Lost & Found-Portrait: Der BEAT CLUB lebt!


Am 25. September 1965 begann eine neue Ära im deutschen Fernsehen. Erstmalig wurde eine spezielle Jugend-Musiksendung ausgestrahlt: Der Beat Club. Das war so revolutionär und provokant, dass der damals 30 jährige spätere Tagesschau-Sprecher Wilhelm Wieben vor der ersten Sendung die ältere Generation vor der lauten Musik warnte und um Verständnis für die Jugend bat. Denn vor dem Beat Club war nichts Vergleichbares zu sehen. 

Jugendkultur fand im miefig-plüschigen deutschen Fernsehen nicht statt. Dem Bremer Discjockey und Beat-Experten Gerd Augustin gelang es, den Unterhaltungs-Redakteur Michael „Mike" Leckebusch von Radio Bremen davon zu überzeugen, dass eine Musiksendung für Jugendliche ein kommerzielles Potential hat. Leckebusch - eigentlich Jazzfan - eignete sich unter der Regie von Augustin innerhalb kurzer Zeit umfassende Kenntnisse über Pop-Musik an. 

Die Beiden konzipierten eine Sendung, die ein Nischen-Programm für Jugendliche darstellte und deren Nerv und Begehrlichkeiten traf. Die Rebellion fand jetzt auch im TV statt. Es bildete sich eine Jugendkultur rund um dieses Format herum heraus. Immerhin erreichten die Sendungen bis zu 75 % der Zielgruppe der 14 bis 20 Jährigen.
Bei manchen Fernsehzuschauern trafen die Darbietungen auf blankes Entsetzen, was ein Leserbrief der Programmzeitschrift HÖR ZU nach einem Jimi Hendrix-Auftritt zeigt: „Ist dieses langmähnige Etwas mit der Banane aus dem Urwald gelockt worden? Man sollte den Beat Club nicht mit dem Zoo verwechseln". 
Jimi Hendrix Experience
Zunächst war der Name der Sendung auch Programm: Nationale und internationale Beat-Bands traten live vor Publikum im Radio-Bremen-Studio auf. Später ließ man das Live-Publikum weg. Und ab 1967 dienten GoGo-Girls als zusätzlicher Blickfang.
Mike Leckebusch unterlegte die Auftritte mit abenteuerlichen visuellen Effekten, so dass einem manchmal alleine dadurch schwindelig wurde. Von der berauschenden Wirkung der besonders ab ca. 1970 zunehmend ausschweifenden Musik mal ganz abgesehen. 

Zwischendurch wurden Spots von Künstlern, die man nicht ins Studio locken konnte (z.B. Beatles oder Stones), eingespielt. Zu Beginn waren die meistens Sonnabend Nachmittag ausgestrahlten Sendungen 30 bis 45 Minuten lang, ab September 1968 war die Sendezeit jeweils eine Stunde. Der musikalische Rahmen wurde ständig ausgeweitet. Die Sendung lief keinen Trends hinterher, sie schuf welche, indem aktuelle Strömungen und junge Talente zeitnah vorgestellt wurden. Aus heutiger Sicht war vieles von Rang und Namen vertreten, so dass die Reihe einen guten Überblick über die anspruchsvolle, interessante Musikszene bot und auch etliche Geheimtipps berücksichtigte. 

Anschauungs- und Lernobjekt war dabei anfangs der Piratensender Radio Caroline, bei dem sich die Macher weiterbildeten. Insgesamt wurden von 1965 bis 1972 83 Sendungen produziert, erst ab Sendung 51 vom Januar 1970 waren sie farbig. Die neckischen GoGo-Tänzerinnen wurden übrigens ab Sendung 55 vom Mai 1970 wieder abgeschafft.
 
