Meskerem Mees - Julius

 Meeskerem Mees profitiert von der Macht ihrer Stimme und dem Zauber ihrer Persönlichkeit.

Die Begriffe sensibel oder einfühlsam werden bei eher akustisch ausgerichteten Musikern und Musikerinnen inflationär benutzt, um eine eventuell vorliegende intensive Wirkung zu beschreiben. Ob ein Künstler wirklich in der Lage ist, die Barriere zwischen Ohr und Gefühlszentrum zu durchbrechen und somit einen Schwall an Gefühlsregungen auslösen kann, zeigt sich häufig dann, wenn er sparsam, fragil und auf sich selbst gestellt agiert und dennoch auf ganzer Linie überzeugt, ohne zu langweilen. Nick Drake konnte das, John Cale, Nick Cave und Neil Young haben eindrucksvoll bewiesen, dass sie über diese Gabe verfügen und nun schickt sich auch Meskerem Mees an, ganz heimlich still und leise das Herz von Menschen zu betören, die sich an luftig-leichten, intimen Songs erfreuen können. 
Die in Gent (Belgien) lebende 22jährige Frau vermag alleine aufgrund ihrer charmant-sympathischen Persönlichkeit, ihrer ehrlichen, sauberen Stimme und dem bestimmenden Klang ihrer gezupften akustischen Gitarre zu bewegen. Dann kommen noch die ausgezeichneten selbst komponierten Lieder mit sprachgewandter Lyrik dazu und zu guter Letzt fügt Febe Lazou noch vielsagende Cello-Töne ein, die den Songs genau die richtige Wendung, Erhöhung oder Betonung verpassen, um sie aufrecht und schillernd aussehen zu lassen. Das Erstlingswerk "Julius" klingt deshalb nicht nach einer suchenden Musikerin, sondern nach einer gestandenen Künstlerin klingt, die genau weiß, was sie will.

Los geht es mit "Seasons Shift", das neben "Joe", "Astronaut" und "The Writer" schon vorab als Single veröffentlicht wurde. "Seasons Shift" erzählt die Geschichte einer Liebe, die sich allmählich zersetzt, weil der Partner unter ständigen Gefühlsschwankungen leidet. Meskerem schlüpft dabei in die gefestigte Rolle, weil sie schon über die gröbsten Verletzungen hinweg ist, aber trotzdem weint das Cello von Febe Lazou dicke Tränen, die zeigen, dass der Schmerz groß gewesen sein muss.
Auch "Parking Lot" beschreibt eine festgefahrene, im wahrsten Sinne des Wortes toxische Beziehung ("Wir nehmen am Wochenende Drogen, weil das alles ist, was wir je gekannt haben"), die durch ein sensibles Gothik-Folk-Arrangement wirkungsvoll und transparent in Szene gesetzt wird. 

