Dota - Wir rufen dich, Galaktika

"Dota Kehr schreibt die Lieder, singt und spielt Gitarre, Jan Rohrbach spielt E-Gitarre, Janis Görlich ist am Schlagzeug, 2017 ist Patrick Reising dazu gekommen und spielt Keyboards und Synthesizer und seit 2020 ist Alex Binder am Bass mit dabei." Das ist auf der Homepage von Dota zu lesen, die auch als Dota und die Stadtpiraten und als Kleingeldprinzessin bekannt geworden ist.
Die Berliner Band Dota praktiziert deutschsprachige Pop-Musik, die von Kleinkunst, Kulturbotschaft, Kabarett, Kirmes und Kindergeburtstag durchdrungen ist und sowohl nach dem Mikrokosmos des (Zusammen)-Lebens wie auch nach der großen weiten Welt riecht. Die Lieder basieren auf Erkenntnis-Texten voller poetischer Be- und Umschreibungen, bei denen gerne mal um die Ecke gedacht werden darf. Dota Kehr reichert die luftig arrangierten Kompositionen, die sich nicht an gängige Trends anpassen wollen, durch eine heitere Gelassenheit in ihrer Stimme mit sympathischen Schwingungen an. Das verleiht den Liedern einen gewinnenden, kumpelhaften Anstrich.

"Wir rufen dich, Galaktika" ist der Titel der neuesten Platte, die am 28. Mai 2021 erscheint. Er wurde aus einer Szene der Kindersendung "Hallo Spencer" abgeleitet. Auf der Fanseite der Hand-Puppe ist dazu folgendes zu lesen: "Ich rufe dich, Galaktika, vom fernen Stern Andromeda..." - So fängt das Lied an, mit dem die Dorfbewohner die gute Fee herbeirufen, wenn im Runddorf mal wieder irgendein Problem aufgetreten ist, dass sie nicht alleine lösen können! Die beiden folgenden Zeilen des Liedes, die sich unbedingt reimen sollten, beinhalten für gewöhnlich das Problem, zu dessen Beseitigung Gali von Andromeda herbeizitiert wird. Leider rufen die Dorfbewohner die arme Gali oftmals aufgrund irgendwelcher Kleinigkeiten, was unsere Fee verständlicherweise auf die Palme bringt. Aber ihr bleibt nichts anderes übrig, denn sie muss sich an die berühmt-berüchtigten "Andromedanischen Gesetze" halten, die nicht nur für die Dorfbewohner schwer verständlich sind..."

"Wir rufen dich, Galaktika" ist das sechste Werk unter dem Namen Dota und enthält im Gegensatz zu den Gedicht-Vertonungen auf "Kaléko" vom Vorjahr wieder eigene Texte. Die Veröffentlichung kommt als Standardwerk mit 12 Liedern (+ 1 Bonus-Titel) oder als erweiterte Ausgabe mit 11 zusätzlichen Stücken (inklusive eines ungelisteten Bonus-Tracks) auf den Markt. Dann gibt es noch eine limitierte Edition, die die Doppel-CD sowie ein Strandtuch, zwei Postkarten (davon ist eine signiert) und ein Buch mit Texten und Akkorden enthält.

