Lost & Found-Portrait: Kate Wolf, David Ackles & Fred Neil - Gone But Not Forgotten.

Von links nach rechts: Kate Wolf, David Ackles, Fred Neil. 
Häufig erfahren Musiker nach ihrem Tode einen ungeheuren Popularitätsschub, werden zu Legenden (v)erklärt oder sie erlangen zumindest Kultstatus. Diese Kolumne ist drei außergewöhnlichen Musikern gewidmet, die viel zu früh an Krebs gestorben sind. Sie haben auf ihre spezielle Art einzigartige, qualitativ hochwertige Musik geschaffen und waren stets bestrebt, Glaubwürdigkeit, Kreativität und Innovation miteinander zu verbinden. 

Kate Wolf & The Wildwood Flower. 
Von links nach rechts: Rick Byars, Blair Hardman, Kate Wolf, Paul Ellis, Don Coffin, Eddie B. Barlow

Als Kate Wolf 1976 ihre erste durch Spenden finanzierte CD herausbrachte, war diese akustische, emotional anregende Musik nicht gefragt. Punk und New Wave eroberten grade die Hitparaden und College-Radios. Manche Musik passt eben nur zu bestimmten Stimmungen oder Tageszeiten. Andere erobert den Hörer und hält ihn in Bann, egal wann sie gehört wird. So passiert es mir immer mit Kate Wolf. Ihre Songs verströmen eine natürliche, unverfälschte, ungekünstelte Klarheit, der man sich nur schwer entziehen kann. Sie basieren auf Country-Folk-Wurzeln, sind tendenziell eher dunkel, melancholisch und tiefsinnig. Kate ist eine feine Geschichten-Erzählerin. Ihre Texte spiegeln das kalifornische Landleben und unumstößliche Lebenswahrheiten wider. Stellen Sie sich einen weiblichen Townes van Zandt vor, dann haben Sie in etwa eine Ahnung, was Sie musikalisch erwartet. 

Kate Wolf wurde am 27. Januar 1942 als Kathryn Louise Allen in San Francisco geboren. Schon mit vier Jahren erhielt sie Klavierunterricht von ihrer Großmutter. Sie spielte Piano, bis sie 16 war, scheute sich aber öffentlich aufzutreten, weil sie zu schüchtern war. Trotzdem beschäftigte sie sich viel mit Musik. Sie wurde natürlich von Bob Dylan und den Beatles beeinflusst, entdeckte aber auch die Carter Family, Merle Haggard und Hank Williams für sich. Mit 21 heiratete sie und bekam 2 Kinder. Mit 27 flammte ihre Liebe zur Musik wieder voll auf. Sie beschloss, Profimusikerin zu werden und spielte zusätzlich Gitarre. Um ihre Songs zu testen und ihre Performance zu verbessern, trat sie zunächst ein- bis zweimal die Woche in einem kleinen Restaurant auf. 

Erst im Jahr 1976, mit 34 Jahren, stellte sie ihre eigene Band The Wildwood Flower zusammen, der unter anderem David West (Gründer der Bluegrass/Country-Folk-Band Cache Valley Drifters) und ihr späterer 2. Ehemann Don Coffin angehörten. Gleichzeitig gründete sie ihr eigenes Label „Owl Records", auf dem dann „Back Roads" erschien. 
Die Platte enthielt acht eigene Songs und vier Fremdkompositionen aus ihrem Musiker- und Freundeskreis. 
Wie man sich denken kann, waren die Aufnahmen aufgrund der jahrelangen Erfahrungen voll ausgereift und offenbarten ihr Ausnahmetalent als Schreiberin, Interpretatorin und Arrangeurin in vollem Umfang. In nur 5 Tagen in einem Wohnzimmer quasi live eingespielt, transportierten sie ein Gefühl der Intimität, wie sie nur total aufeinander eingespielte Musiker vermitteln können. 

1978 war der Nachfolger „Lines on the Paper" fertig. 

Die sich anschließende ausgedehnte Tournee brachte sie bis nach Kanada. Im Jahr 1979 trennte sie sich privat und musikalisch von Don Coffin. Für ihn kam Nina Gerber als Gitarristin und Mandolinenspielerin zu der Gruppe. Sie blieb während der gesamten Karriere von Kate Wolf eine wichtige Konstante, musikalisch und persönlich. 

Das erste Album mit der neuen Besetzung hieß „Safe at Anchor" (1979). 

Anfang der achtziger Jahre spielte Kate vor größerem Publikum. Auch in diesem Rahmen schaffte sie es, ihre sympathische Ausstrahlung direkt auf das Publikum zu übertragen. 

In den folgenden Jahren schuf sie noch folgende Werke: „Close to you" (1981) 
mit dem z.B. von Nanci Griffith gecoverten „Across the great divide"
und dem himmlischen „Unfinished life". Für mich ihre stärkste Platte. 