Ich entdeckte den Beat Club etwa 1967. Damals spaltete sich meine Schulklasse quasi in 2 Lager: Da waren die Musik-Interessierten (meistens Jungs), für die der Beat Club das Optimum der Präsentation von fortschrittlicher Musik war. Also diejenigen, die sich für Durchblicker hielten. Und dann waren da noch die nebenbei Radio-hörenden, Mainstream-orientierten Hörer (meistens Mädchen), für die der Beat Club der Hort des Unerträglichen, Abseitigen und Verrückten darstellte. Das waren in den Augen der ersten Gruppe die Spießer, die ihren Eltern nacheiferten und die sowieso keine Ahnung hatten. 

Um bei der ersten Gruppe anerkannt zu sein, musste man natürlich alle Folgen des Beat Club gesehen haben und - wenn möglich - zusätzliche Informationen zu den Gruppen und Künstlern aus dem Radio oder aus den wenigen verfügbaren Musikzeitschriften beitragen können. Am meisten wurden jedoch diejenigen bewundert, die schon eine LP von angesagten Musikern ihr Eigen nennen durften. Das war aber nicht mal eine Hand voll Leute. Kein Wunder bei einem Preis von ca. 20 DM pro LP, wenn das durchschnittliche Taschengeld etwa 5 DM pro Woche betrug. 

Jeder, der den Beat Club verfolgte, hat so seine fest eingebrannten Eindrücke. Bei mir ist das der Auftritt von Captain Beefhearts Magic Band von 1972. Die schrillen Bandmitglieder mit den merkwürdigen Künstlernamen wie Zoot Horn Rollo oder Winged Eel Fingerling spielten den Psycho-Boogie „I`m Gonna Booglerize You, Baby" und der Captain steuerte seinen unnachahmlichen knurrig-grummeligen, Blues-betonten Gesang bei. Musik wie von einem anderen Planeten.
Dann erinnere ich mich noch an die Rolling Stones, die verschwitzt und völlig zugedröhnt ein anarchisches „Jumping Jack Flash" aufgeführt haben. Sehr irritierend.
In einer der letzten Sendungen war Manassas zu Gast. Die Supergroup um Stephen Stille bot Spielfreude pur und übertrug die Magie ihres Debutalbums auf die Bildschirme. Die gesamte Show wurde später noch mal als Musikladen-Special ausgestrahlt. Ist für mich bis heute ein Highlight geblieben.
 
Eine Ikone des Beat Club war jedoch die Moderatorin Uschi Nerke, die den Job damals parallel zum Architekturstudium absolvierte. Sie war die einzige, die vom ersten bis zum letzten Beat Club dabei war und später auch die Nachfolgesendung „Musikladen" präsentierte. Uschi Nerke war eine Augenweide. Die Traumfreundin (mindestens) aller Pubertierenden. Sie wirkte etwas scheu, war aber sehr sexy mit ihrem ultrakurzen Minirock. Ihr Gesicht erfüllte mit ihrem tiefem Ponny und den großen Kulleraugen alle Anforderungen an das Kindchenschema. Man musste sie einfach mögen. Und sie hörte und kannte die angesagte Musik, was nicht selbstverständlich war. Außerdem strahlte sie eine Herzlichkeit und Unbekümmertheit aus, die sie von den kaltschnäuzigen, geleckten, glatten Ansagern anderer Fernsehsendungen positiv abhob. Sie war eben eine von uns.
Uschi Nerke: „Verdammte Scheiße - mir fällt der Titel nicht ein!“
Seit 2001 moderierte sie im Hörfunk auf Radio Bremen 1 wieder jeden Samstag von 13 bis 15 Uhr den Beat Club. Und was soll ich sagen: viele Dinge ändern sich, sind im Fluss, passen sich an. Uschi Nerke ist dieselbe geblieben. Wer sie damals erlebt hat, erkennt sie sofort wieder. Die Stimme, die charmant unprofessionelle Präsentation, die warme Ausstrahlung und die Begeisterung für die Musik - alles ist noch wie früher. Unkonventionell sind auch ihre Musikzusammenstellungen und die Moderationen in der Radiosendung. Da reiht sie munter Abba an Jimi Hendrix und plaudert drauflos, wie ihr der Schnabel gewachsen ist.
 
