Lost & Found-Portrait: Reinhard Mey – Hommage an einen Unbeugsamen
Wenn es eine Umfrage gäbe, welche Menschen in Deutschland den höchsten Bekanntheitsgrad haben, dann käme wohl Angela Merkel unangefochten auf Platz 1. Auch Reinhard Mey würde sicherlich ziemlich weit vorne landen, obwohl er nicht zu den Personen zählt, die aktuell besonders angesagt sind, er repräsentiert bei vielen jüngeren Leuten eher die Garde altgedienter deutschsprachiger Musiker, die heute keine Bedeutung mehr haben. Er ist jemand, der wahrscheinlich bei einigen Lesern eher mit Naserümpfen zur Kenntnis genommen wird, da man mit ihm höchstens seinen größten Hit ÜBER DEN WOLKEN verbindet, ihn also eher zur Schlagerfraktion zuordnet, ihn aber nicht zum ernstzunehmenden, kreativen Musiker, der intellektuellen Ansprüchen genügt, zählt. Dabei gibt es etliche Gründe, sich näher mit dem Künstler zu beschäftigen, was unter anderem angesagte Musiker wie NILS KOPPRUCH, TOM LIWA und GISBERT ZU KNYPHAUSEN auch tun. Mit diesen Liedermachern der aktuellen Szene verbindet ihn eine nicht unerheblich große Schnittmenge: Sie sind Geschichtenerzähler, sie möchten Authentizität vermitteln und sie nutzen die deutsche Sprache individuell, um ihre Persönlichkeit in ihren Liedern abzubilden.
Reinhard Mey ist Jahrgang 1942. Er ist in Berlin groß
geworden und wohnt heute noch dort. Er kommt aus, wie man so sagt,
gutbürgerlichen Verhältnissen und wurde als 12jähriger nach Frankreich
geschickt, was ihn sozial und musikalisch prägte. Außerdem erlebte er den
Mauerbau als einschneidendes politisches und soziales Erlebnis mit. Neben
seinen frankophilen Einflüssen verdiente
er sich seine ersten musikalischen Sporen 1957 in einer Skiffle-Band, streifte
somit auch den Rock`n`Roll, ist also letztlich ein Kind der aufbegehrenden
Nachkriegsgeneration, die 1968 einen kleinen aufrührerischen Höhepunkt in
Deutschland erlebte. Mey hat unter anderem mit Hannes Wader, dem Urgestein des
politischen Liedes, zusammengearbeitet und auch durch ihn eine kritische
Prägung erhalten. Aber was ihn letztlich ausmacht, ist nicht mit einem Satz zu
beschreiben. Seine Kunst hat mehrere Gesichter. Er ist der aufmerksame
Beobachter, der seine Mitmenschen detailliert ins Visier nimmt. Da er diese
Erfahrungen präzise umsetzen kann, erinnert er in seiner Scharfzüngigkeit auch
an JOACHIM RINGELNATZ und LORIOT, die großen Chronisten der menschlichen
Schwächen und Angewohnheiten. Er ist außerdem der fürsorgliche Familienvater,
der die Tücken des Zusammenlebens humorig beleuchtet und er blieb stets ein
wacher Beobachter von tagespolitischen Ereignissen und Missständen in der
Gesellschaft. Als gewissenhafter
Entertainer, der sich nicht in die allgemeinen Vermarktungsstrategien
einspannen lässt, praktiziert er die Ethik und Moral, die er in seinen Liedern
propagiert. Er ist eine verlässliche, wertstabile Größe in einem großen
Haifischbecken. Reinhard Mey wird im Dezember
70 Jahre alt. Zeit also, eine Bilanz zu ziehen.
Er hat seit 1964 nicht nur in deutsch, sondern auch in
französisch, holländisch und englisch aufgenommen. Sein größtes Talent ist sein
Umgang mit der Sprache. Reinhard Mey webt seine Worte um die Noten, so dass man
das Gefühl hat, anders darf man diese Geschichten gar nicht erzählen. Er
erzeugt Einzigartigkeit und Verbindlichkeit. Und er entwirft Erzählungen von
innerer Dichte, beherrscht von der Klarheit seiner Gedanken und seinem
humanitären Wesen. Er spricht Klartext, seine
Reime machen Sinn, die Inhalte der Lieder sind schlüssig. Seine Poesie lebt von
Verständlichkeit und seine Aussagen sind undogmatisch, überparteilich, keiner
Religion unterworfen, aber künden von einem tiefen Glauben an das Gute im
Menschen.
Er ist musikalisch sicher kein Veränderer oder Grenzgänger,
sondern Traditionalist. Sein Gesang ist präzise, seine Ausdrucksweise exakt und
aufrichtig. Seine Bühnenpräsenz ist nüchtern, ohne Mätzchen und Firlefanz. Er
ist ein ausdrucksvoller Gitarrist, der Live absolut zu überzeugen weiß.