Die Darbietung beginnt mit "Als ob". Dieser ruhig-intime, teils (zweck)optimistisch gestimmte Folk-Pop scheint mit seiner Anmut die Worte zu vergolden und ihnen damit noch mehr Glaubwürdigkeit zu verschaffen. Inhaltlich geht es darum, dass es manchmal ganz angenehm sein kann, gedanklich die Routine des Alltags zu durchbrechen. Es kann gut tun, sich zwecks Erhaltung des Seelenfriedens in eine Scheinwelt zu begeben. Das ist dann wie ein Kurzurlaub aus der Realität. 
"Bademeister*in" ist musikalisch die kleine Schwester von "Die Diebe" aus dem Album "Keine Gefahr" (2016), kommt also unbekümmert, flott und auf charmante Weise eingängig rüber. Dreimal gehört und nicht mehr aus dem Kopf bekommen. Und die Moral von der Geschicht`: Unterschätze Frauen in "Männerberufen" nicht! Das sollte ein Hit in allen Frei- und Hallenbädern werden!
Bei der unsentimentalen Ballade "Besser als nichts" wird wieder einmal deutlich, worin ein besonderer Reiz der Dota-Kompositionen liegt: Die jeweils darzustellende Gefühlslage wird nicht extrem ausgewalzt, vielmehr wird sie ausgewogen und emotional austariert präsentiert. So ist diese Ballade nicht etwa tieftraurig, sondern zeigt trotz großer Wehmut auch ermutigende Tendenzen. Die Band findet einen Sound, der die Geschichte verträumt, aber trotzdem selbstbewusst und zielstrebig untermalt. Andere Lieder offenbaren ähnlich ausgleichende Verfahren: Manche sind witzig, aber nicht albern. Und einige Stücke klingen leicht, ohne dabei leichtgewichtig zu sein. 
Einsichtig formuliert Dota Kehr in "Ich bin leider schuld" ihren Anteil an der Umweltzerstörung und am Klimawandel: Das schädliche Handeln und das begünstigende Denken, welches zu Fehlverhalten und Ignoranz führt, wird als Selbstanklage und Schuldeingeständnis in Szene gesetzt. Die Schlussfolgerungen daraus sind entwaffnend ehrlich und schon beinahe grotesk. Eine herrliche Real-Satire! Ein Pseudo-Reggae mit Folk-Jazz-Einschlag umweht die sorgsam ausgewählten Worte und trägt sie gefühl- und ausdrucksvoll durch die Noten.
Ein fingerschnipsender Takt gibt dem Track "Wir rufen dich, Galaktika" sofort Schwung und erzeugt eine sonnige, kindliche Unbeschwertheit, die auch im weiteren Verlauf des Liedes beibehalten wird. Die Erfüllung des Wunsches, eine lila Fee möge kommen und die drängenden Probleme der Zeit lösen, wird händeringend herbeigesehnt. Aber ohne unser Engagement ist keine Besserung zu erwarten. Galaktika wird uns jedenfalls nicht retten.
Im Kontrast dazu wirkt "Ich halte zu dir" demütig. Die Protagonistin gibt ein Plädoyer dafür ab, dass an einer guten Freundschaft festgehalten werden sollte, selbst nach einem Fehlverhalten. Reue, Vergebung und ein Bekenntnis zum Zusammenhalt können das Vertrauen wieder herstellen. Das Gerüst für die Untermalung des zur Schau gestellten Innenlebens bildet ein swingender Folk-Jazz, dem ein synthetischer Break-Beat und ein paar Space-Sounds als Begleiter an die Seite gestellt werden. Die anfänglichen Riffs auf der akustischen Gitarre lassen übrigens an "Seven Nation Army" von The White Stripes denken.
 
Dota Kehr verfügt über ein abgeschlossenes Medizinstudium. Im Rahmen dieser Ausbildung bekam sie ein Stipendium für einen Auslandsaufenthalt in Brasilien. Dort konnte sie ihre Erfahrung mit Bossa Nova intensivieren. Die Bossa Nova kann sowohl melancholische wie auch ausgelassene Stimmungen erzeugen und beide Möglichkeiten haben auf "Sommer für Sommer" abgefärbt. Deshalb transportiert der Track bei aller Lockerheit auch eine gewisse Melancholie.
"Ich hasse es" handelt davon, dass uns durch einen Algorithmus im Internet vermittelt wird, was wir gut finden sollten. Wenn das denn auch noch stimmt, fühlen wir uns durchsichtig. Entsprechend aufmüpfig und angeschrägt ist dieser kurze, im New Wave-Milieu von Devo beheimatete Electro-Pop ausgefallen.
Eine der größten Herausforderungen im Leben ist es, mit einem anderen Menschen eng verbunden zu bleiben, ohne dass dabei der Respekt leidet. "Funken schlagen" beschreibt diesen Spagat zwischen Hoffen und Glauben oder Begeisterung und Resignation, den es zu bewältigen gilt. Flüchten oder Standhalten, das ist hier die Frage. Als musikalische Begleitung zu diesem Thema wurde ein cool groovender Alternative-Pop gewählt. 
"Fotosynthese" gehört textlich eher zu den amüsanten Ausflügen und musikalisch zu den unkomplizierten Mitsing-Nummern. Bei aller Spaßigkeit schwingt aber trotzdem noch eine Portion Gesellschaftskritik mit.
"Wenn`s am schönsten ist, dann soll man gehen, wenn`s am allerschönsten ist, dann soll man bleiben," lautet die Alltagsweisheit, die als Extrakt den Inhalt von "Bleiben" ausmacht. Dota verwöhnen uns mit allerlei Redewendungen, die zu geflügelten Worten werden können. Hier ist es die Bemerkung: "Es ist so still, man hört in tausend Kilometern Gletscher kalben." Akustische und elektronische Instrumente haben sich hier zu einer harmonischen Einheit zusammen gefunden und üben sich in einer aktuellen Ausprägung von erwachsenem Pop. 
Das ausgeglichen-friedvolle Lied "In allem Gedankenlosen" vermittelt sachlich und lyrisch Selbstbesinnung. Diese gelassene, folkloristische Stimmung wird von sphärischen Geräuschen umwoben, die den Track aus den irdischen Problemzonen in die Weiten des Kosmos entführt. Und wieder gibt uns Dota einen Vers mit auf den Weg, der zum Innehalten anregt: "In allen Gedanken ist ein Haken und in allem Gedankenlosen auch."
Es folgt noch der Bonus-Track "Einfach so verloren", der nochmal den Blick auf schwierige Beziehungs-Situationen legt. Manchmal kommt es vor, dass man sich - ohne es vorzuhaben - aus den Augen verliert. Das Interesse aneinander geht verloren. Einfach so - ohne Absicht. Der Soundtrack zu dieser Misere schaukelt locker-sanft dahin, klagt nicht an, sondern stellt nur fest, dass etwas nicht richtig gelaufen ist. Die Stimmung pendelt sich entsprechend zwiegespalten zwischen leichter Trauer und trottender Bequemlichkeit ein.