1983 folgte das Live-Doppelalbum „Give yourself to love". 
Den Titelsong schrieb sie für die Hochzeit eines Freundes und er wurde ihre populärste Arbeit. 

Es folgte im Januar 1986 „Poet's Heart" auf dem gleichen hohen Niveau wie alle ihre Arbeiten zuvor. 
Wie schon der Vorgänger wurde es zum besten Folk-Album des Jahres gekürt. 

Im April 1986 erhielt Kate dann die verheerende Diagnose Leukämie. Sie ging durch die Hölle der Chemotherapie und musste sich im September noch einer Knochenmarkstransplantation unterziehen. Dabei traten Komplikationen auf. Ihr Immunsystem wurde zerstört. 

Im Angesicht des Todes nahm sie noch im Krankenhaus ihren letzten unter die Haut gehenden Song „The Wind blows wild" für ihr gleichnamiges Album auf , das 1988 veröffentlicht wurde:

und stellte eine Retrospektive über ihre 10jährige Karriere mit dem Titel „Gold in California" zusammen. 

Im Alter von nur 44 Jahren starb sie im Dezember 1986. Nach ihrem Tode wurden noch einige Live- und Archivaufnahmen herausgebracht, die die Bedeutung dieser Poetin und Musikerin untermauerten. lnsgesamt schrieb sie über 200 Songs. 

Seit 1996 findet alljährlich ihr zu Ehren in Sebastopol (Kalifornien) das „Kate Wolf Memorial Folk-Festival" mit hochkarätiger Besetzung (z.B. Greg Brown, Chris Smither, Jackson Brown, Peter Rowan, Steve Earle) statt. Auf CD wurde z.B. das 1996er-Konzert dokumentiert. Außerdem gibt es noch einen interessanten Tribute-Sampler auf CD: „Treasures left behind" (1998). 
Hier interpretieren Musiker wie Greg Brown, Dave Alvin, Lucinda Williams und Emmylou Harris die Songs von Kate Wolf. 

Umso häufiger man die Lieder von Kate Wolf hört, umso unverzichtbarer erscheinen sie einem. Sie versprühen Herzenswärme und Ehrlichkeit und sind handwerklich auf höchstem Level. Ihren Einfluss hört man deutlich in den Liedern von z.B. Nanci Griffith (die Harmonieverliebtheit), Mary Chapin Carpenter (die starke Performance) und Freakwater (die Traditionsnähe). Kate Wolf schuf eine Vorlage zu dem, was man später „Americana" nannte. 


David Ackles (Jahrgang 1937, aufgewachsen in Rock Island, Illinois) entstammte einer Künstler-Familie. Der Großvater war ein Comedian und die Großmutter war Leiterin einer Frauen-Swing-Kapelle. Er selber war quasi ein Kinder-Film-Star. Mitte der 40er-Jahre spielte er in der Serie „Rusty the Dog" mit. Später studierte er Literaturwissenschaft und Dramaturgie mit den Schwerpunkten Theater, Ballett und Choreographie. 

Ende der sechziger Jahre wurde er dann als Songschreiber bei Elektra-Records angestellt, als er dort seinen Song „Blue Ribbons" vorstellte. Dieser befindet sich auch auf seinem Debütalbum von 1968 („David Ackles"). 
Bekannter daraus ist der Song „Road to Kairo", 
den Brian Auger und Julie Driscoll in ihrer Version in England in die Charts brachten. 
Auch eines seiner schönsten Lieder, das zu Tränen rührende „Down River" ist enthalten. Er schildert die Situation, dass er das Mädchen Rosie, welches 3 Jahre im Gefängnis war, wieder trifft. In der verstrichenen Zeit sind Fremde aus ihnen geworden. Den Grund der Straftat und die Art der ehemaligen Beziehung lässt er offen. 
Typisch für seinen Schreibstil: Dem Hörer bleibt Raum für Interpretationen, er liefert keine vorgefertigten Wahrheiten. Die Musik von Ackles basiert zumeist auf Pianoklängen. Seine eindringliche, voluminöse Stimme moduliert Stimmungen, spielt mit Klangfarben und wirkt hochkonzentriert. Die Stimmlage erinnert an den balladesken Neil Diamond. Er mixt mit leichter Hand auf den ersten Blick für unmöglich gehaltene Elemente aus Entertainment (a la Sinatra), Chanson, Musiktheater (Brecht/Weill), progressivem Pop und Folk-Rock zu einer wohlklingenden Verbindung zusammen, als wäre dies das Selbstverständlichste auf der Welt. Er fordert den Zuhörer dabei, bricht Hörgewohnheiten auf, überfordert ihn aber nicht mit kopflastigen Experimenten. 

