante alternative Sichtweisen ans Tageslicht fördern konnte?
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Der finale Remix, den Joris Voorn „Homeless“ angediehen ließ, setzt auf einen stampfenden, durchgängigen Beat, der House-Music-typisch durch lyrische Einbindungen unterfüttert wird. Nebenher werden kurze Gesangsfragmente von Paul Simon eingeblendet. Von der ursprünglichen, spirituellen afrikanischen Folklore ist nichts mehr übrig geblieben. Der Track taugt jetzt allerdings zur Beschallung von Auto-Scooter-Fahrgeschäften auf Jahrmärkten. Auch „Gumboots“ bekommt als Joyce Muniz Remix ein gänzlich neues Gesicht verpasst. Der ehemals gut gelaunte, schwungvolle Track, den Paul damals aus dem Instrumentaltitel der Boyoyo Boys aus Südafrika entwickelte, mutiert in der Neufassung zu einem stumpf-monotonen Brazilectro-Gebilde, für das Teile des Ursprungsgesanges extrahiert wurden. Zumindest findet sich hier eine Umdeutung, die im Sinne des Weltmusik-Konzeptes Sinn ergibt.
„I Know What I Know“ entbehrt als Sharam’s Motherland Mix jeglicher Originalität. Die Rhythmus-Loops klingen wie Demo-Beispiele eines Keyboard-Herstellers. Darüber werden auf und abschwellende Gesänge aus der Vorlage gelegt und fertig ist die Überarbeitung, die über sieben Minuten nervtötend ausgedehnt wird. Eigentlich unnötig zu erwähnen, dass die quirlige Lebensfreude des Paul Simon-Liedes dabei völlig auf der Strecke bleibt. „Crazy Love, Vol. II“ bewahrt dagegen auch im Paul Oakenfold Extended Remix eine an dem Ursprung angelehnte Struktur, ohne dem Song dabei jedoch neue Sichten zuordnen zu können. Die Überarbeitung von „Boy In The Bubble“ durch Richy Ahmed schafft es, einen hypnotischen Takt auf die Tanzfläche zu bringen, der auch bei einer Laufzeit von über acht Minuten nicht langweilig wird. Die Inhalte werden in überschaubaren Abständen variiert, so dass der starre Rhythmus die treibende Kraft in einem ansonsten variablen Gerüst bleibt. Diese Vorgehensweise kennt man z.B. von New Orders „Blue Monday“.
„You Can Call Me Al“ besinnt sich in der Deutung durch die Groove Armada gegen Mitte des Remixes auf den Anfang des „Graceland“-Tracks. Die Überarbeitung klingt ansonsten gleichförmig, denn die minimalistischen Anpassungen reichen nicht aus, um dem Stück genügend Würze zu verleihen. „Under African Skies“ wurde im Rich Pinder/Djoko Vocal Mix sowohl rhythmisch wie auch melodisch einfallslos und stupide gestaltet. Dadurch entsteht der Eindruck völliger Belang- und Einfallslosigkeit. Der MK’s KC Lights Remix des Songs „Graceland“ bestückt die Komposition mit auf- und abschwellenden Partituren und einem Rhythmusgerüst, das lauter als der Gesang ist, der in diesem Kontext wie fehl am Platz wirkt.

Der Louisiana Cajun-Track „That Was Your Mother“ wird dann als Groove-Jazz-Nummer mit Saxophon als Lead-Instrument und einem Elektronik-Puls wiedergeboren.
Space-Effekte und afrikanische Trommeln begleiten „Diamonds On The Soles Of Her Shoes“ auf dem von der Thievery Corporation vorgegebenen, meditativen Weg, der vom Gesang von Paul Simon bereichert wird. „All Around The World Or The Myth Of Fingerprints“ stellt als Photek Remix auch Mr. Simons Stimme prominent in den Vordergrund. Es wird darauf geachtet, dass die Aufnahme nicht zu sehr zerfasert und der Rhythmus nicht die alleinige Hauptrolle spielt. So bekommt das Lied tatsächlich einen neuen Charakter verpasst. Die zweite, kurze Version von „Homeless“, die als Joris Voorn Kitchen Table Mix / The Duke of New York’s Edit betitelt wurde, ist eigentlich gar keine richtige Überarbeitung, denn hier wird der ursprüngliche spirituelle Chorgesang präsentiert und nur minimal durch neue Klänge ergänzt.
Die Remixe bieten als Gesamt-Produkt zu wenig Originalität. Sich alleine auf die verfängliche Wirkung von knalligen Computer-Drums zu verlassen, ersetzt noch nicht die Auseinandersetzung mit einem konzeptionell aufwändigen Pop-Meisterwerk. Hierbei werden sowohl stimmige Bezüge zum Ursprung wie auch die kreative Varianten der Songstruktur erwartet. Bei den vorliegenden Remixen führen viele Deutungsversuche ins Leere oder vermitteln den Eindruck der Überforderung der Künstler mit der Ausgangslage. Aber wie sollte eigentlich bei einer Transformation mit dem Geist, der Essenz und der Aussage der Originale umgegangen werden? Ehrfürchtig und würdevoll? Unerschrocken oder gleichgültig? Basis und Remix haben bei den „Graceland“-Adaptionen manchmal keine Gemeinsamkeiten mehr, teilweise sind nicht einmal Ähnlichkeiten vorhanden. Ein gleichbleibender Rhythmus aus dem Electronic-Baukasten wird dann endlos wiederholt und der Gesang anscheinend zufällig und uninspiriert eingebaut. Die den Song prägende Folklore ist häufig nur noch in homöopathischer Verdünnung vorhanden und einem Allerwelts-Dance-Track ohne Herz und Seele gewichen.
Es ist schon ein großer Unterschied, ob sich Pop-Musiker oder Electronic-Tüftler der Überarbeitung eines Klassikers der Pop-Geschichte annehmen. Klar ist natürlich, dass bei solch einer Konstellation die Lieder für den Tanzboden aufbereitet werden würden. Die Art und Weise der Überarbeitung ist aber auch nicht das Problem des uneinheitlichen, nicht befriedigenden Endergebnisses. Es ist die teilweise unfassbare Ideenarmut und die damit verbundene stoische Langeweile, die den Liedern aufgedrückt wird. Das Original lebt von der Vielfalt, den buchstäblich Grenzen öffnenden Aspekten und von einer menschlichen Wärme, die sich über alle Kulturen erhebt. Die pulsierenden Polyrhythmen werden bei der neuen Darstellung schon mal zu eindimensional erstarrten Beats degradiert. Die bunte Vielfalt der früheren „Graceland“-Welt verkommt dann zu einer grauen, ähnlich strukturierten Masse. Von daher ist es fraglich, ob sich manche Akteure wirklich mit ihrer Aufgabe identifiziert haben und sich Gedanken über die Herkunft der Musik und dem, was sie erreichen wollen, gemacht haben. Was wohl Paul Simon, der sich im Konzert-Ruhestand seiner Karriere befindet, zu dieser Deutung seines zentralen Werkes zu sagen hat?
Es entsteht die Frage: Welche Absicht wurde mit dem Remix verfolgt? Die Neudeutung transportiert zumindest nicht die Essenz der Schöpfung, führt dessen Stimmung nicht weiter und taugt nicht zum Appetitanreger für den Konsum des von Paul Simon konzipierten Liedgutes. Das dürfte in beiden Lagern zur Verstimmung führen: Die Dance- und House-Liebhaber können mit Paul Simons Fassungen vermutlich wenig anfangen und Paul-Simon-Fans werden die Zerstörung der Originale bemängeln.

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