LIZZ WRIGHT - Grace (2017)

"Grace" von LIZZ WRIGHT ist das schon 2015 angekündigte Cover-Versionen-Album und es ist wieder großartig geworden. Ob Eigen- oder Fremdkomposition: Lizz Wright brilliert stets als ausdrucksstarke Interpretin.
Jetzt ist es soweit: Eigentlich sollte schon „Freedom & Surrender“ von 2015 ein Cover-Versionen-Album werden, aber Lizz Wright entschied, dass die Zeit dafür noch nicht reif war. Und so landeten schließlich nur noch drei Fremdkompositionen auf der Platte. Nun hat Lizz, wie sie sagt, die intensive Recherche beendet und kann ihre gute Hausarbeit abliefern. Zunächst fand die Musikerin mit „Grace“, das mit Gnade oder auch Anmut übersetzt werden kann, ein inhaltliches Konzept und dann mit Joe Henry einen Begleiter, mit dem sie aus 70 Songs zum Thema neun für „Grace“ auswählte. Das zehnte Lied „All The Way Here“ steuerte Lizz zusammen mit der Musikerin Maia Sharp bei. Es wurden Beispiele auserkoren, die die Musik des Südens der USA repräsentieren oder die für die Entwicklung der Musikerin eine gewichtige Rolle gespielt haben. Lizz wurde in ihrer Karriere besonders von der Musik und Haltung von Nina Simone beeinflusst. Diese streitbare Frau prägte die Ansicht, dass es die Pflicht eines Künstlers sei, auf die Zustände der Welt zu reagieren. Und dies erreicht Lizz Wright durch Menschlichkeit und wilde, umfassende Schönheit, die sich gegen die Brutalität auflehnt, wie es der Produzent Joe Henry formuliert.
Lizz Wright: Grace (CD) – jpc
„Barley“ ist im Original von der Band Birds Of Chicago, deren „Real Midnight“ im Jahr 2015 ebenfalls von Joe Henry produziert wurde. Das Gospel-geschwängerte Lied eignet sich vortrefflich, um sich auf die feierliche, innige Stimmung des Albums einzustimmen, runterzukommen, sich zu sammeln und auf die Musik zu konzentrieren.

„Seems I`m Never Tired Lovin` You“ ist eine Komposition von Carolyn Franklin, der jüngeren Schwester von Aretha Franklin. Lizz bezieht sich jedoch auf die Version von Nina Simone, nimmt der ursprünglichen Piano-Ballade die Strenge und verstärkt die neu gefundene andächtige Stimmung noch durch Einsatz eines Chores. Die Jazz-, Blues- und Gospel-Sängerin Sister Rosetta Tharpe (*1915, †1973) wurde dadurch bekannt, dass sie die musikalische Sozialisation von Elvis Presley prägte. Ihr Swing-Titel „Singing In My Soul“ wird hier in ein elegantes Format mit ein paar Widerhaken, die von der E-Gitarre eingestreut werden, überführt.
Einer der bekanntesten Songs der New-Orleans-Sound-Legende Allen Toussaint ist „Southern Nights“ von 1975, der 1977 in der Version von Glen Campbell ein Hit wurde. Lizz Wright macht daraus ein mysteriöses Southern-Soul-Chanson. Lieder von Ray Charles zu interpretieren ist eine große Herausforderung, denn eigentlich gelten die Originale als definitive Versionen. „What Would I Do Without You“ wird aus dem eigentlichen Rhythm & Blues- und Jazz-Gewand gelöst und erfährt eine Auferstehung als Pop-Gospel. So schützt sich diese Fassung vor jeglichem Vergleich mit der Vorlage. Die Kanadierin Rose Cousins gehört zu den aufstrebenden Folk-Pop-Sängerinnen. Ihr flehendes „Grace“ sprach Lizz Wright aus der Seele und konnte sogar noch würdevoller und ergreifender als die Grundlage umgesetzt werden.
Der Jazz-Standard „Stars Fell On Alabama“ stammt aus dem Jahr 1934 und wurde unter anderem von Ella Fitzgerald & Louis Armstrong sowie Frank Sinatra aufgegriffen. Aus neuerer Zeit gibt es noch eine Aufnahme vom Duo She & Him aus dem Jahr 2014. Der Track ist also ein wahrer Evergreen geworden. Lizz hält sich an das gemäßigte Tempo der Ursprungs-Komposition und liefert eine konforme, gefühlvolle und verträumte Sichtweise ab. Der Literaturnobelpreis-Gewinner Bob Dylan gehört inzwischen eigentlich auch zum „Great American Songbook“, so sehr sind seine Lieder mit der US-amerikanischen Geschichte verbunden. „Every Grain Of Sand“ hat er während seiner „christlichen Phase“ geschrieben und diese Perle wurde erstmals 1981 auf dem Album „Shot Of Love“ veröffentlicht. Bei Lizz Wright wirkt die Darstellung tatsächlich wie eine Predigt: Respektvoll und menschlich warm lässt die Tochter eines Predigers den Gesang fließen.
„Wash Me Clean“ wird von der kanadischen Musikerin k.d. lang, die sich nebenbei für vegetarische Ernährung, Buddhismus und Frauenrechte stark macht, leise und zurückhaltend instrumentiert und aussagekräftig gesungen. Lizz übernimmt diesen Ansatz und erzeugt eine ähnlich intim-verwunschene Stimmung. Bei „All The Way Here“ macht die flexible Jazz-Sängerin nochmal eindrucksvoll deutlich, dass sie sich hinsichtlich Ausdruckskraft und Wirkung nicht vor ihren Vorbildern verstecken muss und liefert mit Hilfe von Maia Sharp eine wundervolle Ballade ab.
„Grace“ ist eine runde Angelegenheit geworden. Die Fremdkompositionen wurden respekt- und geschmackvoll arrangiert, so dass sie auch als eigene Werke durchgegangen wären. Man spürt die Verbundenheit, die Lizz zu den Liedern aufgebaut hat. Die Frau hat eine unerschütterliche Reife und Übersicht erlangt, so dass sie grundsätzlich nichts mehr falsch machen kann. Ihrer Qualitätskontrolle entgehen nämlich keine Patzer und Irrungen. Die Cover-Versionen wurden sorgsam ausgewählt sowie liebevoll bearbeitet und damit der gleichen Arbeitsweise unterworfen, die an eigene Kreationen angelegt wird. Schön, dass es noch Künstler gibt, auf die man sich blind verlassen kann, wenn es um die Einhaltung eines hohen qualitativen Standards geht!

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