Ich hatte 2009 Gelegenheit, Uschi Nerke einige spezielle Fragen zum Beat Club zu stellen, die ich so bisher in keiner Publikation zum Thema beantwortet fand:
 
Waren die Proteste der älteren Generation zum Anfang des Beat Clubs so scharf dass eine Weiterführung der Sendung gefährdet  war? 
Uschi Nerke: Nein, es war nie die Gefahr, dass die Sendung gekippt wurde - aber Kritik gab es natürlich und - wie sagt man so schön - jede Kritik ist wichtig. Allerdings gab es von den Älteren nicht nur negative Briefe, sondern auch umwerfend positive. Da schrieb z.B. ein alter Herr von 90 Jahren sinngemäß: Ich bin von Eurer Sendung begeistert. Allerdings hab ich's jetzt nicht nur im Rücken, sondern auch noch in den Knien! 

Wie wurde die Musikauswahl für den Beat Club getroffen ? Gab es da ein Team. welches Vorschläge unterbreitete und war das "Chefsache" von Herrn Leckebusch ?  
Uschi Nerke: Das Team, das die Musik aussuchte, bestand eigentlich nur aus Mike und mir. Und ich war dabei, weil ich in diese Art der Musik erst mal "eingeführt" werden musste. Das sah dann also so aus, dass ich dann zur rechten Zeit bei Mike aufschlug, wir uns beide vor dem Plattenspieler niederließen und dann zusammen entschieden, wen wir gut fanden. Dazu muss ich noch sagen, dass Mike innerhalb kürzester Zeit von den Plattenfirmen bemustert wurde, daher alle aktuellen Titel zur Auswahl hatte und wir aus dem Vollen schöpfen konnten. Die Plattenfirmen hatten sehr schnell erkannt, welches Potential vom Beat Club ausging. 

Wie liefen im Allgemeinen die Auftritte der Künstler ab,  als es im Studio kein Publikum mehr gab? Kamen die Musiker ins Studio, spielten ein oder zwei Titel und  verschwanden wieder oder wurde immer mehr eingespielt, als gesendet wurde?  
Uschi Nerke: Das Tolle beim Beat Club war, dass sich alle Bands hervorragend fühlten, da sie bei uns im Studio endlich mal wirklich das machen konnten, was sie wirklich wollten. Sprich: Mike sagte zu diesen Jungs aus der Regie: Bitte, stellt Euch so auf, wie Ihr wollt - macht das, was Ihr wollt - und achtet bitte nicht auf die Kameras. Ihr seid hier die Stars - und wir richten uns nach Euch. Also alles bitte ganz locker. Mike hat - soviel ich noch weiß - immer alles aufgenommen, was die Bands spielen wollten. 

Welche Künstler haben Sie aufgrund ihrer Ausstrahlung besonders beeindruckt?  
Uschi Nerke: Ganz besonders haben mich damals Chicago - die ja da noch Chicago Transit Authority hießen - beeindruckt. Die Jungs kamen in ein ziemlich leeres Studio (na gut, wir Fans vom Team etc. waren natürlich dabei) - und das erste, was sie fragten, war doch wirklich; Ok, was wollt Ihr, was wir jetzt machen - in welche Kamera sollen wir wann schauen und was wollt Ihr sonst noch? Tja - und dann kam die Ansage von Mike (und dafür hab ich ihn geliebt!): Also, passt mal auf, Jungs. Ihr seid nicht für uns da, - wir sind für Euch da. Also bitte macht, was Ihr wollt. Also stellten sich die Jungs im Kreis auf und ab ging die Post mit "I'm a man". Die mindestens 4 Kameras schnurrten ringsum und es war eine tolle Aufnahme. Der eine Kameramann - ein bis dahin eingefleischter Jazz-Fan - vergaß vor lauter Begeisterung sogar, wozu er da war: Er nahm sich die Kopfhörer ab (so konnte er auch keine Anweisungen von Mike mehr hören), dafür aber umso besser die Band - tja und dann stand er auch nicht mehr hinter, sondern neben der Kamera. Seitdem war er musikalisch bekehrt. 

