Lee Bains III & The Glory Fires - Youth Detention (Nail My Feet Down ToThe Southside Of Town) (2017)

Lee Bains III & The Glory Fires machen alles richtig und lassen den Rock & Roll hoch leben.

Im September 2017 veranstalteten THE ROLLING STONES eine ihrer aufwändigen Europa-Tourneen, die sie auch in den Stadtpark nach Hamburg führte, wo sie vor 82.000 begeisterten Fans auftraten. Die dienstälteste Rock & Roll-Kapelle der Welt ist längst zu einem kalkulierten Massen-Medienereignis geworden. Bei allem Respekt vor den Herren kann aber festgehalten werden, dass ihnen der aufrührerische Geist der Anfangsjahre verloren gegangen ist und die Lust an musikalischer Weiterentwicklung auch keine gewichtige Rolle mehr bei ihren Aktionen spielt. Was wäre wohl passiert, wenn sie sich als Support-Act Lee Bains III & The Glory Fires für ihre Konzerte eingeladen hätten? Das Quartett aus Birmingham, Alabama, verkörpert nämlich genau die Tugenden, die den Reiz der aufmüpfigen, überschwänglich provokativen Songs der frühen ROLLING STONES ausmachten. Bains und seine Kumpel leben den Geist des Rock & Roll mit einer rebellischen Grundhaltung in Verbindung mit Songs, die ihre Seele aus der schwarzen Musik beziehen. Dabei schöpfen sie souverän aus historischen Quellen wie Rhythm & Blues, Rockabilly und Soul, kennen aber auch die Wegbereiter des Punk, Grunge und College-Rock. Die Herren protzen dabei nicht mit Sekundärtugenden wie Lautstärke oder Schnelligkeit, sondern wissen genau, was einen guten Song ausmacht: Eine griffige Melodie, kurze, knackige Soli, atmosphärische Beigaben und jede Menge Hooklines.

Youth Detention///(Nail My Feet Down To The Southside Of Town ...

Auf „Youth Detention“ beglückt uns die Band mit 17 Kompositionen, die wie eine Lehrstunde aus einem Rock & Roll-Lehrbuch klingen: „Breaking It Down!“ ist ein explosiver, treibender Opener, der sich wie ein verschärfter Outtake aus den „Let It Bleed“-Sessions der Stones anhört. „Sweet Disorder!“ deutet Punk-Wurzeln an, besitzt aber auch einen starken Power-Pop-Kern. „Good Old Boy“ transportiert die Wut des kalifornischen Punk der achtziger Jahre wie er z.B. von den Dead Kennedys bekannt ist, während die Energie bei „Black & White Boys“ in einen handfesten Rhythm & Blues abgeleitet wird. Für „Whitewash“ wird Folk-Rock mit Power-Pop vermengt und das zackige, nervöse „Underneath The Sheets Of White Noise“ nimmt ungeduldig weiter Fahrt auf. Ein Überschäumen kann nur noch durch Pop-Beigaben verhindert werden.


„I Heard God!“ ist eine Ballade mit unwiderstehlicher Melodie und robuster Instrumentierung. Der hymnische Pop von „Crooked Letters“ schraubt sich allmählich durch einen Kinderstimmen-Loop hindurch immer kraftvoller in die Gehörgänge. „I Can Change!“ lässt keinen Zweifel am Willen zur Veränderung, denn das wird nachdrücklich durch den rasanten Garagen-Rocker ausgedrückt. Zwischen energischem George Thorogood-Blues-Boogie-Rock und optimistischem Buzzcocks-Punk-Pop pendelt sich „The City Walls“ ein. Bei „Had To Laugh“ lässt sich eine Nähe zur melodischen Seite von Hüsker Dü feststellen. „Nail My Feet Down To The Southside Of Town” bezieht sich auf den 1960er Jahre-Sound solcher Bands wie The Kinks oder The Who. Speed-Rock und psychedelischer Irrsinn kennzeichnen das kurze „Tongues Of Flame!”. „Trying To Ride” führt zunächst auf eine falsche Fährte: Aus dem anfangs überdrehten Gitarren-Rocker wird schließlich ein verführerischer Power-Pop mit stürmischem Ende. Bei „The Picture Of A Man“ zeigen sich die Musiker von ihrer akustischen Seite und überzeugen mit einer lieblichen Melodieführung. „Commencement Address For The Deindustrialized Dispersion“ trägt die Reife von The Band-Kompositionen in sich und drückt sich außerdem frisch und unberührt aus, während „Save My Life“ als folkiger Demo-Track anfängt, dann aber schlagartig in einen stürmischen, druckvollen Country-Rocker übergeht.

Lee Bains III & The Glory Fires lassen den Rock & Roll in seiner ganzen Vielfalt und Großartigkeit erblühen und gedeihen, denn das Quartett legt mit ihrem dritten Werk eine Songsammlung ohne Fehl und Tadel vor. Wäre die Band tatsächlich die Vorgruppe der ROLLING STONES gewesen, würde sie die Zuschauer - sofern diese unvoreingenommen reagieren – in Verzückung setzen können und von den besseren Tagen der altehrwürdigen Herren träumen lassen.

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