FATHER JOHN MISTY - God`s Favourite Customer (2018)

JOSH TILLMAN hat sein anderes Ich in Form von FATHER JOHN MISTY nach nur einem Jahr wieder von der Leine gelassen, um seine Sinnkrisen musikalisch zu verarbeiten. Herausgekommen ist dabei GOD`s FAVORITE CUSTOMER. Das Werk ist nur etwa halb so lang wie sein Vorgänger PURE COMEDY geworden, aber ähnlich intensiv. Hier gibt es eine Sicht auf die Inhalte des Albums:

Ein Jahr nach dem provokanten, großspurigen und engagierten „Pure Comedy“ schiebt Josh Tillman ein persönliches Album nach. Der kreative Leidensdruck muss groß gewesen sein.


Wie viel Joshua Tillman steckt in Father John Misty? Der ex-Fleet Foxes-Trommler und einst als intimer Solo-Künstler unter J. Tillman aktive Singer-Songwriter versteckt sich seit 1992 hinter dem Pseudonym Father John Misty und veröffentlichte seitdem hinreißende, ausschweifende, unangepasste und eindringliche Musik, die unter anderem eine Liebeserklärung an seine Frau („I Love You Honeybear“, 2015) beinhaltete, wie auch sarkastisch-böse Blicke auf das Weltgeschehen „Pure Comedy“, 2017) absonderte. Das vierte Werk, das unter dem religiös anmutenden Decknamen erschien, scheint eine persönliche Verarbeitung der Probleme zu sein, die den Künstler 2016 umtrieben. Er erlitt nämlich einen Nervenzusammenbruch und wohnte zwei Monate im Hotel, um seine Sinnkrisen in den Griff zu bekommen.
In dieser Zeit entstanden die Vorlagen zu den Songs, die die Grundlage für „God's Favorite Customer“ bilden. Die Beschäftigung mit der Musik diente Tillman dazu, die Erlebnisse, die sich schmerzhaft und isolierend auswirkten, weniger quälend erscheinen zu lassen. Dieser reinigende Prozess führte zu einer klaren Linie bei den Kompositionen und in diesem Zusammenhang im Vergleich mit dem fast doppelt so langen „Pure Comedy“ zu einem relativ schnörkellosen Herzschmerz-Album mit Hang zur prunkvollen Präsenz.
Country-Rock-Lässigkeit und Tindersticks-Tristesse halten sich bei „Hangout At The Gallows“ in etwa die Waage. So kommt ein flexibles Pop-Drama zustande. „Mr. Tillman“ ist der offensichtliche Ohrwurm des Albums. Helle Glöckchen und besänftigender Singsang leiten den wortreichen, melodisch starken, unwiderstehlichen Pop-Song ein, der sich massiv in den Gehörgängen festkrallt, ob man nun will oder nicht. 
Das traurige „Just Dump Enough To Try“ benutzt psychedelische Gitarrenklänge und Space-Sounds, um von der schwermütigen Stimmung abzulenken, was aber nur bedingt funktioniert. Der zerschossene Psychedelic-Folk vom Pink-Floyd-Gründer Syd Barrett klingt bei „Date Night“ genau so an, wie das monotone Piano-Geklimper von „I Wanna Be Your Dog“ der Stooges. Father John Misty bastelt hier aus verschiedenen Zutaten einen Folk-Boogie mit berauschenden Elementen.
Beim langsamen „Please Don’t Die“ spielt Josh seine Crooner-Qualitäten aus und adaptiert die vollen, rollenden Gitarrenklänge von Richard Thompson sowie den akustischen Folk-Rock von Neil Young. Deshalb erhält der Track trotz seiner Melancholie doch noch Bodenhaftung. Das depressiv gestimmte „The Palace“ wird überwiegend von einer Piano/Bass-Zwiesprache getragen. Tillmans Sinn für Dramatik sorgt dabei für anhaltende Spannung. Der Gesang verfällt bei „Disappointing Diamonds Are The Rarest Of Them All“ immer mal wieder in den Falsett-Bereich. Dadurch bekommt der vom Klavier angetriebene Song eine emotionale Dringlichkeit, die zu einer erhöhten Aufmerksamkeit führt. Das Lied „God’s Favorite Customer“ schwelgt in Wehmut, aber letztlich behält die Zuversicht die Oberhand. Der spät einsetzende, weibliche, engelsgleiche Background-Gesang ist nahe am Kitsch angesiedelt, aber das kann die ernsthaft-nachdenkliche Stimmung nicht wirklich ins Absurde verdrehen. Die Piano-Ballade „The Songwriter“ wird ehrfürchtig und andächtig vorgetragen, während „We’re Only People (And There’s Not Much Anyone Can Do About That)“ eine latent vorhandene Aggression notdürftig unterdrückt.
Father John Misty nutzt „God`s Favorite Customer“ als Ventil zur Kanalisation seiner Seelenqualen und beschert uns ein Werk mit überwiegend dunkler, kummervoller Ausstrahlung. Von der schmalztriefenden Schnulze bis hin zum Free-Jazz ist bei Josh Tillman alles an Ausdrucksmöglichkeiten drin, was zur markanten Untermalung seiner Epen beiträgt. Da gibt es keine Tabus. Welche Stilmittel letztlich eingesetzt werden, hängt vom jeweiligen Gemütszustand des Protagonisten ab. Das ist nicht unbedingt vorhersehbar und lässt die Musik deshalb so unergründlich erscheinen.
Wer also Interpreten mag, die charismatisch die Tiefen menschlicher Existenz ausloten, bei aller Sachlichkeit noch die Klaviatur des anspruchsvollen, klangvollen und melodisch vielfältigen Komponierens sowie stilvollen Arrangierens beherrschen, der kann „God`s Favorite Customer“ bedenkenlos im Regal neben Nick Cave, Nick Drake, TindersticksLeonard CohenJohn Cale oder Mark Lanegan einordnen.

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