Max Braun - Till Morning Comes

Max Braun erkundet einfühlsam die Phase zwischen Wachen und Träumen.

Der Musiker, Komponist und Arrangeur Max Braun aus Berlin fiel bisher hauptsächlich durch seine Theater- und Film-Musik wie auch durch seine Arbeiten für BRTHR, Carolina Lee, Paul Armfield und Karwendel auf. Nun ist sein erstes Solo-Album raus, zu dem neben Paul Armfield und seine Partnerin Nadja Höhfeld (von Carolina Lee) auch seine Schwester Laura und die amerikanische Dichterin Emily Dickinson ("My River Running To Thee") Texte beigesteuert haben.
Credit: Laura Braun

Es handelt sich bei "Till Morning Comes" im Prinzip um die Realisierung von Ideen, die über einige Jahre hinweg entstanden. Herausgekommen sind dann im Jahr 2022 innerhalb von fünf Studio-Tagen neun überwiegend ruhige Songs, die Max Braun zusammen mit Freunden aufgenommen und selber abgemischt hat. Das sind Lieder für die entspannten Momente im Leben, die allerlei Assoziationen wachrufen.

"Early Morning Bird" legt alle Zuversicht und Hoffnung in den Gesang des frühen Vogels und den positiven Effekt der 
wohlriechenden Morgenluft. Mögen sie doch bessere Zeiten verkünden sowie Müdigkeit, Sehnsucht und Kummer vertreiben. Mit der Gelassenheit eines J.J. Cale gibt Max Braun seinen Wünschen einen rücksichtsvoll-ehrfürchtigen Ausdruck und lässt seine Mitstreiter dieses Ansinnen mit geruhsamen Klängen untermalen.
Während die Rhythmen von "Swooning And Swaying" eine heitere Grundstimmung erzeugen, mag sich Max Braun gesanglich nicht von dieser süßen Verlockung anstecken lassen. Er bleibt reserviert, wirkt nur gemäßigt optimistisch und verleiht dem Track dadurch ein seriöses Klima. 
"My River" ist die Vertonung von Emily Dickinsons kurzem Gedicht "My River Running To Thee": "Mein Fluss fließt zu dir. Blaues Meer, wirst du mich willkommen heißen? Mein Fluss wartet auf Antwort. Oh - Meer, schau gnädig! Ich bringe dir Bächlein. Von den gefleckten Winkeln! Sag, Meer, nimm mich?", heißt es da poetisch und vielsagend. Über zehn Minuten hinweg zelebriert Max Braun in einem sphärisch-psychedelischen Folk-Rock diese Worte und lässt sich dabei auf instrumentaler Ebene viel Zeit bei der Erzeugung einer spirituell-versunkenen Stimmung, die an manche der weltabgewandten, rauschhaften Songs auf Tim Buckleys "Lorca" erinnern.
Wenn hypnotischer Kraut-Rock auf empfindsame Folk-Traditionen trifft, dann kommt dabei sowas wie "My Little Girl Dreams Of The Dead" raus. Wobei der monotone Takt und die schwirrenden E-Gitarren die gesangliche Sensibilität in den Hintergrund drängt. Textlich geht es gruselig zu: "Mein kleines Mädchen träumt von den Toten. Jemand stand auf unserem Dach und sagte: Deine bitteren Träume wirst du sehen müssen. Es gibt keine Verkleidung, kein Versteck."
"Dreamland" destilliert die verletzliche Seite von The Velvet Underground. Dadurch wird ein unsentimentales, karg instrumentiertes, langsames Wiegenlied mit beruhigenden, tröstenden Versen erzeugt.
Ein unnachgiebiger Groove hält den harmonisch abgerundeten Power-Pop "Till Morning Comes" auf Trapp und lässt dabei an das kompromisslose, eintönige Rattern bei Eisenbahnfahrten denken. Schwärmerei trifft auf Energie. Eine reizende Kombination.
Wenn die Sehnsucht übermächtig wird, dann kann in jedem Naturgeräusch das Flüstern von Worten wahrgenommen werden. Bei "Whisper Of Words" ist diese Verbindung mit der Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen gleichzusetzen. Der Song besteht entsprechend der erwartungsvollen Gefühlslage aus einer beschaulichen Tonkonstruktion, die nicht ganz frei von süßlicher Sentimentalität ist. 
Der blumige Hippie-Folk "Fade Away" wärmt wie eine kuschelige Decke, die man schützend über die Schultern legt und die sich dann angenehm anschmiegt. Unaufgeregt, als spiele das Verrinnen der Zeit überhaupt keine Rolle, verbreitet das behagliche Lied totale Ausgeglichenheit und Sicherheit. Das klingt in etwa so, als würde man "O` Caroline" von Matching Mole und "Look Out For My Love" von Neil Young miteinander fusionieren.
Der langsame Walzer "Nightingale Lullaby" ist mit akustischen Gitarren, Bass und Glockenspiel sehr sparsam instrumentiert worden. Der Gesang wird behutsam-schüchtern eingesetzt und wirkt dadurch zerbrechlich, so als möchte er niemanden stören.

"Till Morning Comes" ist herzerwärmend sympathisch, dabei unaufdringlich, einfallsreich strukturiert und voll von attraktiven und klugen Referenzen. Die Erkundung der Grauzone zwischen Wachen und Schlafen geschieht auf Basis eines innovativen, transparenten Country-Folk-Fundaments, wobei auch unvorhergesehene, aber passende Seitensprünge in andere Genres gerne zugelassen werden. Das macht die Platte trotz des glaubwürdig gelebten Traditionsbewusstseins und der oft als Stilmittel eingesetzten, abgeklärten Ruhe abwechslungsreich. Was anfangs noch unspektakulär erscheint, reift nach und nach zu würdevoller Schönheit heran. Manchmal sind stille Wasser eben doch tief!

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