Ian Fisher - Koffer (2016)

Ian Fisher ist ein emsiger, erfahrener, bodenständiger Singer-Songwriter.

„Koffer“ ist eine Kollektion, die über zehn Jahre zusammengetragen wurde und sowohl die diskreten wie auch die rockigen Facetten des umtriebigen Ian Fisher zeigt.

Ein Koffer kann ein Rettungsanker sein oder sogar ein Stück Heimat bedeuten. Er enthält den einzigen verfügbaren Besitz eines Reisenden und gibt ihm somit etwas Sicherheit, wenn er auf sich alleine gestellt ist. Der aus einer kleinen Stadt in Missouri stammende und seit einer Dekade in Europa lebende Singer/Songwriter Ian Fisher reist und singt schon eine ganze Weile. Kein Wunder also, dass er nach diesem Utensil ein Album benannt hat.
Erstaunlich ist aber, dass er dafür den deutschen Begriff verwendet. In gebrochenem Deutsch arbeitet er sich an einem unpeinlichen Mainstream-Rock ab. Ian erweist sich dabei - wie auf dem ganzen Album - als solider, sympathischer, ehrlicher Handwerker, der schon über 1.000 Songs geschrieben und vielleicht auch schon genauso viele Konzerte gegeben hat. Er ist kein Visionär, sondern orientiert sich an gut abgehangenem Folk und handfestem, bodenständigem Rock. Das ist Musik für kleine Clubs, gemütliche Open-Air-Veranstaltungen oder politische Kundgebungen. Eben für Events, wo eine klare Haltung erwartet wird. Den Song „Koffer“ gibt es übrigens auch noch als Akustik-Demo auf dem Album und siehe da, jetzt treten Ians besondere Qualitäten zu Tage. Als Vertreter leiser Tönen lässt er aufhorchen. Seine deutliche Aussprache und die feste, aber gefühlsbetonte Stimme sorgen sofort für Beachtung und die verwendeten Melodien zeugen von großer Erfahrung im Umgang mit der Übermittlung inniger Emotionen.
Dabei kommen so liebliche Songs wie die transparent-intime Ballade „Thinkin‘ About It“ zustande, wo der Globetrotter durch unverstellte pure Gefühle überzeugen kann. Auch schön ist die lauschig gestaltete, raffinierte Folk-Nummer „The Way To Go“, bei der der Gesangspart den ruhigen Instrumentalansatz manchmal überholt. 
Betont amateurhaft und Lagerfeuer-Romantik verbreitend wird der Folk-Song „Settlin‘ In“ nur mit Banjo-Begleitung vorgetragen. Dann wäre da noch das überlegt und zurückgenommen arrangierte „Whole Lotta Room“ zu erwähnen, das durch seine wohltemperiert abgestimmten Instrumente gefällt. Und auch „Hail Mary“ muss positiv erwähnt werden: Die Stimme vibriert hier vor Ergriffenheit. Dieser Country-Rock verbreitet Wehmut und erzeugt Erinnerungen an weite Landschaften. Leider wird der Song viel zu früh ausgeblendet. Und das locker swingende „If You Wanna Stay“ wartet mit einer gemütlich-jazzigen Kontrabass-Begleitung auf, wie sie ähnlich bei „Walk On The Wild Side“ von Lou Reed verwendet wird.
Es gibt jedoch noch einen Schönheitsfehler: Die rockigen Nummern wie „Candles For Elvis“ hinterlassen einen zwiespältigen Eindruck. Dieser Track wird durch eine gleißende Slide-Gitarre eingeleitet, die nach David Lindley, dem etatmäßigen Begleiter von Jackson Browne, klingt. Der Rhythmus stampft und der Gesang wird mit Nachdruck verabreicht. Das Ergebnis klingt dann aber doch eher wie der Pop-Rock von Sunrise Avenue als nach dem Westcoast-Rock von Mr. Browne. Mehr gut gelaunter Mainstream-Rock wird mit „Seriously Who“ verabreicht. Auch der ist locker-flockig sowie Cabrio-tauglich. Wahrscheinlich werden aber nur Bon Jovi-Fans ihren Spaß damit haben. Zumindest verkauft sich Ian hier unter Wert. Auch die etwas alberne, im Max Raabe-Stil vorgetragene Country-Swing-Nummer „Nothing“ wirkt hier fehl am Platze.
Ian Fisher hat die für „Koffer“ zusammengestellten Songs in den letzten zehn Jahren geschrieben und in den letzten fünf Jahren aufgenommen. Er beweist, dass er nicht nur gute, sondern auch großartige Songs schreiben und interpretieren kann. Eine hier zur Schau gestellte, angedeutete Vielseitigkeit stört jedoch eher den intimen Flow. Hätte sich der Musiker durchgängig auf ruhige Songs konzentriert, wäre wahrscheinlich ein noch intensiveres Hörerlebnis dabei herausgekommen.

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