Nathaniel Rateliff and The Night Sweats - The Future

Was wird die Zukunft bringen? Das fragt sich Nathaniel Rateliff mit sorgenvollem und auch hoffnungsvollem Blick. Musikalisch lässt er allerdings keine Fragen offen: Die Zukunft gehört ihm! 

"The Future" ist nach "Nathaniel Rateliff and The Night Sweats" (2015) und "Tearing At The Seams" (2018) das dritte Studio-Album des Sängers und Komponisten Nathaniel Rateliff, welches mit seiner Formation, dem Septett The Night Sweats eingespielt wurde. 
Rateliff ist in vielen Genres zuhause, greift Referenzen aus unterschiedlichsten Einflüssen ab und hält vielfältige Assoziationen bereit. Egal ob Soul, Rhythm & Blues, Country, Folk, Roots-Rock oder Pop, der Mann macht keine Kompromisse. Seine Interpretationen sind frei von billigem, amateurhaftem Kitsch. Das ist der pure, ursprüngliche heiße Stoff, der die Seele glühen und den Körper zucken lässt. 

Obwohl der eröffnende Track "The Future" jede Menge Country-Wehmut enthält, verbrüdert er sich alsbald mit den Segnungen des Southern-Soul und gerät so zu einer saft- und kraftvollen Ballade, die beweist, dass die Verbindung von "weißen" und "schwarzen" Musik-Stilen zu besonders emotionalen Erlebnissen führen kann. Gesanglich bindet das Stück Merkmale von zwei Giganten der Pop-Musik ein: Rateliff dehnt manche End-Silben quengelig-genervt wie Bob Dylan und schreit seinen Frust gequält-gurgelnd raus wie John Lennon
Assoziation: "Up On Crickle Creek" (The Band, 1968)
Bei "Survivor" geht es krachend und energisch zur Sache. Ein mächtiger Funk-Rock-Takt sorgt für gewaltigen Druck, der gesanglich teils ausgleichend aufgefangen, teils aggressiv und aufgebracht verstärkt wird. Satte Bläsersätze vermitteln dem Song dann noch eine souveräne, lässige, tanzbare Eleganz. 
Assoziation: "Howlin` For You" (The Black Keys, 2010)
"Face Down In The Moment" durchzieht eine sakrale Gospel-Stimmung, die von schwelgenden Chören, sanft unterstützenden Bläser-Fanfaren und rauschenden Hammond-Orgel-Tönen noch verstärkt wird. Assoziation: "Hallelujah" (Leonard Cohen, 1984)
"Something Ain’t Right" entpuppt sich danach als gemütlicher Retro-Rhythm & Blues mit romantischem Pop-Herz. Assoziation: "The Blues" (Randy Newman, 1983)
Ein beschwingter Jazz-Rhythmus treibt nach verhaltenem Beginn "Love Me Till I’m Gone" an. Bei dem Track lässt sich Nathaniel Rateliff jedoch nicht durch den Schwung aus der Ruhe bringen. Er zieht seine individuellen Kreise, wobei der Stil-durchkreuzende Sänger durch einige emotionale Höhen und Tiefen geht. Abwechselnd finden neben sachlichen Erläuterungen auch angespannte Erregungen und zornige Ausbrüche statt. Assoziation: "Saint Dominic`s Preview" (Van Morrison, 1972)
Verspielt und cool geht es bei "Baby I Got Your Number" zu, wobei sich Nathaniel zwischendurch in einer speziellen Kreation des lautmalerischen Scat-Gesangs übt. Seine Mitstreiter erzeugen unterdessen einen entspannten, karibisch angehauchten Cocktail-Jazz. Assoziation: "You Don`t See Me" (Al Jarreau, 1975)
Elegant, mit ansteckendem Smooth-Soul-Groove ausgestattet, umgarnt "What If I" die Gehörgänge. Das Stück erscheint gleichzeitig souverän, aufrichtig und sympathisch. Wie gemacht für das Kultur-Radio. 
Assoziation: "Nothing Ever Happens" (Del Amitri, 1989)
Wie ein gebändigtes Funk-Monster gebärdet sich "I’m On Your Side". Es ist zwar domestiziert, wartet jedoch auf seine Chance, aus der Deckung zu kommen und die Herrschaft zu übernehmen. Das passiert aber nicht, die Bestie bleibt weitestgehend unter Kontrolle und verströmt seine animalische Kraft, die sich für mehr Solidarität und Toleranz einsetzt, nur unterschwellig. Assoziation: "25 Or 6 To 4" (Chicago Transit Authority, 1969)
"So Put Out" wildert im Gebiet von pechschwarzem Rhythm & Blues und zackigem Funk, ist nicht unbedingt ungestüm, aber dennoch scharf wie Chili und bissig wie eine Cobra. Assoziation: "I Can Only Give You Everything" (Nick Waterhouse, 2012)
Folk und Reggae treffen für "Oh, I" aufeinander und verbreiten eine trügerische Latin-Sound-Stimmung. Assoziation: "Do You Want My Job" (Little Village, 1992)
Der Motown-Sound aus Detroit, der in den 1960er Jahren Formationen wie The Supremes, The Temptations oder die Four Tops hervorgebracht hat, bildet die Grundlage des stampfenden, mitreißenden "Love Don’t", einem Appell an die Liebe. Der Track hält seinen schweißtreibenden Takt über 5 Minuten hinweg aufrecht und The Night Sweats stacheln Nathaniel Rateliff immer wieder zu ungestümen Ausbrüchen an. 
Assoziation: "Uptight (Everything`s Alright)" (Stevie Wonder, 1965)

Nathaniel Rateliff brauchte eine Pause vom unsteten Rock & Roll-Leben, den Zwängen des Musik-Business und den Schattenseiten des Erfolges. Deshalb nahm er 2020 das von Harry Nilsson inspirierte Solo-Album "And It`s Still Alright" auf, dass ihn als nachdenklichen Singer-Songwriter zeigt. Denn er musste nicht nur das Ende seiner Ehe, sondern auch den Tod seines Freundes Richard Swift verarbeiten. Nun hat sich Rateliff wieder in den Schoß seiner eingespielten, verlässlichen Stammformation fallen lassen, was ihm hörbar gut tut. Denn mit dieser Unterstützung kann er sich ungehemmt artikulieren, gefühlvoll sein, aber auch richtig aus sich raus gehen, wenn es nötig ist.

Nathaniel Rateliff and The Night Sweats regen an. Sowohl die Frage nach der Einordnung der Songs in die Pop-Historie, wie auch die Aktivierung der Hypophyse, die für die Produktion von Glückshormonen zuständig ist. "The Future" mag auf den ersten Blick nur Retro-Sounds aktivieren, in Wirklichkeit werden aber zeitlose Songwriter-Tugenden präsentiert, die die Musik zu einem Ganzkörper-Erlebnis machen. 

Der Produzent Bradley Cook (Bon Iver, The War On Drugs, Hiss Golden Messenger) hat dafür gesorgt, dass Nathaniel bei seinen Kompositionen nicht nach Songs für Solo- oder Band-Alben unterscheidet, sondern einfach die stärksten als aktuelle Bestandsaufnahme für "The Future" auswählt. Das hat sich ausgezahlt, denn es gibt tatsächlich kein Füll-Material auf dem Werk. Nathaniel Rateliff and The Night Sweats gehört die Zukunft, auch wenn sie musikalisch aus der Vergangenheit schöpfen.

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