Metronomy - Small World

Das Cover-Bild von "Small World" drückt Sehnsucht nach einer heilen Welt aus, während die Musik sowohl mit freudigen wie auch mit sorgenvollen Noten jongliert.

Das Max-Planck-Institut wollte 2019 wissen, welcher der perfekte Pop-Song ist. Dazu haben sie 80.000 verschiedene Akkord-Folgen von 700 Liedern, die zwischen 1958 und 1991 aufgenommen wurden, analysiert. Ein Computer bewertete zunächst die sogenannte Unberechenbarkeit jedes Akkords in Bezug auf den ihm folgenden Akkord. Also quasi den Überraschungseffekt. Anhand von 39 Testpersonen stellten die Forscher dann fest, dass das Glücksgefühl beim Hören besonders groß ist, wenn der Überraschungseffekt besonders klein ist. Unter Berücksichtigung dieser Erkenntnis war der Gewinner "Ob-La-Di, Ob-La-Da" von den Beatles, gefolgt von "Invisible Touch" von Genesis und "Hooked On A Feeling" von B.J. Thomas. 

Jetzt kann man natürlich sowohl die Versuchsanordnung wie auch das Ergebnis kritisieren. Ist es wirklich ein Kriterium für Perfektion, wenn eine Komposition vorhersehbar ist? Muss nicht vielmehr auch die Nachhaltigkeit, die durch eine gewisse Unberechenbarkeit entsteht, weil sich der Song dann nicht so schnell abnutzt, berücksichtigt werden? Und warum ausgerechnet einer der durchsichtigsten und albernsten Songs der Beatles gewinnt, wo es doch so viele andere, raffinierte gibt, die mindestens so unterhaltsam sind, ist auch nicht nachzuvollziehen. Der Multiinstrumentalist und Produzent Joseph Mount gründete Metronomy im Jahr 1999 in England. Die Gruppe entwickelte sich von ihren Lo-Fi-Experimenten ab 2006 mit "Pip Paine (Pay The £5000 You Owe)" zu Hi-Fi-Kunststücken ab 2011 mit "The English Riviera". Das Ensemble schien jetzt auch gezielt, vermehrt und dauerhaft auf der Suche nach dem perfekten Pop-Song nach ihrer Vorstellung zu sein.
Credit: Alex Lambert

Ist es etwa Zufall, dass der Opener "Life And Death" vom aktuellen Album "Small World" sowohl an Wilco wie auch an die Beatles denken lässt?. Wohl nicht, denn diese Inspirationen zeigen generell, dass Metronomy das Streben nach einer anziehenden Kunstfertigkeit in den Fokus ihrer Aktivitäten genommen hat. Das ruhige, harmonische Lied mit den synthetischen, gleichmäßig pochenden und blubbernden Rhythmen beschreibt in wenigen Worten einen schematischen Ablauf des Lebens: Job, Kinder und dann droht schon das Grab. 

"Things Will Be Fine" ist ein Satz, der häufig als zweckoptimistisches Mantra benutzt wird, um Situationen, deren Ausgang nicht zu beurteilen ist, zu entschärfen. Diese optimistische Grundhaltung findet sich auch in diesem elastisch gestalteten Song wieder, bei dem sowohl die Gitarren wie auch die Orgel, das Piano und die Percussion-Instrumente abwechselnd oder gleichzeitig wichtige, effektvolle und frohgelaunte Stimulationen beitragen. Nach den anfangs beschriebenen Kriterien könnte das Lied auch ein Kandidat des Max-Planck-Instituts für die Wahl zum perfekten Pop-Song sein, weil hier einige leicht nachvollziehbare Elemente integriert werden. Allerdings kann das Stück trotzdem nicht als vorhersehbar gelten.
Das gilt auch für "It’s Good To Be Back", das Stück wird von Joseph Mount als der coole Song des Albums bezeichnet. Als denjenigen, der womöglich sogar familientauglich sei und auch von Kindern beim Autofahren akzeptiert werden würde, selbst wenn sie sonst nur Top 20-Zeug hören. Entsprechend unbekümmert, frisch und munter wurde dieser Sunshine-Pop gestrickt.
Der bedächtig-eigentümliche Alternative-Rocker "Loneliness On The Run" erinnert in seiner hintergründigen Morbidität an die vom brutalen Schicksal heimgesuchten Geschichten des Mark Oliver Everett von den Eels. Bei Everett macht sich trotz der Beschreibung von ausweglosen Situationen wie selbstverständlich eine gewisse Lethargie breit, die auch als Zweckoptimismus gedeutet werden kann. Diese methodische Darstellung findet gleichfalls hier Verwendung: Das hinterlässt den Eindruck, als wäre die Interpretation knapp der Gleichgültigkeit entronnen, was das niedrige Gesangs-Tempo prägt und den nebenher aufgebauten, belebenden Rhythmus ins Leere laufen lässt. Zu dieser Sichtweise passt auch der abrupte Schluss. Das spricht für eine hintergründige Fassungslosigkeit, die sich nicht offenbaren möchte, aber trotzdem allgegenwärtig ist.