Bei "The Writer" geht es um einen Schriftsteller, der "über Einsamkeit und Ängste und andere Arten von Elend" schreiben kann, aber nicht über die Liebe, weil er sie für "ein grausames und bösartiges Spiel" hält. Es zeigt sich aber, dass er in Wirklichkeit arrogant und selbstverliebt ist, weshalb er nicht zu einer freundschaftlichen Beziehung fähig ist. Die Begleitung dazu klingt beinahe naiv und einfach wie bei einem Kinder- oder Volks-Lied, gleitet aber durch Meskerems gesangliches Gespür für wichtige, veredelnde Nuancen nie ins Banale ab. Das verwehte Cello am Ende des Stücks beseitigt letztlich alle Bedenken: Hier hat man es doch mit einem gelungenen, in sich stimmigen Lied zu tun.
Meeresrauschen und Möwengeschrei leiten zusammen mit traurigem Cello-Gestreiche den Song "Blue And White" ein. Meskerem löst die sich aufbauende trübe Stimmung schlagartig durch positiv gestimmten, teils mehrstimmigen Gesang, sprudelndem Picking und einer lebhaften Melodie auf. Auch wenn Febe Lazoon dann nochmal graue Wolken produziert und ein Piano für Nachdenklichkeit sorgt, überwiegt schließlich der Optimismus. Der Text vermittelt, dass es manchmal ganz einfach sein kann, sich von trüben Gedanken abzulenken ("Spring auf einem Bein und jetzt spring auf beiden Beinen. Und sag mir, wie lustig, wie lustig du dich tief drinnen fühlst").
Im Blues findet man häufig verschleierte sexuelle Anspielungen. So auch bei "I`m A King Bee", das Slim Harpo 1957 erstmals aufnahm ("Ja, ich kann Honig machen, Baby. Lass mich reinkommen"). 
Das Lied wurde dann später noch von den Rolling Stones (1964)
und sogar von Pink Floyd (1965) aufgenommen. 
Auch im Live-Repertoire der Doors kann die Komposition gefunden werden. 
"Queen Bee" von Meskerem Mees ist da weniger anzüglich, spielt aber stattdessen mit der Assoziation einer Familiengründung. Auch der Rock & Roll bekommt bei dieser Folk-Nummer einen Verweis ab, deshalb kann das ganze Konstrukt durchaus als Referenz oder eventuell auch als Persiflage verstanden werden. "My Baby" ist ein Requiem für einen toten Menschen. Ist es wirklich ein Baby oder ein Freund, dem hier gehuldigt wird? Dem Thema angemessen läuft das Stück getragen, in sich versunken ab, wobei Meskerem Haltung bewahrt und gefasst durch die Geschichte führt.

Bei "Man Of Manners" wird es sozialkritisch. Was macht es mit einem jungen Mann, wenn er beim Militär gedrillt wird? Man sagt ihm, er wird "ein Mann mit Manieren" werden. In Wirklichkeit verliert er seine Individualität und "verkauft seinen Willen". Wenn es das nur wäre, er gefährdet auch seine Gesundheit und sein Leben, wenn es schlecht läuft. Meskerem widmet sich dem Thema Krieg nicht so krass, wütend und anklagend wie Bob Dylan in "Masters Of War". 
Sie klingt im Gegensatz zu ihm eher versöhnlich, spricht aber trotzdem die Perversität der menschenverachtenden Manipulation und Verführung deutlich an.

"Joe" beschreibt eine Alltagssituation: Boy meets Girl, dann die Phase der intensiven Verliebtheit, später sucht der Junge die Freiheit und das Mädchen bleibt enttäuscht, aber immer noch verliebt zurück. Traurig, aber nicht hoffnungslos berichtet die Protagonistin davon und lässt ihrer Gitarre den Raum, den sie braucht, um  dabei die Geschichte gefühl- und verständnisvoll zu umgarnen.
Was denkt ein Astronaut, wenn er ohne Halt durch den Weltraum schwebt? Bei "Astronaut" hat der Raumfahrer ein Foto dabei, das unterschiedliche Vertreter der Menschheit zeigt. Er nimmt war, dass er als "Weltraumsegler" geboren wurde und ihn trägt die tiefe Überzeugung, dass ihn der (Sonnen)-Wind nach Hause bringen wird. Das ist ein schönes Bild, welches unseren privilegierten, aber auch fragilen Zustand im Universum verdeutlicht. Darüber hinaus wird klar, was uns als Menschen besonders auszeichnet, nämlich unser Durchhaltewillen, wenn es mal nicht so läuft, wie es sollte. Der untermalende Barock-Pop ist weder überschäumend optimistisch, noch bedrückend-pessimistisch. Er lässt zunächst eine emotionale Einordnung offen. Aber nach 2 Minuten erfolgt der Wechsel hin zu kämpferischeren Tönen. Ein aus Multi-Track-Stimmen von Meskerem bestehender Chor bestätigt nochmal die "Weltraum-Geburt" und bestätigt die Abhängigkeit der Individuen von kosmischen Abläufen.
In "A Little More About Me" geht es weniger um die Offenbarung von persönlichen Eigenarten als um Kommunikation. "Es gibt eine Vielzahl von Dingen, die ich dem Mann meiner Träume gerne sagen würde. Es gibt eine Vielzahl von Dingen, die ich dem Mädchen seiner Träume gerne sagen würde" und "Es gibt eine Vielzahl von Dingen, die ich dem Mann von nebenan gerne sagen würde", heißt es da nämlich. Es dreht sich also um das gegenseitige Verstehen und Kennenlernen, was Vorurteile abbauen und damit für mehr Toleranz sorgen kann. Im schunkelnden Walzer-ähnlichen Takt erzählt Meskerem ihre Moritat und begleitet sich selbst an einer akustischen Lagerfeuer-Gitarre. Cello und Klavier stimmen noch ein, schunkeln und schwelgen dann mit.

