Skandinavien Special: William The Contractor, Them Bird Things und Murder.

Skandinavien ist seit Jahren als Quelle hervorragender Namen wie MADRUGADA, MOTORPSYCHO, MIDNIGHT CHOIR (Norwegen), SOPHIE ZELMANI, JOSE GONZALES / JUNIP, NICOLAI DUNGER. CHRISTIAN KJELLVANDER (Schweden), JIMI TENOR (Finnland), LAMPSHADE, FUNKY NASHVILLE (Dänemark) lassen Kenner aufhorchen. Hier weitere Namen, die größere Beachtung verdient hätten: 

WILLIAM THE CONTRACTOR kommt aus Schweden und heißt eigentlich Markus Bergqvist. Er ist quasi ein Alleinunterhalter, das heißt, er spielt und singt fast alles selber. Es helfen nur ein paar Freunde an Blasinstrumenten und Backing-Vocals aus. Markus kam durch ein makaber-trauriges Ereignis dazu, in sein Alter Ego WILLIAM THE CONTRACTOR zu schlüpfen: Sein Vater war plötzlich an einem Herzinfarkt gestorben und er sang auf Bitte seiner Mutter auf der Beerdigung. Durch dieses Erweckungserlebnis fühlte er sich fortan zum Songwriter berufen. 
TALL STORIES entstand 2011 aber eher zufällig. Sein Bandkollege und Label-Inhaber von Crying Bob-Records, Daniel Johansson, überredete ihn zu den Aufnahmen. Nebenher ist Markus Bergqvist nämlich noch Gitarrist bei den STOMPIN SOULS und Schlagzeuger der Band FRISKA VILJOR. WILLIAM THE CONTRACTOR findet Inspirationen in alltäglichen Erlebnissen, wie bei seinem Job als Möbellieferant oder beim Betrachten der Junkies in der U-Bahn. Und so pendeln seine Lieder zwischen Melancholie und Euphorie, als wären sie von einem manisch-depressiven, Musik-verrückten Menschen erdacht worden. Er vermittelt die wechselnden Stimmungen von verspielt bis ernsthaft sogar innerhalb eines Songs. Besonders beeindruckend ist das bei HANNA HANGED HIM HIGH gelungen.
In DAYDREAMS erinnert sein Timbre an MARC BOLAN von T. REX. Diese Nähe verliert sich aber im Laufe des Albums. Die Songs lassen auf eine umfangreiche Singer-Songwriter CD-Sammlung als Basis schließen, vermitteln aber vor allem Selbstbewusstsein und eine eigene Note. Für Markus war das Album auch Therapie. Eine Möglichkeit, nach dem Tod seines Vaters wieder ins normale Leben zu finden. Hoffen wir, dass ihm das gelungen ist. Großartig gelungen ist sein musikalischer Alleingang auf jeden Fall schon mal.