"Ihre Liebe ist wie eine Fabrik, die jeden Tag mich herstellt", heißt es in "Love Factory". Dieser Soft-Rock mutet extrem leicht und beschwingt an. Unbeschwert gleitet die Melodie dahin, der Rhythmus federt und der Refrain-Gesang erweist sich als Charm-Bolzen. Selbst das E-Gitarren-Solo klingt geschmeidig und kontrolliert. Der Lead-Gesang begleitet diese entspannte Szene dann noch souverän und galant, was insgesamt angenehm ausgeglichen mundet.
Wer glaubt, den Verstand zu verlieren, ist meistens in einer emotionalen Zwangslage, aber dennoch im Stande, die Situation einschätzen und beurteilen zu können. Diese Stimmung zwischen Bangen und Hoffen bildet "I Lost My Mind" ab. Zunächst ertönt der schmerzliche Teil, der sich in einem niedergeschlagenen Gesang manifestiert. Schlagzeug und Gitarre halten mühelos groovend die Spur, bis dann ein angstbefreiendes Pfeifen, ein vergnügliches Piano und weihevolle synthetische Chorstimmen den hoffnungsvolleren Teil einläuten.

Immer wenn es um intelligente, raffinierte und elegante Pop-Musik geht, fällt automatisch der Name Steely Dan. Die 1971 von Donald Fagen und Walter Becker gegründete Band hat Maßstäbe gesetzt und wird auch heute noch oft zitiert, wie zum Beispiel von Mayer Hawthorne. Der Song "Right On Time" profitiert auch von exakt versetzten Gesangssätzen, einer Polyrhythmik und von beweglich-gewandten Melodien, was auch die New Yorker auszeichnete.
Glänzende Surf-Jazz-Gitarren und schrulliger Barock-Pop wechseln sich bei "Hold Me Tonight" ab und durchdringen sich gegenseitig. Durch die Gaststimme von Dana Margolin von Porridge Radio bekommt der Track in der zweiten Hälfte noch einen verruchten Kick verpasst. Der bedächtig-bedeutsame Gesang der meditativen Nummer "I Have Seen Enough" wird über einem Dauer-Orgel-Rauschen ausgebreitet und nährt sich nur von einem langsamen Schlagzeug, gepflegten, sparsamen E-Gitarren-Akkorden und einem poetischen Piano. Das Stück säuselt mild wie ein Wiegenlied.

Solch abwechslungsreiche und trotzdem überzeugende Pop-Alben wie "Small World" sind selten, weil Vielfalt häufig in Beliebigkeit mündet, was dann Unglaubwürdigkeit hervorrufen kann. Das ist hier nicht der Fall, weil die verführerischen Songs einen roten Wiedererkennungs-Faden besitzen, der sie eindeutig als Metronomy-Erzeugnisse ausweist. Und das ist durchaus als ein Qualitätskriterium zu verstehen. "Small World" verleiht der Pop-Musik einen reizvollen Glanz, wie zuletzt "Father Of The Bride" aus 2019 von Vampire Weekend. Das liegt auch daran, dass die Integration von zum Beispiel weisem, abgehangenen Singer-Songwriter-Stoff und gepflegtem Pop-Jazz konfliktfrei gelingt und homogen wirkt. Leider ist das Werk nur 35 Minuten lang, in dieser Qualität hätte es gerne mehr Musik geben dürfen!

Epilog: Es gibt Songs auf "Small World", die letztendlich die Kriterien des Max-Planck-Instituts zur Identifizierung des perfekten Pop-Songs erfüllen, weil nachvollziehbare Akkord-Folgen vorhanden sind. Dennoch sind die Lieder weder einfach gestrickt, noch unbedingt massentauglich. Das macht die Attraktivität aller Kompositionen auf dem Album aus. Sie erfüllen zwar auch aufreizende Unterhaltungskriterien, sind aber so klug durchdacht worden, dass sie nicht in die Anbiederungs-Falle tappen, sondern ein großes Potential für viele Hördurchgänge bieten. 

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