Rodrigo Leão & Scott Matthew - LIFE IS LONG (2016)

Die Macht der bedächtigen Töne, inszeniert und präsentiert von Rodrigo Leão & Scott Matthew.
Durch die fortschrittliche Kommunikationstechnik ist die Welt zusammengerückt. Deshalb spielen für musikalische Beziehungen Entfernungen zwischen den Partnern im Prinzip keine Rolle mehr. Kooperationen, der Austausch von Ideen und die Realisation von Projekten sind relativ unabhängig von Zeit und Raum geworden. Auf dieser Basis funktioniert auch die Arbeit des portugiesischen Komponisten Rodrigo Leão mit dem Singer/Songwriter Scott Matthew aus Australien, der hauptsächlich in New York lebt. Die beiden kamen erstmals 2011 für Leãos Album „A Montana Mágica“ zusammen, verfolgten danach aber hauptsächlich wieder ihren Solo-Karrieren.
Über die Jahre trafen sich die Künstler manchmal, tauschten Entwürfe zu Melodien, Texten und Arrangements aus und versorgten sich ansonsten elektronisch mit Demo-Aufnahmen, die jetzt einen Reifegrad erreicht hatten, um zu einem gemeinsamen Album zu führen. Mit großer Besetzung wurde das Werk im Frühjahr 2016 in Lissabon aufgenommen. Rodrigo, der einst die portugiesische Kult-Band Madredeus gründete, war für die Kompositionen und die Produktion zuständig. Scott, der bisher schon fünf bemerkenswerte Studio-Platten sowie diverse Soundtrack-Beiträge veröffentlichte, sorgte für die Texte und den Gesang.
Life Is Long - Glitterhouse/Indigo: Amazon.de: Musik
Scotts tragisch-traurige Stimme trägt mit seiner besonderen Färbung die überwiegend herbstlich-grauen und winterzarten Song-Gewächse. Seine betörenden Töne bekommen bei Bedarf einen gehauchten Nachklang oder gehen ins Falsett, ohne dass die hohen Regionen überstrapaziert werden. Die Töne begleiten dabei die ausgeklügelten, kunstvollen, fein strukturierten, feierlichen Kompositionen angemessen seriös und homogen. „Child“ bietet einen andächtigen Einstieg in den würdevoll inszenierten Ablauf von „Life Is Long“, der mit „The Fallen“ anschließend einen kammermusikalisch gestalteten Track aufbietet. Die Musik drückt schmerzvoll-bedrückende Aspekte aus, die vereinzelten auflockernden Beigaben wirken in diesem Zusammenhang eher wie Zweckoptimismus.
Die straffe Dramatik von „Enemies“ wird durch forsche Geigen und ein eifriges Schlagzeug ausgebremst. Den Gesang begleitet eine Theatralik, die an die besonders intensiven Werke von David Bowie gemahnt. Das meditative, kurze, instrumentale „Empty Room“ bringt wieder Muße und eine andächtige Stimmung ins Geschehen ein. Diese wird zunächst von „Nothings Wrong“ aufgegriffen. Das Lied gipfelt jedoch anschließend in schwelgenden, aufwühlenden Gefühlsausbrüchen mit ausdrucksvollem Gesang. Scott versorgt „That’s Life“ mit verschiedenen Stimmlagen, so dass der Eindruck entsteht, unterschiedliche Personen würden die einzelnen Strophen vertonen. Hoffnungslos romantisch und feinfühlig ist „In The End“ geraten. Das Zwischenspiel „The Same Day“ trägt dann tiefe Trauer. Niedergeschlagen und betrübt geht es danach auch bei „Truce“ zu.
Mit seiner Wehmut, die nicht in Trübsinn versinkt, hätte „Unnatural Disaster“ auch auf die aktuelle Platte von Nick Cave gepasst. Gleichzeitig schwermütig und wohlig umsorgend zieht „Terrible Dawn“ ins Bewusstsein ein. Der Song ist - wie viele andere auf dem Album auch - ein Musterbeispiel dafür, dass leidvolle Klänge nicht unbedingt deprimierend, sondern auch aufbauend wirken können. Dem Titel entsprechend verbreitet „Death Defying“ trotz sorgenvoller Stimmung auch eine unbeugsame Haltung. Dieser Aspekt lebt nochmal bei „Life Is Long“ auf und wird ebenso glanzvoll wie wunderschön auf den Punkt gebracht.
Es ergibt schon Sinn, dass diese Platte jetzt veröffentlicht wird. Im Sommer am Strand könnten sich diese elegischen Momente mit Sicherheit nicht adäquat entfalten. In seiner erschütternden Melancholie sind die Songs kompromisslos. Sie greifen tief verwurzelte, erschütternde Erfahrungen auf und spülen sie ins Bewusstsein, um den Hörer sowohl mit verständnisvollen Schwingungen wie auch mit heilsamer Wärme zu versorgen.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Waiting For Louise - Rain Meditation

Jahresbestenliste 2023

Lesestoff: Pop steht Kopf