ROGER GOULA - OVERVIEW EFFECT (2016)

Der Weltraum: Unendliche Weiten. Welche Gefühle müssen das Individuum beschleichen, wenn unser Heimatplanet aus dem All betrachtet wird? Nur wenigen Menschen war bisher dieses Erlebnis vergönnt. ROGER GOULA möchte jetzt mit seiner Musik den OVERVIEW EFFECT, also die psychologischen Auswirkungen des Anblicks der Erde aus dem Kosmos, hörbar machen.

Novembermusik: Trist und trostlos, nur mit wenigen Hoffnungsschimmern versehen, aber von ergreifender Macht.


Wir sind nicht mehr als ein Körnchen im Gefüge des Universums. Selbst unsere Erde ist nur ein winziger Punkt in den Weiten des Weltalls. Diese Erkenntnisse wirken noch intensiver bei Menschen, die die Gelegenheit hatten, unseren Planeten aus dem Weltraum heraus zu betrachten. Solch ein Erlebnis führt bei Raumfahrern oft zu einer eigentümlichen, demütigen Haltung gegenüber dem Leben und zu einer größeren Verbundenheit mit dem Heimatplaneten und dessen Lebewesen. Jene Erfahrung wird auch „Overview Effect“ genannt.
Roger Goula: Overview Effect (180g) (2 LPs) – jpc
Der Londoner Filmmusik- und Theater-Komponist sowie Multiinstrumentalist Roger Goula hat sich zur Aufgabe gemacht, die Wirkung des Effekts hörbar zu machen. Durch Gespräche mit ehemaligen Astronauten ließ er sich dazu inspirieren, durch den Einsatz von elektronischen Klängen, die auf Saiteninstrumente treffen, eine treffende Stimmung zu erzeugen. Synthetische und von Streichinstrumenten hervorgerufene Schwebeklänge fangen den Hörer bei „Soon Will Wake Up“ ein. Monotone Töne, die von einer Zither, Harfe oder akustischen Gitarre stammen könnten, bringen menschliches Handeln ein. Das Gebilde hinterlässt nichtsdestotrotz einen statischen und schwerelosen Eindruck.
Dunkles Dröhnen verheißt nichts Gutes. Kälte macht sich bei „Awe“ breit, denn traurige Streicher erzeugen Grabesstimmung. Nach fast fünf Minuten keimt Hoffnung auf. Rhythmustätigkeiten sorgen für Bewegung und das Streichquartett erwacht teilweise aus der Starre.

Unendlichkeit und Finsternis nehmen bei „Looking Back To Self Awareness“ akustische Gestalt an. Space-Sounds und akustische Gitarren, wie sie ähnlich bei „Wish You Were Here“ von Pink Floyd eingesetzt wurden, treffen sich bei „Cognitive Shift“ zu einem psychedelischen Trip.
Maschinenartige Geräusche, flirrend-geisterhafte Attacken, neblige Synthesizer-Klänge, klagend-leidende und hysterische Geigen sowie stoische Piano-Akkorde fügen sich für „Overview Effect“ in Wellenbewegungen zu einem experimentellen Rausch zusammen. Eine Solo-Geige drängt sich bei „Pale Blue Dot“ mit aufdringlichen, monoton-nervenaufreibenden Tönen in den Vordergrund. Nach der Hälfte des Stücks tritt eine Ruhepause ein, bei der sich die Violine in den Leerlauf einfügt. Danach übernimmt sie erneut eine bestimmende Gestaltung.
„Something About Silence“ ist zunächst eine Übung in Gleichklang und meditativer Versenkung. Diese Aktion wird durch minimalistisch überlagerte, lebhafte Klangteppiche ergänzt, die sich allmählich wieder aus dem Tongebilde verabschieden. Babylonisches Stimmengewirr wird bei „If Nothingness Disappears“ durch sphärische Einblendungen ergänzt. Dieses Geschehen wird im Verlauf ins Gegenteil gekehrt.
Roger Goula erschafft einen Klangraum, der auch zur Vertonung der Space-Night des Bayerischen Rundfunks geeignet wäre, aber auch eine Traumreise in fremde Gefilde zulässt. Die Idee und Umsetzung ist nicht unbedingt neu, aber in dieser Konstellation wirkungsvoll realisiert. Wer sich an die Beiträge von György Ligeti beim Soundtrack „2001: Odyssee im Weltraum“ erinnert, hat in etwa eine Vorstellung von der verwirrend-düsteren Atmosphäre, die hier häufig erzeugt wird.

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