Nils Frahm - Tripping With Nils Frahm (CD/LP-VÖ: 29. Januar 2021)

 
"Tripping..." zeigt Nils Frahm auf der Bühne des Funkhaus Berlin, die er 2019 viermal erklomm. Dieses Ereignis war der Abschluss einer Tournee mit über 180 Shows, die hauptsächlich das damals aktuelle Album "All Melody" vorstellte. Der Filmemacher Benoit Toulemonde hielt die Auftritte in bewegten Bildern fest und der entstandene Konzertfilm - für den unter anderem auch Brad Pitt als Geldgeber gelistet wird - ist seit dem 3. Dezember 2020 auf der Streaming-Plattform MUBI zu sehen. 
Die Audio-Version mit der Essenz aus den Funkhaus-Auftritten gab es zeitgleich in digitaler Form und ab dem 29. Januar 2021 sind die Stücke auch als CD und LP zu bekommen. Die CD beginnt mit "Enters" und man hört erst einmal 20 Sekunden lang gar nichts. Und das bei einer Live-Aufnahme vor Publikum. Das zeigt, wie gespannt und konzentriert die Besucher auf das Konzert reagiert haben. Behutsam angeblasene, sich in der Lautstärke steigernde, beruhigend rauschende Harmonium-Töne erzeugen zur Einstimmung eine sakrale, andächtige Atmosphäre.
Auch "Sunson" wird vorsichtig entwickelt und aufgebaut. Vom Piano angetriebene, wallende Tonschwaden sorgen für die Bildung einer weitläufigen Klang-Landschaft, bevor rhythmische Bass-Tropfen und exotisch-künstliche, Urwald-ähnliche Geräusche die Situation beleben. Das Mellotron sorgt begleitend für eine phantasievolle, gleitende, besänftigende Untermalung.
"Fundamental Values" ist auf "All Melody" knapp unter vier Minuten lang, hier hat das Stück eine Laufzeit von über 14 Minuten erhalten. Der hypnotisch-kultivierte Charakter der Komposition wird in der Verlängerung stärker betont und effektvoll herausgearbeitet. Frahm steht alleine auf der Bühne mit all seinen Sequenzern, Modulatoren, Synthesizern und anderen Tasteninstrumenten. Und es klingt wie eine große Besetzung, ist aber eine One-Man-Show. 
Die Piano-Balladen "My Friend The Forest" und "The Dane" (von "All Encores") nehmen sich gefühlt alle Zeit der Welt, um den Hörer in eine friedvoll-melancholische Stimmung zu versetzen. Die Tracks "All Melody" und "#2" trumpfen dagegen rhythmisch aktiv auf, lassen die Noten hüpfen und bewegen sich tänzelnd.
"Ode - Our Own Roof" stammt ursprünglich aus dem Soundtrack des Films "Victoria" und stellt zum Ende der Veranstaltung Sanftmut und Romantik in den Vordergrund.

Das Bedürfnis nach kunstvollen, schwelgerisch-schwebenden Klängen, die das Kopfkino aktivieren, wurde in den 1970er Jahren im erweiterten Pop-Bereich von solchen Künstlern wie Klaus Schulze, Keith Jarrett, Bo Hansson, Mike Oldfield oder Tangerine Dream befriedigt. Heute übernehmen z. B. Max Richter oder Nils Frahm diese Aufgabe und erobern sich damit ein Publikum, das sowohl romantische Klassik, wie auch modernen Jazz, intelligente Ambient-Klänge und gediegene Chill-Out-Sounds zu schätzen weiß. 

Der Titel "Tripping With Nils Frahm" ist gut gewählt, denn die Musik des anerkannten Pianisten, Produzenten und Komponisten kann im positiven Sinn ganz ohne Drogen bewusstseinserweiternd sein, wenn man sie völlig auf sich einwirken lässt. Muss aber trotzdem noch ein Live-Album mit vielen bekannten Stücken her? Nun ja, der Mehrwert ergibt sich aus der veränderten Zusammensetzung und der gelegentlichen Streckung der Tracks. Der ab und zu eingeblendete Applaus stört da eher die Konzentration. Für Fans ist das Werk wahrscheinlich trotzdem unverzichtbar. Wer den Künstler jedoch neu für sich entdecken möchte, sollte eher mit "All Melody" beginnen und "Tripping..." bei Gefallen als Ergänzung anschaffen. Denn was lässt sich schon gegen einen weiteren funktionierenden akustischen Trip einwenden?

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