Lasse Passage - Sunwards (VÖ: 28.08.2020)

 Vol. 1

Kreativität benötigt Inspiration. Der norwegische Singer-Songwriter Lasse Passage fand diese häufig dann, wenn er unterwegs war. Auf einer Mexiko-Reise entstanden so die Rohfassungen der neuen Lieder, die er spontan auf der Akustik-Gitarre komponierte. 

"Sunwards" ist aber keine Solo-Folk-Platte geworden, sondern kam unter Mithilfe der renommierten skandinavischen Jazzmusiker Andreas Werliin (Schlagzeug), Jo Berger Myhre (Bass), Andreas Stensland Løwe (Piano), Kim Myhr (Gitarre), Anders Hostad Sørås (diverse Saiten-Instrumente), Espen Reinertsen (Saxophon, Flöte) und Eivind Lønning (Trompete) zustande.

Lasse kennt sich nicht nur mit dem Komponieren aus, sondern auch die Elektro-Akustik war Teil seines Studiums in Bergen (Norwegen) und Den Haag (Niederlande). Entsprechend wichtig sind ihm nicht nur spannende Song-Ideen, sondern auch interessante Sounds.

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Beste Voraussetzungen also, um "Sunwards" in der Tradition solch wegweisender Musik wie Van Morrison`s "Astral Weeks" (1968), Tim Buckley`s "Happy/Sad" (1969) oder Ryley Walker`s "Primrose Green" (2015) erstrahlen zu lassen. Denn auch diese dem Folk nahen Künstler setzten Jazz-Musiker zur Expansion ihrer Vorstellungen ein und entwarfen mit deren Hilfe einen speziellen Klang, der Hörgewohnheiten aufbrechen konnte.

Lasse Passage singt allerdings im Vergleich zu den eben genannten Musikern relativ unauffällig und unspektakulär. Will heißen, seine Stimme ist nahezu frei von unkontrollierten Ausbrüchen, stimmlichen Eigenarten oder auffälligen Färbungen. Sie variiert mittig zwischen hohen und tiefen Tonlagen und klingt sowohl sanft-elastisch wie auch gewandt-liebenswert und gelenkig-wandelbar.

Der Norweger hat aufgrund seiner Fähigkeiten schon einige Erfahrungen gesammelt: Neben der Arbeit an seinem ersten Album "If You Don't Have Time To Cook, You Don't Have Time To Live" (2009) und der vierteiligen Reihe "Stop Making Sense And Start Making Success" (2014/15) erledigte er noch Auftragsarbeiten für das Percussion-Ensemble SISU und der Kammermusik-Gruppe Alpaca. Außerdem unterstützte er unter anderem die Solo-Werke von Kristine Tjøgersen und Ole-Martin Hauser.

"Miles Away", das Eröffnungs-Stück von "Sunwards" macht sofort klar, wie der Musiker tickt: Er nutzt sein sympathisches Timbre, um den Hörer freundlich, aber entschlossen um den Finger zu wickeln. Seine Mitstreiter sorgen dabei einfühlsam für ein feingliedriges, anschmiegsames, wohlklingend-kreatives Ton-Gespinst, bei dem es um einen kristallklaren, homogenen Gruppen-Sound und nicht um solistische Alleingänge geht. Das erinnert sowohl an den Wohlklang von Al Stewart ("Time Passages") wie auch an die intimen, verklärt schimmernden Schwingungen eines Tom Rapp ("The Jeweller").
Es geht ein Flirren, Brummen, Rauschen und Klopfen durch "Heartbeat", was den Song in eine verzaubernd-weltmusikalische Landschaft entführt. Aber auch der ausdrucksvoll-bilderreiche, melodische Jazz - der in dieser Form schon lange beim ECM-Label von Manfred Eicher ein zuhause gefunden hat - findet hier Anerkennung. Trotz schwebendem Schönklang verleugnet Lasse bei der Konstruktion des Liedes nicht seine soliden Folk-Wurzeln. Die Komposition taucht zusätzlich unter Beteiligung einer flehenden Pedal-Steel-Gitarre streiflichtartig in Wehmut ab, erschafft künstlerische Freiräume und nutzt Minimal-Art-Strukturen, um Ohrwurm-artige Bindungen zu schaffen.
Einen Hang zum opulenten, ausladenden Pop lässt "I Need A Holiday" erkennen. Von den Beatles über Harry Nilsson bis hin zu The Divine Comedy sind da viele Zitate drin, die großspurige, Hookline-verliebte, akzentuierte und wandlungsfähige Songs ausmachen.

