Daniel Romano – Modern Pressure (2017)

Teil 2 der Metamorphose vom Country-Troubadour zum universellen Pop-Musiker ist vollzogen.

Der Kanadier Daniel Romano ist ein Schlitzohr, er schlägt Haken, täuscht Musikstile an, wechselt die Richtung, fügt Zitate ein, wechselt das Tempo, spielt mit Erwartungen und experimentiert mit vielversprechenden Kombinationen. In Einleitungen und Ausleitungen von Songs werden Hippie-Zitate wie Sitar-Klänge oder rückwärts laufende Bandschleifen benutzt, so dass eine rauschhafte, stimulierende Wirkung erzielt wird. Bei allen diesen Winkelzügen bleiben die Songs verführerisch, hochmelodisch, anregend und delikat. Bei allen Vergleichen und Assoziationsketten entsteht nie der Eindruck von aufgewärmter Kost. Stets vermittelt der Sound eine abenteuerliche, verwegene sowie spannende Komponente. Der Klang zapft die Vergangenheit an, die Emotionen schlagen in der Gegenwart Wurzeln und die stilistischen Verstrickungen sind zukunftsweisend.

Als singender Bruder im Geiste von Jake Bugg verblüfft Daniel auf "Modern Pressure" mit „Ugly Human Heart Pt. I und Pt. II“ den womöglich verdutzten Hörer. Diese quäkend-nasale, nörgelnde Stimme ist aber nur eine Facette in der sprudelnd vielfältigen musikalischen Welt des Ausnahmemusikers. 

Beim Song „Modern Pressure“ zeigt er sich in einem anderen Licht und erinnert an Bob Dylan aus der „Street Legal“ Phase. Die großen Fußspuren von Dylan verfolgen uns auf Schritt und Tritt: Orgelklänge, Gesangsstrukturen und Kompositionsmuster werden immer wieder kreativ vom Übervater entliehen. „Roya“ lässt verwinkelt-detaillierten Folk-Rock in schillernden Farben erblühen und bei „The Pride Of Queens“ wird offenbart und herausgearbeitet, dass Bob Dylan sogar mit den Ramones eine gemeinsame musikalische Basis hat.

Klassischer Pop der Beatles oder von deren Schützlingen Badfinger bildet die Grundlage von „When I Learned Your Name“. Dieser wird für „Sucking The Old World Dry“ mit Country-Rock Figuren verziert. Nach einleitenden Sitar-Tönen wechselt „Impossible Green“ von den Weltmusik-Abstechern zu wärmender Folk-Pop-Herrlichkeit.
„Jennifer Castle“ bohrt sich dann als Ohrwurm unverfroren, dreist und raffiniert ins Hirn und lässt nicht mehr los. Schon jetzt ein Anwärter auf den Song des Jahres.
Daniels Liebe zum schmachtenden Country kommt beim gemütlich und manchmal forsch ablaufenden „Dancing With The Lady In The Moon“ voll zum Tragen. 
Lee Hazlewoods langer Schatten legt sich auf das teils exotisch rockende, teils im Walzertakt schunkelnde „I Tried To Hold The World In My Mouth“. 
Bei der Ballade „What`s To Become Of The Meaning Of Love“ kann sowohl Dylan als Einfluss registriert werden, wie auch eine Nähe zum engagierten Country-Folk bescheinigt werden.

War „If I`m Only One Time Askin`“ aus 2015 der perfekte Country-Traum und „Mosey“ aus dem letzten Jahr ein 1960er Jahre-Pop-Spektakel, so bezeichnet Daniel Romano „Modern Pressure“ als Sammlung von spirituellen Songs. In seiner gewohnt abstrakten Interpretation könnten damit entspannte, verträumte, den Intellekt und das Gemüt anregende Songs gemeint sein, die ihre Inspiration aus den 1960er Jahre ziehen, jedoch diese Kraft in die Gegenwart retten und für die Zukunft vorbereiten. Romano ist der Magier, der die Töne zeitlos aufbereitet, bewährte Mechanismen und kreative Freiräume nutzt, um auch neue Hörerschaften an bewusstseinserweiternde Klänge heranzuführen, ohne den melodischen Faden zu verlieren.

Der kreative Überschwang von Daniel Romano ist beeindruckend. Der vielseitige Künstler, der auch handwerklich tätig ist, erstaunt durch eine geschmackssichere Plünderung der Pop-Geschichte. Dabei besitzt er die Fähigkeit, die verwendeten Versatzstücke durch das Hinzufügen eigener Ideen so individuell aufzubereiten, dass sich seine melodisch aufreizenden Kreationen wie frische Spontanentwürfe anhören. Und das Schöne ist: Durch die reife, intelligente, geschmackvolle Gestaltung erschließen sich bei jedem Hördurchgang neue Details, Schattierungen und Erkenntnisse. „Modern Pressure“ bietet zutiefst befriedigendes und anregendes Futter für Seele und Hirn.

Erste Veröffentlichung dieser Rezension: Fanzine ROADTRACKS #51

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