Bei den nächsten beiden Alben, („Subway to the Country" (1970) 

und „American Gothic" (1972) 
verfeinerte David seinen Stil und baute ihn noch aus. Gezielte leichte textliche und musikalische Provokationen gaben den Alben noch mehr inhaltliches Format. Sie erscheinen wie geschlossene Gesamtkunstwerke mit symphonischem und dramatischem Einschub. Er benutzte seine Arrangements als Möglichkeit, dem klassischen Songwriting neue Dimensionen zu eröffnen. Es treten Assoziationen zu Scott Walker, Mickey Newbury, Tim Hardin und Randy Newman auf. 

1973 nahm David Ackles ein Album für Columbia-Records auf: „Five and Dime". 

Aber es gab Ärger mit der Promotion. Man wollte ihn als neuen Leonard Cohen vermarkten. Dies frustrierte ihn so sehr, dass er sich daraufhin als Solo-Künstler zurückzog und nur noch für Film und Theater arbeitete. Außerdem schrieb er nebenbei ein Musical („Sister Aimee"), welches 1995 in Los Angeles uraufgeführt wurde. 

Am 2. Marz 1999 starb David Ackles an Lungenkrebs. Es soll noch etliche fertige Songs geben. Von seiner Familie werden immer wieder Veröffentlichungen angekündigt. Bis zum heutigen Tage ist es aber noch nicht dazu gekommen. 


Fred Neil (geb. 01.01.1936 in St. Petersburg, Florida) avancierte Ende der 60er Jahre zum Insider-Liebling der aufblasenden West-Coast-Rock-Bewegung. Jefferson Airplane spielten sein „Other side of this life" und widmeten ihm die Songs „Ballad of you and me and Pooneil" und "House at Pooneil Corner". Die Band HP Lovecraft coverte "That's the bag I'm in" sowie "Country Boy" und Tim Buckley liebte und übernahm "The Dolphins". Stephen Stills pries das virtuose Gitarrenspiel und holte ihn später ins Vorprogramm von Crosby, Stills, Nash and Young. Die größte Anerkennung erntete er, als sein „Everybody's talkin' " in der Version von Harry Nilsson im Film „Midnight Cowboy" (mit Dustin Hoffman) verwendet und ein Top-Ten-Hit wurde. 

Fred Neil war schon seit 1957 als traditioneller Folksänger aktiv und gehörte in den frühen sechziger Jahren neben z.B. Bob Dylan und Phil Ochs zur Greenwich Village Folk-Szene von New York. Hier reifte er schnell zu einem stilsprengenden Musiker heran. Seine von Blues und Country durchzogenen Folk-Songs reicherte er ab 1966 noch durch Jam-Session-Elemente an. Seine Arbeiten dürften auch den jungen Tim Buckley nachhaltig geprägt haben. Die ersten Buckley-Alben hören sich jedenfalls wie Fortsetzungen des Fred-Neil-Outputs an. 

Die wegweisenden Alben von Fred Neil sind neben dem Duo-Projekt mit Vince Martin ("Tear Down The Walls", 1964) 

die Solo-Werke „Bleecker & MacDougal" von 1965 

und „Fred Neil" von 1967. 

„Bleecker & MacDougal" ist ein überwiegend akustisches, schlagzeugloses Lehrstück darüber, wie Folk und Blues miteinander fusioniert werden können. Unter anderem gibt hier John Sebastian (Gründer von Lovin' Spoonful) sein Debüt als Harmonikaspieler und Felix Pappalardi (Produzent von Cream und Gründer von Mountain) spielt Bass. Dominiert werden die Aufnahmen aber von der schillernden Persönlichkeit und der erhabenen Stimme von Fred Neil. Die Folk/Bluessängerin Odetta hat einmal gesagt, dass seine Schwingungen von keinem Mikrofon richtig eingefangen werden konnten. 

Am besten werden sie noch auf „Fred Neil" dokumentiert. Enthalten ist hier auch die Urfassung von „Everybody's talkin'". 
Der Song ist quasi als Verlegenheitslösung entstanden. Das Album war noch nicht vollständig und Fred hatte schon Fragmente des Liedes im Kopf. Da er aber die Arbeit im Studio nicht sonderlich mochte und deshalb schnell nach Hause wollte, vervollständigte er die Reste schnell zwischendurch auf dem Klo. In der erstklassig besetzten Begleitband fällt u. a. Al „Blind Owl" Wilson (von Canned Heat) an der Harmonika positiv auf. Neben wundervollen, jetzt mehr elektrisch ausgelegten, leicht psychedelischen Songs, enthielt die Scheibe auch die ersten Improvisationen, die dann seine nächste Platte „Sessions" (1968) prägten. 

Der wachsende Erfolg wurde von Fred Neil nicht verkraftet. Er wurde heroinsüchtig und veröffentlichte 1971 sein letztes Album. Danach zog er sich nach Florida zurück, wo er das Leben der Delphine studierte und eine Initiative zum Schutz dieser Tiere startete. Er starb am  07. Juli 2001 zuhause an Krebs. 



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