Sophia Kennedy - Monsters

 
Nachdem sie für ein Kunst-Studium nach Hamburg gezogen war, nahm Sophia Kennedy mit Carsten "Erobique" Meyer - der unter anderem durch den Soundtrack zur "Tatortreiniger"- Serie bekannt geworden ist - 2013 die Single "Angel Lagoon" auf. Aber erst 2017 wurde zum Schlüsseljahr für den Start einer musikalischen Karriere der 1989 in Baltimore (USA) geborenen und aufgewachsenen Künstlerin. Auf dem Pampa-Label von DJ Koze erschien nämlich der für allerhand Aufsehen sorgende Longplayer "Sophia Kennedy" und im selben Jahr kam auch noch die erste EP "Life Should Be A Holiday" von Shari Vari heraus, einem Electro-Pop- und Avantgarde-Chanson Duo, welches Sophia zusammen mit Helena Ratka gegründet hatte.

Mit "Monsters" ist am 7. Mai 2021 das zweite Solo-Werk der Art-Pop-Künstlerin Sophia Kennedy erschienen, welches sie mit Mense Reents von den Goldenen Zitronen eingespielt und produziert hat. Genau wie beim Erstlingswerk gibt es auch hier wieder einige attraktive Song-Architekturen zu entdecken. So wird der Opener "Animals Will Come" von einem kreiselnden, gelassenen, psychedelischen Folk unterlegt, dem ein gemütlicher Break-Beat und ein knurrend-dröhnender und melodischer Bass zur Seite steht.
Für "Orange Tic Tac" kamen Einflüsse aus nordafrikanischer Folklore zum Tragen, die elektronisch aufbereitet und als Sound-Schleife in den markanten Groove-Cocktail eingebunden wurden. Daneben gibt es Passagen, die nach Jaques Brel-Interpretationen klingen oder aus dem unerschöpflichen HipHop-Sample-Arsenal stammen könnten.
Ein stoisch klopfender und bedrohlich rumpelnder Dance-Beat kann bei "I Can See You" das unbekümmerte Folk-Image nicht vollständig überdecken, dazu singt Sophia zu aufmunternd, ausgelassen und luftig. 
Bei "Francis" ist das anders. Der dunkel dröhnende Bass und die unheilvoll wabernden Synthesizer-Schwaden lassen ein düsteres, Gefahr verströmendes Klang-Bild entstehen. 
Elektronische Easy Listening-Töne, die sowohl an die trockene Ernsthaftigkeit der Young Marble Giants wie auch an die verspielt-lasziven Chansons von Goldfrapp erinnern, bestimmen danach den Ablauf von "Seventeen", das sowohl an beschwingte Bossa-Nova-Exotic denken lässt, wie auch dunkle Art-Pop-Akzente setzt.
"Loop" macht seinem Namen alle Ehre. Kurze, hart angeschlagene Piano-Akkorde werden über eine lange Dauer wiederholt und durch andere, immer wiederkehrende Klang-Folgen ergänzt. Auch bei "I’m Looking Up" kommen Minimal-Art-Abläufe vor. Der Song verinnerlicht dabei ein gelassenes und ein stürmisches Temperament. Die Sprache pendelt zwischen deutsch und englisch (" Please give me a sign, ich bin so allein") und der Song hinterlässt nicht nur deshalb einen zerrissenen, unentschlossenen Eindruck. Das Ergebnis ist spröde, aber grade deswegen auch außergewöhnlich und hörenswert.
Ein betont optimistischer Gesang knüpft bei "Chestnut Avenue" an die Tradition großer Broadway-Musicals von Ira & George Gershwin (z.B. "An American In Paris", 1928, verfilmt 1951) oder Leonard Bernstein (z.B. "West Side Story", 1957) an und fängt deren emotionalen Überschwang unter Mithilfe eines anmutigen E-Pianos ein. Auch wenn die Synthesizer dazu surren, quietschen und fiepen und das Schlagzeug kräftig geschlagen wird, entsteht der Eindruck, der Song sei durch einen Zeit-Tunnel aus der Vergangenheit zu uns gelangt. Und die Beatles bekommen zum Abschluss des Liedes auch noch eine etwas verschlüsselte Spoken-Word Widmung ab.
Im Multi-Track-Verfahren entsteht bei "Do They Know" eine A cappella-Chor-Simulation, die die Perfektion des Vocal-Jazz-Quartetts The Singers Unlimited imitiert. Auch "Cat On My Tongue" setzt auf die suggestive Kraft von Stimmen. In Dauerschleife wird der Song-Titel beschwörend wiederholt und der Lead-Gesang möchte in Konkurrenz dazu betören, sich einschmeicheln und eine weit gefächerte Bandbreite präsentieren.
"Brunswick" ist ein kurzes instrumentales Zwischenspiel, das verspielte, zwitschernde Keyboard-Akkorde und sphärisches Rauschen auffährt, was aber nicht in einen fertigen Song mündet, sondern sich nach knapp einer Minute unvollendet wieder auflöst. Ein trocken-lässiges Folk-Rock-Schlagzeug, ein Piano zwischen Groove und Minimal-Art, Bässe, die unzufrieden grummeln und versuchen, das Geschehen an sich zu reißen: Das sind die Zutaten, die den elastischen Sound von "Up" bestimmen. Einem Track, der unbekümmert eine unkomplizierte Grätsche zwischen Folk, Jazz und Soul hinbekommt. 
Quälend und leicht entfremdet führt Sophias Stimme dann in die Welt von "Dragged Myself Into The Sun" ein. Das Stück mausert sich im Verlauf zu einem Industrial-Sound-Rocker, der von melancholischem Gesang durchtränkt ist. So steht Aggression neben Depression, was ja zwei Seiten einer Medaille sind.

Mit "Monsters" knüpft Sophia Kennedy nach vier Jahren nahtlos an ihren ersten Longplayer an. Die neue Platte demonstriert genau so einen schöpferischen Entdeckergeist und offenbart einen unverkrampften Umgang mit der Pop-Historie. Manchmal dienen Verweise daraus als Inspirationsquelle für eigene Experimente. So zapft die unbekümmerte Komponistin zum Beispiel vorhandene Songs an, um Fragmente innovativ aufzuarbeiten, durch den Wolf zu drehen, zu verfremden oder auch relativ konventionell als Stichpunkte in ihre Lieder einzubauen. 

Auf "Sophia Kennedy" gab es zum Beispiel beim Lied "William By The Windowsill" eine Passage, bei der die Wörter "Young Man" genauso gedehnt und betont werden, wie es Mose Allison bei seinem "Young Man Blues" von 1957 getan hat. Das ist gelebtes Pop-Geschichtsbewusstsein! Für die Komposition wird der Umgang mit Referenzen, Neuschöpfungen und Umdichtungen gesucht. Die Einbeziehung von Gegensätzen, Formveränderungen und extravaganten Arrangements unter Berücksichtigung von HipHop-Produktions-Techniken gehören dabei auch zum Repertoire der kreativen Musikerin. Und das Gute ist, man hört der Musik nicht an, wie aufwändig ihre Gestaltung und Transformation gewesen sein muss. Die Komplexität verliert sich in harmonisch-dynamisch abgestimmten Klängen, die natürlich, also wie selbstverständlich ineinander greifen. Dieses facettenreiche Entertainment hält auch beim häufigeren Hören immer noch kleine, versteckte Überraschungen bereit, so dass "Monsters" wahrscheinlich ein treuer, interessanter Begleiter in 2021 bleiben wird.

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