"Homecoming" erzählt von erfüllter Sehnsucht und behaglichen Momenten. Entsprechend lebhaft befeuert der Rhythmus den positiv gestimmten Country-Pop. Das Lied richtet sich offensiv an das Gute-Laune-Zentrum und sei allen Radio-Stationen als gehaltvoller Muntermacher empfohlen.

Religiös und gedämpft-zurückhaltend geht es dann mit "God Is In The Nature" weiter. Mr. Passage singt mit seiner deutlichen Stimme teils monoton predigend, teils hellauf verzückt und wird dabei stellenweise von einem braven weiblichen Chor harmonisch unterstützt. Der Titel setzt auf eine suggestive Wirkung, die beim Refrain selbstvergessen ausgedehnt wird. Versunkene Spiritualität und konzentrierte Erzählkunst treffen versöhnlich aufeinander.

Seltsam, als würde Randy Newman den Brecht/Weill-Katalog vertonen, hört sich "Any Day Now" anfangs an. Der schrullige, angeschrägte Ablauf wird allerdings nach und nach in eine Art Groove-Pop mit stützend-tröstender Bläser-Unterstützung überführt. Kurz nachdem dieses ambitionierte Ziel erreicht ist, endet der Track.

Deutlich lockerer geht der Song "Sunwards" zu Werke. Das klingt wie eine beschwingte Kreuzung aus den späten Songs der australischen Pop-Innovatoren Go-Betweens und den kanadischen Country-Rock-Reformatoren Blue Rodeo. Das will heißen, dass ein flotter, sonniger Pop-Song dabei herausgekommen ist, der jeder Banalität aus dem Weg geht und trotzdem auch im Mainstream willkommen sein kann. 

Gitarren, Congas und Gesang begleiten "Something Easy" hauptsächlich. Der Track wird im Verlauf noch durch schwirrende Orgelklänge sowie etwas Schlagzeug und Bass angereichert. Er bleibt im Prinzip transparent, jedoch einfach strukturiert. Es fehlt leider eine zündende Melodie, so dass das Stück wie ein Lückenfüller wirkt, obwohl es wahrscheinlich als Vielseitigkeits-Nachweis gedacht war.

"300.000 Francs" findet sich in der Tradition solch innovativer Singer-Songwriter wie John Martyn, Nick Drake oder Richard Thompson wieder. Die Ballade klebt nicht an Folk-Traditionen, obwohl sie deren Errungenschaften hinsichtlich eines attraktiven Song-Aufbaus nutzt. Das Lied klingt ausgeruht und weise-fließend. Es holt den Hörer da ab, wo er konzentriert zuhören und dabei mit exquisiten Einfällen beschallt werden möchte.

Zum Abschluss gibt es mit "If The Wind" ein Lied, welches den Künstler ganz rein bei sich selbst zeigt. In diesem Epilog steckt quasi die Essenz des ganzen Albums: Eine Stimme, die empathisch betört und eigenständig leitet, gibt die Richtung vor. Die streichelnde Melodie bildet die Seele des Songs und die Instrumentierung arbeitet dem intensiv dargebotenen Ausdruck zu.  

Lasse Passage macht den eingangs zitierten Folk-Jazz-Meistern und Meisterwerken keine Konkurrenz. Schon alleine deshalb nicht, weil er bei "Sunwards" eine ganz andere Herangehensweise und Auffassung von Musik hat. Bei aller Komplexität, die seine kultivierten Lieder besitzen, lässt er oft optimistisch-unkomplizierten Pop durchscheinen. Das ergibt eine besondere, alternative Qualität, die sehr abwechslungsreich unschuldige Eingängigkeit gleichwertig neben disziplinierter Virtuosität bestehen lässt. Damit versöhnt er zwei schwer zu kombinierende Gegensätze miteinander. Nämlich einen intellektuellen Anspruch an Pop-Musik mit dem Bedürfnis, angenehm-unverkrampft unterhalten zu werden. Wenn das keine Kunst ist!

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