Der Beat Club war bekannt und beliebt für seine Innovationen und Kompetenz. Warum  wurden für die letzte Sendung ausgerechnet die Osmonds verpflichtet, die damals der Prototyp einer belanglosen Teenie-Band war (heute würde man Boy-Group sagen)?  
Uschi Nerke: Gute Frage - aber wenn man selbst nicht die Entwicklung mitbekommen hat, erscheint das ein wenig quer. Fakt war: Am Ende des Beat Club (1970 bis 72) kamen immer mehr psychedelische Songs auf den Markt. Und es gab auch jedesmal mehr Diskussionen in der Regie zwischen uns Beteiligten. Ich konnte damit nicht wirklich viel anfangen - aber da hatte Mike die Auswahl fest in der Hand. Das Ende des Beat Club war kein Zufall, sondern einfach eine normale Gegebenheit - sprich Entwicklung - die auf dem Musikmarkt vor sich ging. Die Osmonds waren eigentlich nur die Überleitung zum Musikladen - und damit eine ganz logische Sache. 

Verfolgen Sie auch die Musikszene der nach-Beat-Club-Ära? Wer hat Ihnen seitdem besonders gefallen? Wer ist aktuell ihr Favorit? 
Uschi Nerke: Tja, wozu hat man einen Sohn!!! Durch ihn wurde ich das erste Mal auf Metallica hingeschubst und dann auf Nirvana. Wir beide saßen da auf dem Fußboden in seinem Zimmer und sahen MTV. Fakt ist: Seine Mutter ist mittlerweile (zur Zeit des Interviews) satte 65 - aber immer noch 'ne Rockerbraut! Und zu Nirvana: Ich hatte mit viel Mühe für meinem Sohn samt Freund eine Backstage-Karte für das Konzert in Hamburg ergattert. Und was macht dieser Typ von Curt Cobain - er erschießt sich eine Woche vor diesem Konzert. Noch mehr Fragen? Ansonsten hör ich mir die neuen Sachen zwar an - komm aber nicht wirklich ins Jubeln. 

Sie spielten in dem Film "Deichking" eine  Hauptrolle. Um was geht es in dem Streifen  und wie sind Sie zu der Rolle gekommen?  
Uschi Nerke: Deichking ist für mich eine Wonne-Erfahrung gewesen: 1. Ich hatte fantastische Mitspieler, 2. Mein Filmsohn John Barron ist ein Traumtyp - vielleicht kann ich ihn mal adoptieren...., 3. Ich spiele im Film die Mutter Elfriede, die mit ihrem Mann Paul (Klaus Büchner von Torfrock) einen Bauernhof bewirtschaftet. Da aber nun die Ernte ansteht und jede Hand gebraucht wird, kommt der Musik-Fimmel von unserem Sohn Fiete überhaupt nicht gut. Fiete denkt nämlich wirklich, er wäre Elvis. Wir hatten unglaublich viel Spaß bei den Aufnahmen. Ach ja: Wie ich die Rolle bekommen habe? Ich wurde angerufen und gefragt, ob ich dazu Lust hätte. Wie übrigens in meinem ganzen Leben. Ich bin noch nie einem Job hinterher gerannt - ich wurde wirklich immer angerufen und gefragt. Angefangen mit dem Beat-Club 1965! Toll, was? Und darauf bin ich wirklich stolz. 

Was wollten Sie schon immer mal in einem Interview gefragt werden? 
Uschi Nerke: Bin schwer am Überlegen - aber ich befürchte, dass schon alles gefragt wurde. Sorry!


Der BEAT CLUB läuft übrigens immer noch am Samstag von 13 bis 15 Uhr auf Radio Bremen Eins. Am 12. Januar 2013 wurde Uschi Nerke allerdings ausgebootet. Manchmal sollten Traditionen nie gebrochen werden. Die Kollegen machen zwar einen guten Job, aber Frau Nerke ist nicht zu ersetzen.




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