Tom Petty - The Best Of Everything (2019)

Verzichtbar oder nicht? Mit „The Best Of Everything“ erscheint ein weiterer Überblick über das Schaffen von Tom Petty.
Grundsätzlich sei die Frage gestattet: Braucht der eingefleischte Tom Petty-Fan eigentlich „The Best Of Everything“? Es handelt sich bei der Doppel-CD, 4-LP-Ausgabe oder dem Download um eine beinahe die gesamte Karriere umspannende Zusammenstellung, deren 38 Titel nicht chronologisch aneinander gereiht wurden. Verwendet wurden Aufnahmen mit den Heartbreakers, von den Solo-Werken und vom Mudcrutch-Projekt. Keine Berücksichtigung fanden die Traveling Wilburys, bei denen Petty eines der prominenten Mitglieder war.
Der beinharte Verehrer, der alle bisherigen Aufnahmen besitzt, wird bei dem vorliegenden Set mit zwei bislang unveröffentlichten Songs geködert und zum Kauf animiert: Einer alternativen Version mit zusätzlicher Strophe des namengebenden „The Best Of Everything“, das im Original auf „Southern Accents“ (1985) zu finden ist und der gänzlich unbekannten, aus dem Jahr 2000 stammenden, traurig-schönen Country-Folk-Ballade „For Real“. Marketingstrategisch soll die neue Lieder-Kopplung die im letzten Jahr als erste posthume Veröffentlichung erschienene Box „An American Treasure“ ergänzen. Aktuell wird der Fokus dabei auf die Hits und bekannteren Titel gelegt, auch wenn persönliche Favoriten des am 2. Oktober 2017 viel zu früh verstorbenen Künstlers enthalten sind. Der Tom-Petty-Gelegenheitshörer, der Sympathie entwickelte, aber sich selten ein Album zugelegt hat, soll mit dieser Kollektion, die einen Zeitraum von 1976 bis 2016 erfasst, an die Ausnahmestellung des Musikers erinnert werden. Ist es da noch Zufall, dass das Cover von der Aufmachung her an eine Todesanzeige erinnert? Fällt diese Veröffentlichung gar künstlerisch unter Leichenfledderei, wo es doch schon andere „Best Of“-Alben gibt? Mit „Anthology: Through The Years“ aus dem Jahr 2000 kann sogar eine ähnlich gelagerte Doppel-CD-Zusammenstellung mit immerhin achtzehn Überschneidungen zu „The Best Of Everything“ erworben werden.



Die Auswahl der Stücke wurde von Pettys Familie in Zusammenarbeit mit den Heartbreakers/Mudcrutch-Mitgliedern Mike Campbell und Benmont Tench sowie dem Toningenieur Ryan Ulyate, der auch an der neuen klanglichen Überarbeitung beteiligt war, getroffen. Erstaunlicherweise haben selbst die von Jeff Lynne in den Jahren 1989 und 1991 sehr gefällig produzierten Tracks den Zahn der Zeit gut überstanden. Petty verstand es nämlich, den eingängigen Pop-Faktor nicht als Selbstzweck stehen zu lassen, sondern hat sich daneben immer als gestandener Rocker ins Licht gesetzt und diese Rolle auch favorisiert.

The Heartbreakers waren ursprünglich ein Fan-Projekt, dem im Laufe der Zeit nie die Leidenschaft und Inspiration abhanden gekommen ist. Entsprechend unverbraucht, berührend oder aufbauend wirken die Songs, die kein Verfallsdatum zu kennen scheinen. Lieder wie „Mary Jane's Last Dance“, „The Last DJ“, „Scare Easy“ oder „Room At The Top“ zeigen in besonderer Weise den überaus ideenreichen Komponisten Tom Petty, der zwar offensichtlich von seinen Vorbildern wie The Byrds, The Beatles oder The Rolling Stones gelernt hat, aber hörbar Spaß daran hatte, diese Ideen in eine veränderte Sichtweise zu überführen. Die Rocker bekommen dabei immer einen druckvollen Groove verpasst und die Balladen erhalten eine bittersüße, einnehmende Melodie: Die positive Energie von „You Wreck Me“, „I Won't Back Down“ oder „Runnin' Down A Dream“ kann beinahe jeden Tag retten. „Southern Accents“ oder „Square One“ vermitteln demütige Gefühle und „Wildflowers“ oder „Dreamville“ sorgen für behagliche, friedvoll-harmonische Momente. „I Need To Know“ oder „I Should Have Known It“ zeigen eine aufsässige, anklagende Seite und „Saving Grace“ oder „You Don't Know How It Feels“ überzeugen durch lässige Eleganz. Somit sind die Songs sowohl ideales Radio-Futter, wie auch wach haltende Begleiter bei langen Autofahrten und nicht zuletzt waren sie wirksame Grundlagen für abwechslungsreiche, packende bis magische Konzert-Erlebnisse.
Petty gehörte zu den wenigen Musikern, der Generationen verbinden konnte. Seine Kompositionen sprechen wegen ihrer Ausgeglichenheit, zupackender Direktheit und Ehrlichkeit viele Menschen an und sind somit im besten Sinne universell einsetzbar. Der Mann aus Gainesville in Florida steht für Gradlinigkeit und Verlässlichkeit. Er wurde im Verlauf seiner Karriere immer versierter und sicherer, wenn es darum ging, seine Schöpfungen mit interessanten, raffinierten Arrangements auszustatten.
Isoliert betrachtet handelt es sich bei „The Best Of Everything“ um eine sehr gut durchhörbare Werkschau, die tatsächlich Lust auf mehr macht und deshalb dafür sorgen könnte, dass sich der eine oder andere Käufer näher mit dem Gesamtwerk des Künstlers beschäftigt. Auf jeden Fall wird aber der schmerzliche Verlust bewusst gemacht und die Lücke aufgezeigt, die der Tod von Tom Petty gerissen hat. In dem Essay des Booklets fand der Schauspieler, Autor und Regisseur Cameron Crowe („Almost Famous“, „Vanilla Sky“), der schon den Begleittext von „Anthology: Through The Years“ verfasste, dazu salbende Worte und sonderte passende Bemerkungen ab, wie „Er war ein junger Meister des vertrauensvollen Moments. Dies ist der Moment in einem Lied, in dem die Wörter verschwinden und das Lied zu einem Gespräch wird, zu einem Bekenntnis der Wahrheit, das zwischen Freunden gesprochen wird“.
Für die Statistik: Es handelt sich bei „The Best Of Everything“ ausschließlich um Studio-Aufnahmen. Aus den 1970er Jahren stammen acht, aus den 1980ern zehn, aus den 1990ern neun und aus den 2000ern elf Lieder. Mit jeweils vier Stücken liegen „Damn The Torpedoes“ von 1979 sowie „Wildflowers“ aus 1994 bei der Berücksichtigung der Alben vorne.
Fazit: Die Musik auf diesem Überblick ist ohne Zweifel großartig. Ob sich eine Anschaffung aber lohnt, hängt vor allem davon ab, wie tief man bisher schon in das Schaffen von Tom Petty eingestiegen ist.

Hier ist ein Video, das mit The Best Of Everything unterlegt ist:

Erstveröffentlichung dieser RezensionTom Petty - The Best Of Everything

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