Krief - Chemical Trance (VÖ: 14.08.2020)

Der Kanadier Patrick Krief ist in seinem Heimatland kein Unbekannter in der dortigen Indie-Rock-Szene. Von 2003 bis 2008 und 2010 bis 2015 war er Gitarrist, Pianist und Sänger der Orchestral-Pop-Noir-Formation The Dears. Zusätzlich nahm er am Projekt Black Diamond Bay teil und veröffentlichte 2007 seine erste Solo-EP "Take It Or Leave". 

2019 folgte das Folk-Rock-Werk "Dovetale" und an "Chemical Trance" hätten die leider schon lange von uns gegangenen Psychedelic-Pop-Ikonen Syd Barrett (ex-Pink Floyd) und Kevin Ayers (ex-Soft Machine) aufgrund der unbekümmert-rauschhaften Pop-Sensibilität sicher ihre Freude gehabt. 

Die Kompositionen von Krief stecken voller Rückblenden auf eine Zeit, in der die Pop-Musik auf der Schwelle zwischen Kunst und Kommerz einen Ausdruck gefunden hatte, der sowohl Freunde der sinnlich-harmonischen Melodie als auch der verspielt-anspruchsvollen Instrumentation befriedigen konnte. Diese Sichtweise war besonders zwischen 1966 und 1969 populär und spiegelte sich in unschuldig-eigensinnigen, ambitioniert-kreativen Songs wie "See Emily Play" von Pink Floyd,

"Pride Of Man" von Quicksilver Messenger Service,

"Time Of The Season" der Zombies

oder "Eight Miles High" von The Byrds wider.

Krief saugt alle diese Einflüsse auf und lässt auch noch deutliche Referenzen an Brian Wilson (Beach Boys) und Paul McCartney (Beatles) anklingen.

"Chemical Trance" beginnt mit der Psychedelic-Gothic-Nummer "I Am The Pillar Of Darkness In Your Life", die sich anhört, als würde John Lennon sie leiten, Radiohead dabei als Backing-Band fungieren und Mark Lanegan das Ergebnis verfeinern. Das kurze, deftige Gitarren-Solo ätzt und spritzt am Ende Säure, als solle der Wohlklang des Liedes im Nachhinein aufgelöst und zunichtegemacht werden.

"I Love You Just The Same" beginnt intim und leise, wie z.B. das verwehte "Expecting To Fly" von Buffalo Springfield, um sich dann aber zu stabilisieren und sogar muskulös zu präsentieren. Die Melancholie holt den Song jedoch wieder ein und lässt ihn friedvoll enden. 

Das monotone Pluggern zeigt bei "Man About Lies" gelangweilte Eintönigkeit an, gegen die der bittersüße Gesang und eine betrübte Melodik erfolgreich anarbeiten. Dabei hilft eine cremige "Wish You Were Here"-Pink-Floyd-Gedächtnis-Gitarre. Und wieder reißt eine robuste Gitarre den Track gegen Ende aus der Tristesse und sorgt für belebendes Störfeuer. 

Der dunkle Folk-Rock "Line Stepper" verbreitet zunächst ein Gefühl von verlorener Hoffnung, wie es ähnlich durch "Til I Die" von den Beach Boys weht. Das Lied befreit sich jedoch zwischendurch mit Gewalt aus dem Selbstmitleid. In den Gospel-Folk-Track "Chemical Trance" wurden geschickt und originell Feedback-Gitarren sowie verschleierte Karibik-Rhythmen eingebaut, sodass das Stück eine kühne, ausgefallene Note erhält. "Svengali" opfert danach wegen meterdicken sentimentalen Harmonie-Wolken weitgehend sein verborgenes, poppiges Eigenleben.und der gemächlich stampfende Song "One Up Two Down" hat Kontakt zum Geist von Leonard Cohen aufgenommen.

Nahtlos geht es mit "The Light Between Your Eyes" weiter, bei dem versucht wird, die bisherigen Einflüsse abzuschütteln, indem ein kaum berechenbarer, theatralischer Mix aus Barock-Pop samt Psychedelic- und Progressive-Rock dargeboten wird. Einen Kontrast dazu bildet das zart-zerbrechliche "Never Without You", das von einem bisher verschollenen Beatles-Demo-Tape stammen könnte.

Das Album klingt anschließend mit dem mysteriösen, sphärisch-spacigen, kurzen Instrumental-Titel "Gyp Million Star" aus.

Es ist deutlich zu erkennen, dass sich Patrick Krief intensiv mit der Rock- und Pop-Musik der 1960er- und 1970er-Jahre beschäftigt hat, um sich Anregungen für sein neues Album zu holen. Was den Einfallsreichtum, den Seltsamkeits-Faktor und die Song-Qualität angeht, steht "Chemical Trance" manchen Werken seiner "Retro-Sound"-Kollegen wie Beck oder Steven und Jonathan Wilson jedenfalls in nichts nach.

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