Hajk - Drama (2019)

Bemerkenswertes, erstaunliches Norwegen! Hier findet mit "Drama" von Hajk auch ungewöhnliche, individuelle Musik eine breite Anerkennung.
Norwegen ist nicht nur bei den Themen Americana-Sound (Sugarfoot), Jazz (Jan Garbarek) und Art-Rock (Motorpsycho) ganz weit vorne! Dort sind auch intelligente Pop-Bands wie das Einar Stray Orchestra oder Hajk beliebt, während diese Formationen hier leider noch relativ unbekannt sind. Vielleicht hilft ja „Drama“ dabei, Hajk auch in unseren Breiten ins Radio zu katapultieren. Ach übrigens: Keine Bedenken vor dem Album-Titel „Drama“. Die Musik ist nicht übertrieben kopflastig oder depressiv. Maximal nachdenklich, aber auch das ist nicht besonders ausgeprägt. Nach Aussage von Hajk bezieht sich „Drama“ auf die erschütternde Situation der Menschheit und eine etwas naive Sehnsucht nach Liebe in einer Welt, in der Liebe manchmal knapp erscheint.
Diese theoretischen Überlegungen werden von Sigrid Aase (Gesang), Preben Sælid Andersen (Gesang, Gitarre, Keyboards, Percussion), Einar Næss Haugseth (Keyboards, Gesang), Knut Olav Buverud Sandvik (Bass, Gesang, Percussion) sowie Johan Nord (Schlagzeug, Percussion) unter Mithilfe eines Bläser-Quartetts harmonisch in Szene gesetzt. Die Gruppe aus Oslo hat dabei mindestens ein Luxusproblem: Sie verfügt über zwei versierte Lead-Stimmen, die sich abwechseln und ergänzen und dadurch das Ausdrucksspektrum des Sounds erheblich erweitern. Der Gruppenklang beinhaltet sowohl akustische wie auch elektronische Aspekte. Die Instrumentierung wirkt unterdessen nicht künstlich, sondern auch hier tragen die unterschiedlichen Klangfarben zur Bereicherung der gerne eingesetzten wohlklingenden Melodien bei.

„Keep Telling Myself“ steckt klangtechnisch tief im synthetischen New Wave der 1980er Jahre fest, könnte mit anderer Instrumentierung jedoch genauso als Pop-Hit aus den 1960er Jahren durchgehen. Der Song ist von der Sorte, die ab und zu urplötzlich und unerwartet wieder in den Sinn kommt, ob man das möchte oder nicht. So eindringlich und ansteckend ist er. Hajk gönnen sich den Spaß, mit verschiedenen Stimmungen und Sounds innerhalb eines Titels zu arbeiten. Bei „Get It Right“, das über ausgleichende Elemente des eleganten Soft-Rock verfügt, beherrscht der liebliche und klare, für Aufsehen sorgende Gesang der Frontfrau Sigrid Aase das lässige, unwiderstehliche Geschehen. „Dancing Like This“ ist prädestiniert für die Charts. Das Lied ist unwiderstehlich optimistisch und die Musiker verstehen es, auf unpeinliche Weise leichte und beschwingte Unterhaltung mit aufbauender Wirkung zu verbinden.
„Sorry“ verbreitet hingegen mit nüchternem, bedächtigem Gesang eine Ernsthaftigkeit, die den Balladen von John Lennon nahe kommt. Preben Sælid Andersen übernimmt auch bei „Time To Forget“ stimmlich das Ruder und führt souverän durch gemächliche, stressfreie Schwingungen. „Breathe“ klingt nach Aufbruch, was durch wirkungsvoll platzierte, befreiende Gesangs-Ausbrüche symbolisiert wird. Misstrauen und Vorsicht nehmen aber dennoch einen gewissen Raum ein. Die Ruhephasen wirken dabei wie das Durchatmen vor einer schweren physischen oder psychischen Anstrengung. „As Loud As It Gets“ ist ein tiefgehender Soul im Elektronik-Gewand, der mit großer Inbrunst wuchert und kaum intensiver vermittelt werden könnte. Das sakrale, feierliche, instrumentale Intermezzo „Tokyo“ dient der Konzentration, bevor das sehnsüchtig flehende „Desperately“ nochmal für innige Gänsehautmomente sorgt. „Snow Ball“ lässt dann das Pendel allerdings zu sehr in Richtung rührselige Schnulze ausschlagen.
Hajk haben verstanden, wie reife Pop-Kunst funktionieren sollte: Letztlich kommt es entscheidend darauf an, über welche Qualität die Songs hinsichtlich emotionaler Dichte und räumlicher Transparenz verfügen. Diesen Ansprüchen sollten alle Aktivitäten untergeordnet werden. Die Vorbilder von Hajk sind wohl unter Prefab Sprout, The Beauty Room, Bryndle, Chocolate Genius und anderen raffiniert agierenden Künstlern zu suchen. Nämlich im Prinzip bei allen Musikern, die darauf achten, Schönheit, Eleganz und Intelligenz miteinander zu verbinden. Hajk sollten kein Geheimtip mehr bleiben. Diese Musik gehört allen Feingeistern, die delikate, in sich stimmige Darbietungen zu schätzen wissen.
Mit einer Hymne im Ohr lassen sich der graue Alltag und kleinere Missgeschicke viel besser ertragen, als ohne stärkende akustische Hilfe. Die norwegischen Musiker von Hajk bieten mit ihrem zweiten Album „Drama“ einige solcher kleinen „Seelentröster“ an und bleiben dabei musikalisch spannend und anspruchsvoll. Was kann man eigentlich sonst noch von guter Pop-Musik erwarten?
Breathe ist eines der besten Stücke des Albums:


Erstveröffentlichung dieser RezensionHajk - Drama

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Waiting For Louise - Rain Meditation

Jahresbestenliste 2023

Lesestoff: Pop steht Kopf