Alleine, nur mit seiner akustischen Gitarre als Begleitung, füllt er große
Räume. Mit seiner einnehmenden Persönlichkeit bringt er das Publikum mühelos
auf seine Seite.
Wie auf seinen Veröffentlichungen zeigt er auch auf der Bühne abwechselnd seine heitere und seine nachdenkliche Seite. Überzeugender ist er allerdings bei den ernsten Themen, da sticht seine Analytik, es werden Zusammenhänge aufgedeckt und Lebenslügen entlarvt. Er klagt scharfzüngig an und steht für die Rechte der Schutzlosen ein. Die Verantwortlichen für Missstände werden schonungslos beim Namen genannt, was ihm schon Auftrittsverbot im Freistaat Bayern eingebracht hat. Er ist ein aufrechter Streiter, der sich nicht anbiedert. Weder bei den Mächtigen im Lande, noch bei den Medien, denen er immer öfter aus dem Wege geht. Er tut Gutes, ohne dies an die große Glocke zu hängen. So hat er sich z.B. für den Tierschutz nackig gemacht oder seine Tantiemen für Kinderhilfswerke gespendet.
Wie auf seinen Veröffentlichungen zeigt er auch auf der Bühne abwechselnd seine heitere und seine nachdenkliche Seite. Überzeugender ist er allerdings bei den ernsten Themen, da sticht seine Analytik, es werden Zusammenhänge aufgedeckt und Lebenslügen entlarvt. Er klagt scharfzüngig an und steht für die Rechte der Schutzlosen ein. Die Verantwortlichen für Missstände werden schonungslos beim Namen genannt, was ihm schon Auftrittsverbot im Freistaat Bayern eingebracht hat. Er ist ein aufrechter Streiter, der sich nicht anbiedert. Weder bei den Mächtigen im Lande, noch bei den Medien, denen er immer öfter aus dem Wege geht. Er tut Gutes, ohne dies an die große Glocke zu hängen. So hat er sich z.B. für den Tierschutz nackig gemacht oder seine Tantiemen für Kinderhilfswerke gespendet.
Anfangs haben wir auf die Schnittmenge zu anderen,
wesentlich jüngeren Liederschmieden hingewiesen. Wo diese häufig plakativ
Denkanstöße geben und der Hörer durch Assoziationsketten die Gedanken zu Ende
bringen muss, formuliert Mey konkret aus. Beide Fraktionen stimmen aber darin
überein, dass sie eine Verbindung zu den Protagonisten der Erzählungen
herstellen, eine Verbindung, die auch zu der Solidarisierung mit dem Künstler
führt.
Viele Werke von Reinhard Mey kann man bestimmten Themenbereichen
zuordnen. Hier ein paar Beispiele:
Sozialkritik / Politik: In DIE WÜRDE DES SCHWEINS IST
UNANTASTBAR und ERBARME DICH geht es um Tierschutz
(„…Die Fracht verletzt, gemartert und geschunden. Beim Tanken noch ein Eimer
Wasser, die letzte Ration. Der letzte Schlagbaum vor dem Schlachthof, die
letzte Station. Und rote Knüppel knall` n in offene Wunden. Eine Betonwanne,
ein Bolzenschuss, achtlos gesetzt. Ein wildes Aufbäumen im Todeskampf und ganz
zuletzt dringt aus den Kehlen eine Todesklage…“.)
SEI WACHSAM klagt
Manipulationen in Politik, Kirche und Medien an („…Der Medienmogul und der
Zeitungszar. Die schlimmsten Böcke als Gärtner, na wunderbar! Sie rufen nach
dem Kruzifix, nach Brauchtum und nach guten Sitten. Doch ihre Botschaft ist
nichts als Arsch und Titten. Verrohung, Verdummung, Gewalt sind die Gebote.
Ihre Götter sind Auflage und Einschaltquote…“).
Bei EIN ANTRAG AUF ERTEILUNG
EINES ANTRAGFORMULARS geht es um Behördenwillkür.
NEIN, MEINE SÖHNE
GEB` ICH NICHT begründet Kriegsdienstverweigerung.
DAS NARRENSCHIFF deckt dunkle Machenschaften
in Wirtschaft, Kunst und Politik auf („…Sie rüsten gegen den Feind, doch der
Feind ist längst hier. Er hat die Hand an deiner Gurgel, er steht hinter dir.
Im Schutz der Paragraphen mischt er die gezinkten Karten…“).
KAI beschreibt einen
Afghanistaneinsatz („….Kai war auf diesem Flug und mit ihm drei Kameraden. Vier
Einschüsse im Bug, hatten Hilfsgüter geladen. Still, in sich gekehrt,
verschlossen, aus dem strahlend blauen Himmel geschossen…“).
In GRENZE geht es
um Landflucht an der ehemaligen Zonengrenze, ist aber im Prinzip auf alle
Grenzkonflikte übertragbar.