Was bedeutet es, wenn man meint, einen Menschen "zu kennen"? Ist er dann ein bekanntes Gesicht, hat man viel mit ihm zu tun oder weiß man tatsächlich, was in ihm vorgeht? Auch Meskerem Mees stellt sich diese Frage in "Song For Lewis" und kommt unter anderem zu dem Schluss: "Alle meine Freunde denken, ich sei unvernünftig. Ich liebe sie, obwohl sie nicht wissen, was ich fühle". Das heißt, man gibt nie alles preis, was einen bewegt. Mit seinen Dämonen muss man oft alleine fertig werden. Meskerem und Febe Lazou bilden hier eine Einheit, wenn es darum geht, ein Gefühl des mit sich im reinen zu sein hervorzurufen.
Wird in "Where I'm From" ein alternatives Paradies beschrieben? Zumindest taucht eine Umwelt auf, die frei von Vorurteilen und Not ist. Wünschen wir uns nicht alle solch einen Zustand ? Warum bemühen wir uns dann nicht, in diese Richtung zu denken und zu handeln? Es liegt an uns, an jedem Einzelnen, ob diese Vision Fiktion bleibt oder Wirklichkeit werden kann. Durch schrammelnde Akkorde schafft Meskerem eine gewisse Dringlichkeit für ihre Aussagen, bevor beklemmende Cello- und Querföten-Töne die Stimmung in Richtung Moll drücken. Nach einem gewollten Bruch werden alle Instrumente umgestimmt und lassen eine zuversichtliche Atmosphäre anklingen.

Es ist eine essentielle Aussage über das Leben: Wir werden alleine geboren und sind auch auf unserem Weg in den Tod allein. "How To Be Alone" beschäftigt sich damit, was beim Sterben tröstend ist, kann das Unvermeidliche aber auch nicht schön reden. Spielende, ausgelassen fröhliche Kinder im Hintergrund des Liedes stehen für das, was schützenswert und immens wichtig für eine gesunde, blühende Gesellschaft ist. Meskerem Mees singt mit lieblich-betörender Stimme und gibt dem Track mit abgestufter Dynamik zum Abschluss des Albums noch einen Moment des Innehaltens mit.

Einen Teil der Magie zwischen Hörer(-innen) und Musiker(-innen) macht es aus, wenn die dargebotene Kunst nicht in Frage gestellt und sie als wahrhaftig und nachvollziehbar oder erhellend wahrgenommen wird. Die Musik von Meskerem Mees ist einfühlsam, lyrisch, klar strukturiert und wesentlich reifer, als es ihr Alter vermuten lässt. Ihre Texte gehen dabei weit über die übliche Kalenderblatt-Psychologie hinaus. Sie behandeln persönliches genauso wie sozialkritisches, bleiben dabei aber nachvollziehbar und bedienen auch poetische Erwartungen. Die Künstlerin reiht sich scheinbar mühelos in die Garde der aktuellen Qualitäts-Folk-Künstlerinnen ein, die unter anderem von Laura Marling, Bedouine, Charlene Soraia, Sophie ZelmaniAne Brun oder Joan Shelley besetzt wird.

Aber es bleibt noch eine Frage unbeantwortet: Wer ist Julius? Ist das tatsächlich der Esel, der auf dem Cover-Foto abgebildet ist

oder vielleicht doch ein Sinnbild für einen Ex-Freund? Wer es auch immer sei, er kann sich glücklich und geehrt schätzen, dass ihm dieses sehr gelungene Debut-Album gewidmet worden ist.

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