Die 11 Songs auf der Bonus-CD sind nicht nur für Fans interessant, denn sie sind kein Ausschuss. Es gibt hier Glanzstücke, Ergänzungen, Früh-Versionen sowie Lieder, die nicht auf das Hauptwerk passten, zu hören. Zu den Highlights gehören "Halluzinogene" und "Die Flut". Das sind Lieder mit klugen Texten und Hang zum psychedelischen Folk-Rock.

"Der erste Samstag im Frühling" verbreitet eine lebendige, menschenfreundliche Atmosphäre, wie sie häufig auch von Reinhard Mey dargeboten wird. Mit einer Variante von "Besser als nichts", die nur an der akustischen Gitarre begleitet wird, gibt es dann einen Einblick in den Entstehungsprozess der Komposition, die als fertige Version auf dem Standardwerk zu finden ist.

"Keine Zeit" hat den Untertitel "Fridays For Future Song" und ist als Protest-Song und Unterstützung für die Klimaschutzbewegung anzusehen. Das intime "Nicht das Paradies" besticht durch eine präzise Analyse dessen, was bei einer Beziehung an Erwartungshaltung bestehen kann. Verbunden mit musikalischer Einfühlsamkeit ergibt sich ein stimmiges Gesamtbild der Schilderung einer Konflikt-Situation, die zu oft romantisch verklärt wird.
Für "Boot fahren" konnte Moritz Krämer von Die Höchste Eisenbahn als Duett-Gesangspartner bei diesem Gute-Laune-Lied gewonnen werden. "Meine Liebe aus der Ferne" lässt danach die Tradition des Jazz-Schlagers wieder aufleben, wie es auch Lisa Bassenge und Götz Alsmann praktizieren.

"Brandenburg Laziness" orientiert sich stilistisch in etwa am entspannten ECM-Jazz, so dass sich die instrumentale Begleitung wie eine Light-Version von "Crystal Silence" von Chick Corea & Gary Burton anhört. "Ein bisschen zu still" erweist sich als ein unbeirrbarer, zielstrebiger Art-Pop und der Bonus-Titel "Die Oberfläche" ist als Chanson-Noir mit TripHop-Ambitionen überwiegend in sich gekehrt

Dota bietet durchweg gute Unterhaltung. Das ist ein schwieriges Geschäft, denn dazu gehört es, die Balance zwischen Eingängigkeit und Anspruch zu wahren. Naiv klingende Einschübe werden durch ernste Abläufe kompensiert, so dass unterm Strich eine breite Vielfalt herrscht. Oder wie es in "In allem Gedankenlosen" heißt: "Spaßig und traurig und schön soll es sein...". Genau diese Attribute machen die einnehmende Wirkung der Stücke aus und sorgen für Abwechslung, Anregung und Anziehungskraft.

Dota zeigt zum Beispiel auf, dass es durchaus auch mal sentimental zugehen kann, ohne dass dabei billiger Kitsch heraus kommt. Das funktioniert übrigens wie selbstverständlich ohne Qualitätseinbußen. Auf die Haltung kommt es eben an und auf die vermittelnde Persönlichkeit. Wenn diese glaubhaft, überzeugend und charmant agiert, wird alles gut. Die Lieder sind herzerfrischend uneitel, aufrichtig, intelligent und sensibel. Die Musik besitzt eine unaufdringliche Brillanz, die sie mit jedem Hördurchgang wachsen lässt. Dota bietet eben genüssliche Unterhaltung für Menschen mit Herz und Verstand.

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