Familie / Beziehungen: ALLER GUTEN DINGE SIND DREI berichtet
über die Widrigkeiten der Kindererziehung.
ICH HAB` MEINE ROSTLAUBE TIEFER
GELEGT und ES BLEIBT EINE NARBE ZURÜCK analysiert Erfahrungen aus Liebesbeziehungen(„…Ich hör` oft, was wir
sprachen im Nachhinein, wie ein Fremder, wie durch eine offene Tür. Sollen das
meine Worte gewesen sein, und ich find` heut` keine Rechtfertigung mehr dafür.
Doch jedes Wort, mit dem ich dir wehgetan hab`, bereute ich, während ich es
sprach, schon, denn von jeder Wunde, die ich dir zugefügt hab`, trag` auch ich
eine Narbe davon…“).
In NEIN, ICH LASS` DICH NICHT ALLEIN geht es um
Sterbebegleitung.
Bei VIERTEL VOR SIEBEN werden Kindheitserinnerungen wach.
Humoristisches / Alltägliches: ICH KANN! und ICH BIN! glossiert
sich aufreibende Freunde und Väter. WARUM PASSIERT ALLES NUR IMMER MIR? ist
eine Abhandlung über Missgeschicke im Alltag („…Warum ruft jeder, der sich
irgendwie verwählen kann immer ausnahmslos bei mir und immer abends an? Warum
ist im Flugzeug der Kaffee, den mein Sitznachbar nimmt von der Bordküche her
schon für mein Knie vorbestimmt?...).
DIE HOMESTORY zeigt auf, wie es zu einem
missglückten, fehlinterpretierten Interview kommen kann. IRGENDEIN DEPP BOHRT
IRGENDWO IMMER macht sich über den grassierenden Heimwerkerwahn lustig.
Darüber hinaus vermischen sich immer wieder Beobachtungen
und Erfahrungen zu themenübergreifenden Situationsbeschreibungen.
Reinhard Mey hat seinem 25. Studioalbum MAIREGEN von 2010
eine solide Folk-Grundierung mit kleiner, feiner Kombo verpasst. Absolut
herausragend dabei ist der Akustik-Gitarrist JENS KOMMNICK.
Reinhard Mey ist mit Leib und Seele Künstler. Er hat eine
eindrucksvolle Beschreibung geliefert, was ihm seine Musik bedeutet: Lieder
sind meine Chronik. Sie sind Erlebtes und Erdachtes, aus Hoffnungen und Ängsten
entstanden, aus Beobachtungen, Glück und Unglück gemacht. Lieder sind meine
Tagebucheinträge und die Alben, in denen ich sie sammle, sind wie die
Jahresringe eines Baumes, an denen sich die Wetter und der Lauf der
Jahreszeiten ablesen lassen…[…].
Zu seinem Geburtstag wird sich dieser geistig und körperlich
Junggebliebene wieder nicht vereinnahmen lassen. Es wird keine Galas, keine
Fernsehauftritte und keine Interviews zu diesem Ereignis geben. Er wird sich
treu bleiben und durch niemanden verbiegen lassen. Das hat Charakter und
Vorbildfunktion. Respekt!
Am 29.05.2020 wird das neue Album "Das Haus an der Ampel" erscheinen. Der Künstler gibt folgende Vorabinformation dazu:
"„Das Haus an der Ampel“ ist Schauplatz vieler meiner Lieder, es erzählt die Geschichten einer langen Reise, vom Aufbruch bis zur Heimkehr. Ein Jahr und ein Leben lang habe ich an den Liedern geschrieben und unter der liebevollen Regie von Manfred Leuchter und Jörg Surrey in den Berliner Teldex-Studios aufgenommen, zwei mal 16 Lieder sind es diesmal auf zwei CDs. Denn während die Demos am Schreibtisch in meiner Dichterstube entstanden, kam mir der Gedanke, die Lieder auch einmal in dieser ursprünglichen, schlichten Form, mit den FreundInnen meiner Lieder zu teilen. Also habe ich sie wie zu analogen Zeiten, Gesang und Gitarre gleichzeitig, als musikalische Skizzen wirklich „unplugged“, aber unter idealen Studio-Bedingungen im Teldex eingespielt. Ich nenne diese CD „Das Skizzenbuch“ zum Haus an der Ampel.
Auf der „Album“-CD begleiten mich dann einmal mehr Jens, Ian, Chris und Jeanmarie und dazu ein großes Ensemble von fabelhaften Musikerinnen und Musikern unter der Leitung von Manfred Leuchter. Für das Cover hat Jim Rakete mich vor dem Haus an der Ampel fotografiert, und die Fotos für das Booklet vom „wirklich wahren Leben“ sind aus dem Bilderschatz meiner Frau Hella."
Kommentare
Kommentar veröffentlichen