Bei THEM BIRD THINGS handelt es sich um ein 5-köpfiges Ensemble um die finnische Sängerin Salla Day, welches durch die amerikanischen Songwriter Steve Blodgett & Mike Brassard sowie den Produzenten Will Shade komplettiert wird. Salla Day, die optisch und akustisch an STEVIE NICKS von FLEETWOOD MAC denken lässt, traf Blodgett & Brassard 2007 in einem New Yorker Studio. 2009 erschien unter dem Namen FLY, THEM BIRD THINGS, FLY! das Ergebnis ihrer ersten Zusammenarbeit. 
Die finnische Sängerin sieht sich in der Tradition US-amerikanischer Country-Sängerinnen. Sie hat viel Bluegrass und Appalachen-Folk gehört, wobei dieser Einfluss auf WILDLIKE WONDER aus 2010 zweitrangig geblieben ist
und nur das Klangbild des Tracks GEORGIA MOUNTAIN bestimmt hat. Stilistisch ist die Platte nicht eindeutig zuzuordnen, was einen Teil ihres Reizes ausmacht. Wenn man meint, eine Schublade gefunden zu haben, bringen neue Wendungen das Weltbild wieder durcheinander. Am Anfang wird es mit NORTHERN CURVE durch eine spacige Lap-Steel-Guitar sphärisch. 
Bei RAISED IN BANGOR und SILVER OLDSMOBILE befindet man sich schwungvoll in der Country-Hochburg Nashville. 
Die Balladen MARIE, WHITE LIPSTICK und NO LOVE TO GIVE YOU lassen den Rezensenten an RUMOURS von FLEETWOOD MAC denken. Immer wieder schimmern die gemäßigten akustischen LED ZEPPELIN als Referenz durch (MARIONETTE, 
BIRMINGHAM, EAST COLORADO PLAIN). Bei UNDERGROUND 
und ONCE I FOUND A SNAKE zeigt die Band, dass sie auch eine Chart-taugliche Seite hat. 
Die finnischen Musiker beherrschen alle Spielarten perfekt und wirken total aufeinander abgestimmt WILDLIKE WONDER ist überwiegend leicht und angenehm zu konsumieren, klingt aber nicht seicht oder belanglos. 

Das dänische Duo Jacob Belief's (Lead-Gesang, Tasteninstrumente, akustische Gitarre) und Anders Mathiasen (Gesang, Gitarren), das sich den gewöhnungsbedürftigen Namen MURDER gegeben hat, ist um einen eigenständigen, differenzierten, subtil aufgebauten Sound bemüht. Sie werden auf GOSPEL OF MAN (2011) von zahlreichen anderen Musikern an Blas- und Streichinstrumenten begleitet, ohne dass das Klangbild überladen wird. 
Die Kompositionen haben innere Schwere, sind aber klanglich luftig gestaltet. Meistens spielt sich das Temperament in Moll ab. Die Musik besitzt Wurzeln in klassischer Musik, Folklore und bei Songwritern wie NICK DRAKE und JOHNNY CASH. MURDER verpacken ihre leicht morbiden, romantischen Neo-Folk-Songs in unterschiedliche Gewänder: PROVIDENCE enthält Elemente uralter Volkslieder. Bei DRAWN IN THE DIRT reizen die Gegensätze zwischen schrammelnden Gitarren und hin getropftem Piano. 
MILK AND HONEY hat ein geheimnisvolles Intro und punktet mit exaktem Duett-Gesang. 
Bei PICKER OF COTTON schwingt dann Rokoko-Atmosphäre mit. 
AQUEDUCT erinnert mich an den Songwriter PAUL ROLAND, der barocke englische Folklore mit Alternative-Folk verband. Das Lied hat auch was von der schwebenden Leichtigkeit der Kompositionen des französischen Duos AIR. 
Wenn man das eigentlich einfach gestrickte EXCELSIOR über Kopfhörer hört, dann fallen akribisch genau eingebaute Sounddetails auf: Teilweise wurde der Gesang diskret gedoppelt, was zu einem eigentümlich geisterhaften Ton führt. Der EMBER SONG lebt von einem immer wiederkehrenden Motiv, welches dem Song einen hypnotisierenden Effekt verleiht. SUBROSA besticht durch seinen unwiderstehlichen, warmen Satzgesang. 
Zwischen Gregorianik und weihnachtlicher Besinnlichkeit pendelt NO ROOM FOR MISTAKES, das dadurch wie eine Karikatur wirkt. 
Bewegend und beschwörend kriecht SUPERVALU in die Gehörgänge. Unmöglich, sich dem Sog zu entziehen. Den gloriosen Abschluss bildet das erhabene, wie in Zeitlupe ablaufende HELP THE DEAD. Schon das Vorgängeralbum STOCKHOLM SYNDROM aus 2008 konnte durch zeitlose Kompositionen mit Langzeitwirkung überzeugen. GOSPEL OF MAN bestätigt den Status dieser ungewöhnlichen, ausdrucksstarken Band. 

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